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Weltuntergang. Die Zahl der Naturkatastrophen – im Bild „Irene“ in North Carolina – nimmt zu. Im ersten Halbjahr mussten die Versicherer 63 Milliarden US-Dollar zahlen.

© dpa

Naturkatastrophen: „2011 ist ein extremes Jahr“

Erdbeben in Neuseeland, Tsunami in Japan, Hurrikan über New York. Als weltgrößter Rückversicherer ist die Munich Re immer dabei. Dennoch soll die Dividende stabil bleiben, sagt Vorstand Torsten Jeworrek.

Herr Jeworrek, Erdbeben in Neuseeland, Tsunami in Japan, Hurrikan über New York – ist 2011 für die Munich Re, den weltgrößten Rückversicherer, das Jahr des Schreckens?

Wir hatten 2011 eine außergewöhnliche Häufung von Naturkatastrophen. Bis jetzt war es ein extremes Jahr mit unglaublich viel menschlichem Leid. Für uns als Versicherer ist das aber beherrschbar. Naturkatastrophenrisiken zu versichern ist unser Kerngeschäft, damit kennen wir uns aus.

So ganz kann Ihre Risikoeinschätzung aber nicht stimmen. Anfang des Jahres hatten Sie noch einen Gewinn von über zwei Milliarden Euro für dieses Jahr prognostiziert, jetzt sind Sie zufrieden, wenn Sie in den schwarzen Zahlen bleiben.

Wir sind keine Propheten. Wir können nicht vorhersagen, ob und welche Naturkatastrophen sich in einem bestimmten Monat oder in einem speziellen Jahr ereignen werden. Aber wir können mittelfristige Prognosen abgeben. Wir wissen, wie viele Naturkatastrophen im Mittel eintreten und wie hoch die Schäden sind. Anhand dieser Daten berechnen wir den Preis für unsere Versicherungen. Je höher das Risiko, desto teurer die Police. Und darüber hinaus ziehen wir Obergrenzen für die Gesamthaftung für jedes Ereignis ein. Damit bleibt selbst die außergewöhnliche Häufung von Naturkatastrophen für unser Unternehmen sicher verkraftbar. Über die Zeit lassen sich Naturkatastrophen gut kalkulieren.

Nehmen die Naturkatastrophen zu?

Man muss unterscheiden: Die Häufung von Erdbeben, die wir in diesem Jahr hatten, ist Zufall. Ganz anders sieht es bei den klimarelevanten Naturkatastrophen aus, also bei Sturmschäden, Wirbelstürmen, Flutschäden oder Dürren. Hier sehen wir aus unserer Datenbank – und wir haben die größte Datenbank der Welt –, dass deren Zahl stetig zunimmt.

Torsten Jeworrek ist im Vorstand der weltgrößten Rückversicherung, Munich Re, für die Absicherung von Naturkatastrophen zuständig.
Torsten Jeworrek ist im Vorstand der weltgrößten Rückversicherung, Munich Re, für die Absicherung von Naturkatastrophen zuständig.

© REUTERS

Liegt das am Klimawandel?

Es gibt mehrere Faktoren: Es stehen mehr Häuser in gefährdeten Gebieten, wo früher keine waren. Aber auch der Klimawandel spielt sicher eine Rolle, und das macht uns Sorge. Deshalb engagieren wir uns ja auch so stark im Klimaschutz und bei der Förderung erneuerbarer Energien.

Zumindest einen Trost gibt es für Sie. Der Hurrikan „Irene“, der über New York hinweg gezogen ist, hat weniger Schaden angerichtet als befürchtet ...

Ja, es hätte schlimmer kommen können. Für die Munich Re als Gruppe schätzen wir die Belastung auf eine niedrige dreistellige Millionenhöhe.

Aber die Hurrikan-Saison ist noch lange nicht vorbei. Was befürchten Sie noch für den Rest des Jahres?

Wie gesagt, Vorhersagen sind da kaum möglich. Aber man weiß, dass hohe Temperaturen im Atlantik eher für eine stärkere Hurrikan-Saison sprechen, und der Atlantik ist derzeit relativ warm. Man muss daher für 2011 mit einer hohen Anzahl von Hurrikans rechnen. Die Zahl der bisherigen Stürme liegt auch über dem Durchschnitt der letzten 15 Jahre. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass auch die Schäden hoch sein werden. Das hängt von der Bahn des Hurrikans ab – ob er über dem Meer abdreht oder auf Land trifft.

Wie hoch waren die Schäden durch Naturkatastrophen in diesem Jahr bislang?

Das erste Halbjahr war extrem schadenträchtig. Es gab weltweit 360 Naturkatastrophen, die versicherten Schäden lagen bei 63 Milliarden US-Dollar – das ist sehr hoch. Die beiden teuersten Katastrophen waren das Erdbeben in Neuseeland und das Beben mit dem Tsunami in Japan. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise haben wir in den ersten drei Monaten vor allem Sturmschäden aus Europa. Die hat es in diesem Jahr aber kaum gegeben.

Haben Sie sich privat gegen Sturm- und andere Elementarschäden versichert?

Ja, habe ich. Aber das war gar nicht so leicht. Ich wohne in einem Haus im Süden von München nicht weit von der Isar entfernt und wollte schon vor zehn Jahren eine Elementarschadenversicherung abschließen. Damals war das nahezu unbezahlbar, obwohl ich 50 Meter oberhalb der Isar wohne und das Überschwemmungsrisiko gering ist. Inzwischen differenzieren die Versicherer aber viel feiner, und jetzt habe ich eine Versicherung, zu sehr günstigem Preis.

Gibt es weltweit Regionen, die so stark gefährdet sind, dass die Policen gegen Naturkatastrophen unbezahlbar sind?

Das sehe ich im Moment noch nicht, und auch in Zukunft wird das die absolute Ausnahme bleiben. Aber es gibt einige Regionen, für die der Versicherungsschutz immer teurer wird. Dazu zählt etwa die Küstenlinie von Florida, das im Haupteinzugsgebiet der Hurrikans liegt. Die Versicherung für die Strandhäuser ist schon heute ziemlich teuer und wird sicherlich noch teurer werden. Ich halte das aber für ein gesundes Korrektiv. Es darf keine Anreize geben, in stark gefährdeten Gebieten zu bauen – auch wenn sie noch so schön sind. Falls jemand es doch tut, muss er sich des Risikos bewusst sein.

Gibt es ähnliche Fälle in Europa?

Nein, die Gefährdung durch Stürme ist mit der durch Hurrikane nicht zu vergleichen. In einigen wenigen Gegenden ist es schwierig, Hochwasser-Deckungen zu bekommen. Das ist dann aber direkt an Flüssen, die schon seit jeher immer wieder Hochwasser führen.

An diesem Wochenende treffen sich Rück- und Erstversicherer, um über die Versicherungsprämien zu verhandeln. Können Sie weitere Preiserhöhungen durchsetzen?

Aufgrund der vielen schweren Schäden sind auf dem Rückversicherungsmarkt die Preise für Versicherungen gegen Naturkatastrophen gestiegen, in schadenbetroffenen Gebieten deutlich zweistellig. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt. Dasselbe gilt übrigens für Industrieversicherungen und für die Versicherung von Ölplattformen.
Vor zehn Jahren sind die USA von Terroranschlägen erschüttert worden. Wie schätzen Sie das Terrorrisiko heute ein?

Die Anschläge vor zehn Jahren brachten enormes menschliches Leid, und sie haben auch die Versicherungswirtschaft schwer belastet. Für uns betrug der Schaden über zwei Milliarden US-Dollar, der größte Einzelschaden von Munich Re bislang. Seitdem hat sich die Versicherung von Terrorrisiken grundlegend geändert. Bei konventionellen Anschlägen etwa durch Bomben werden die Schäden von nationalen Pools gedeckt, bei denen Versicherer und der Staat zusammen arbeiten. Die Haftung der Versicherer liegt in der Regel im einstelligen Milliardenbetrag. Alles, was darüber liegt, trägt der Staat allein. Das ist auch sinnvoll so, denn Schäden durch bewusst getroffene Entscheidungen lassen sich schlicht nicht kalkulieren. Für atomare oder biologische Terrorangriffe, die Gott sei dank noch nie passiert sind, gibt es keine private Versicherungslösung. Das kann die private Versicherungswirtschaft nicht leisten.

Wird die Munich Re in diesem Jahr die schwarzen Zahlen schaffen?

Davon bin ich fest überzeugt. Wir haben für das zweite Halbjahr wie immer Großschäden von über einer Milliarde Euro einkalkuliert und machen dann trotzdem substanziell Gewinn. Von dieser Milliarde sind wir noch weit entfernt.

Dieses Jahr war für Sie bislang doppelt schwierig: Die Schäden haben zugenommen, zugleich haben wegen der Euro-Krise und der Börsenturbulenzen ihre Anlagen viel weniger abgeworfen als im Vorjahr.

Der jüngste Absturz an den Börsen im August macht uns wenig zu schaffen, weil wir kaum noch Aktien haben. Seit Ende Juni hatten wir den Aktienbestand nochmal deutlich gesenkt. Problematischer sind die niedrigen Zinsen, die langfristig wirken. Und in der Rückversicherung müssen wir das letztlich über Preiserhöhungen im Versicherungsgeschäft kompensieren. Uns ist daher sehr daran gelegen, dass das Vertrauen in Europa und den USA an die Kapitalmärkten zurückkehrt.

Sind Eurobonds und die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms der richtige Weg, Vertrauen zu schaffen?

Darüber muss die Politik entscheiden. Nur soviel: Es hilft nicht viel, im Zwei-Monats-Rhythmus neue Rettungsschirme zu beschließen. Hier brauchen wir eine nachhaltige Lösung. Man muss daneben in den Euro-Ländern, die heute hoch verschuldet sind, Werte schaffen, die den Ländern Einnahmen garantieren. Warum nutzt man nicht den Standortvorteil von Griechenland und anderen Ländern Südeuropas, wo es viel Sonne und Wind gibt, und baut dort Solar- und Windkraftanlagen? Den "grünen Strom" könnten die Länder exportieren - auch nach Deutschland. Das würde ihnen helfen, und es täte unserem Energiemix gut. Für den Aufbau einer erneuerbare-Energie-Infrastruktur wäre es sinnvoll, auch eine finanzielle Unterstützung aus der EU zu überlegen. Denn das sind nachhaltige Investitionen in die Zukunft.

Die Munich-Re-Aktie hat den Anlegern in den letzten Monaten wenig Freude gemacht. Hat sich Ihr Großaktionär Warren Buffet bei Ihnen beschwert?

Davon weiß ich nichts. Natürlich konnten wir uns dem Abwärtstrend nicht entziehen, aber verglichen mit anderen hat sich unsere Aktie gut gehalten. Außerdem dürfen Sie nicht nur auf den Kurs schauen. Wir zahlen unseren Aktionären traditionell eine hohe Dividende.

Auch für das Katastrophenjahr 2011?

Wir bemühen uns um Kontinuität. Wenn nicht etwas ganz Schlimmes passiert, sollte es machbar sein, die Dividende bei 6,25 Euro wie im Vorjahr zu lassen.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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