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Wirtschaft: Nena Pogacic-Maciej

Geb. 1951

Misteln, Wasseradern, Energiekreise. Am Ende glaubt man an vieles. Nenas Ehemann Friedel hat Erdbeerkuchen gebacken, die beiden Kinder sind auch dabei. Melina und Vincent, 13 und 15 Jahre, Melina, die Nena ähnelt mit ihrem schmalen Kinn und den schwarzen Haaren, und Vincent, der die leicht schräg stehenden Augen seines Vaters hat. Dann sind da noch die zwei Freundinnen von Nena aus Wilmersdorfer WG-Zeiten. Alle lächeln, die Sonne scheint in die großen Fenster des Zehlendorfer Neubauhauses. „Nehmt mehr Sahne“, sagt Friedel „und mehr Kuchen ist auch noch da.“

Dort drüben, auf der blauen Couch am Fenster lag sie im letzten Jahr. Egal, wie schlimm es ihr ging, Nena war da, sagt ihr Mann, und das war tausendmal besser als jetzt. Über dem Sofa hängt ein großer Bilderrahmen, darin nur Fotos von ihr: beim Diskutieren, beim Schlittschuhlaufen und wie sie in ihrer roten Seidenjacke den Brautstrauß hält. Schlank war sie, das Haar kurz geschnitten, das Gesicht fein, energisch, nachdenklich, mit Fältchen um den Augen wie kleine Strahlen.

Das Hochzeitsfoto. Gerade ein halbes Jahr ist das her. Der Tag begann so: Um sechs Uhr zehn klingelte das Telefon, „Radio Eins“ war dran, zur „Weckattack“, „das habe ich organisiert“, sagt eine der Freundinnen stolz. Nenas Mann musste Rede und Antwort stehen. „Was denn für ein dreifarbiger Ehering? Schwarzrotgold?“, wollte der Moderator wissen und stichelte weiter: „Ihr heiratet doch bestimmt nur wegen der Steuer.“ Nena lag im Bett, hörte zu und lachte, bis die Tränen übers Gesicht liefen.

Am Mittag tanzten sie Polka auf der Straße vor dem Standesamt Zehlendorf, wo sich immer eine Band postiert. Straßenmusiker, die wissen, dass Hochzeitsleute gern mal zehn Euro flüssig machen. Am Abend lud das Paar Freunde und die Familie aus Kroatien ins „Santo Spirito“ zum Fest. Und er, der Bräutigam, trug an diesem Tag das erste Mal in seinem Leben einen Anzug. Zwanzig Jahre waren sie da schon ein Paar. Und Nena hatte bereits zwei Operationen, zwei Chemotherapien und eine Bestrahlung hinter sich.

Als sie vor zweieinhalb Jahren nach Zehlendorf zogen, in die neue Siedlung am Waldfriedhof, kauften sie ein großes Aquarium für die Glaswand, die das Wohnzimmer vom Korridor trennt und machten sich wegen der hohen Miete keine Gedanken. Beide arbeiteten als Sozialpädagogen. Nena war Leiterin eines Jugendhilfeprojekts, hatte 25 Mitarbeiter. Abends kam sie manchmal müde nach Hause, schaute ihren Fischen zu, erzählte, wie schwer es ist, sich als Chef zu behaupten. Das war ihre größte Sorge, bis die Ärzte in ihrem Darm Metastasen fanden.

„Ich war eigentlich nie so der Typ fürs Heiraten“, sagt Friedel, „aber Nena hat es sich gewünscht.“ Also hat er ihr den Wunsch erfüllt. Das Leben geht doch immer weiter, so hat Nena gedacht und geredet, auch damals. Im Innersten hat sie vielleicht anders gefühlt.

Sie war eine kritische Patientin, sagt ihr Mann, sie misstraute der Schulmedizin, suchte nach Alternativen, las, diskutierte. Mistel, Vitaminpräparate, das war nur der Anfang. Dann ging sie weiter von Arzt zu Arzt, von Heilpraktiker zu Heilpraktiker, am Ende von allen enttäuscht. Inzwischen war auch die Leber weiter befallen. „Du brauchst positive Glaubenssätze“, sagte ihr Mann zu Nena. „Du musst dich auf Heilung programmieren“, das sagte ihre Therapeutin beim „Neurolinguistischen Programmieren“.

Am Ende glaubten sie alle an vieles. Sie wollten glauben. Sie reisten nach Baden-Baden, zu speziellen Therapeuten, über die Gutes in den Zeitungen stand. Kauften für die letzten Ersparnisse teure Präparate. Eine Heilerin riet, die lackierten Bücherregale aus dem Schlafzimmer zu werfen und das Bett auf eine Korkunterlage zu stellen. Sie machten es. Eine andere sagte: „Nena, ich spüre, Sie haben in Ihrer Familie seit zwölf Generationen ein Problem mit Wasseradern in Ihrer Familie.“ Also ließen sie einen Rutengeher kommen. „Und“, sagt Friedel, „das hat uns besonders niedergeschmettert: Der stellte dann wirklich Wasseradern überall in der Wohnung fest.“ Unter dem Bett sogar eine Kreuzung.

„Nena wollte uns das alles als Aufgabe mitgeben“, sagt ihr Mann. Tochter Melina schaut skeptisch und sagt: „Papa, glaubst du wirklich, sie wollte, dass wir so was Schreckliches erleben?“

Am Abend bevor sie starb, haben die Kinder und der Ehemann sich mit Nena wie jeden Abend an den Händen gefasst, sie nannten das: einen „Energiekreis“ bilden. Am Nachmittag hatte Nena zum letzten Mal gesprochen. „Schon blöd, dass ich gehe“, hat sie da gesagt.

Kirsten Wenzel

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