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Wirtschaft: Neue Crash-Szenarien an der Börse

Dax bricht um 4,99 Prozent ein – Konjunktur und Unternehmen enttäuschen Hoffnungen der Investoren

Berlin (mot). An den Börsen wächst die Sorge vor einer weiteren drastischen Kurskorrektur nach unten. Nachdem am Mittwoch die Aktienkurse kräftig nachgaben, mehren sich die Anzeichen für einen neuen Absturz. Der Deutsche Aktienindex (Dax) verlor 4,99 Prozent und sank damit unter die Marke von 3200 Punkten. Experten schließen nicht aus, dass der Index nun bis 2700 Punkte fällt. Schlechte Unternehmens- und Konjunkturzahlen sorgten zeitweise für Ausverkaufsstimmung an den Börsen. Am Neuen Markt sank der Nemax 50 erstmals in seiner Geschichte zeitweise unter 400 Punkte.

Immer mehr Volkswirte glauben inzwischen, dass die deutsche Wirtschaft vor einer Rezession oder einer lang anhaltenden Flaute steht. Nach Einschätzung der Pariser Großbank Société Générale (SG) liegt die Konjunktur am Boden. Die deutsche Wirtschaftsleistung könne bis zum Jahr 2010 jährlich voraussichtlich nur noch um höchstens 1,5 Prozent wachsen, hieß es in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie. In diesem Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt nur um 0,2 Prozent zulegen, nächstes Jahr um 1,2 Prozent. Auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet nicht mit einer baldigen Besserung der Lage: „Die Konjunktur in Deutschland hat sich noch nicht durchgreifend erholt“, schreiben die IfW-Forscher. In diesem Jahr sei mit einem Wachstum von 0,4 Prozent zu rechnen. Für das nächste Jahr sagen die Experten 1,8 Prozent voraus – deutlich weniger als bei der Prognose im März.

„Das ist der Wanderdüneneffekt“, sagte Achim Matzke, Indexexperte bei der Commerzbank. „Wir stecken nicht in einer tiefen Rezession, aber die Flaute zieht sich länger hin, als wir gedacht haben.“ Sämtliche Konjunktur-Prognosen für die Jahre 2001, 2002 und 2003 seien nach unten korrigiert worden, und viele Unternehmen hätten dies in ihren Gewinnschätzungen für das kommende Jahr noch nicht nachvollzogen. „Der Aufschwung kommt nicht“, fürchtet Matzke.

Vor allem Versicherungen und Technologiewerte wie SAP – also Unternehmen, die ein großes Gewicht im Dax haben – seien davon betroffen. „Das hat den Dax überproportional im Vergleich zu anderen europäischen Indizes nach unten gedrückt.“ Aufzuholen sei dieser Rückstand in diesem Jahr nicht mehr. „Wer sollte angesichts der Kriegsangst und Konjunktursorgen denn investieren“, fragt sich Matzke. Zusätzlich unter Druck gerieten die Technologieaktien am Mittwoch, nachdem der US-Softwarehersteller Oracle für das letzte Quartal einen deutlich gesunkenen Gewinn ausgewiesen hatte.

Bernd Meyer, Aktienstratege der Deutschen Bank, tröstet sich mit den niedrigen Umsätzen an der Börse. „Wenn so wenig Aktien gehandelt werden, dann sind das keine Panikverkäufe.“ Aber: Da es zurzeit keine positiven Signale gebe, sei das Schlimmste wohl noch nicht überstanden. „2700 Punkte sind im Dax nicht auszuschließen“, so der Banker. Bis Anfang 2003 müssten Anleger mit stark schwankenden Kursen rechnen. Marktbeobachter glauben trotz der seit drei Jahren anhaltenden Baisse an langfristig reale Aktien-Renditen von zehn Prozent. „Von heute an gerechnet müsste der Dax in zehn Jahren bei 8200 Punkten stehen“, sagt Bernd Meyer. „Das ist durchaus realistisch.“ Momentan plagen die Investoren jedoch andere Sorgen. Wiebke Hagen, Kapitalmarktanalystin bei der Signal Iduna-Versicherungsgruppe, fragt sich, woher das Gewinnwachstum kommen soll, wenn die Konjunktur nicht anzieht, die Unternehmen aber gleichzeitig nicht weiter sparen können. „Alle haben ihre Restrukturierungskosten noch in die Bilanz 2002 gepackt – da ist im nächsten Jahr kein Spielraum mehr.“ Angesichts dieser Aussichten sei das Sentiment, also die an den Aktienumsätzen gemessene Stimmung (siehe Lexikon, Seite 20), „extrem schlecht“.

Trotz der Nachrichtenlage ist für viele Börsianer die Entwicklung fundamental nicht mehr zu erklären. So rücken technische Argumente ins Zentrum, etwa das Durchbrechen der Dax-Marke von 3200 Punkten, die bei vielen Versicherungen, die Kapital an der Börse angelegt haben, als Verkaufssignal gilt. „Nun müssen große Investoren Aktien verkaufen, die das bisher nicht wollten“, sagt ein Vermögensverwalter des Bankhauses Löbbecke. Mit fatalen Folgen für die Vermögensberater: „Wir entwerfen jeden Morgen neue Szenarien, die wir mittags wieder in die Tonne hauen müssen“, sagt ein Frankfurter Privatbanker. „Wir wissen selber nicht mehr, was wir machen sollen.“

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