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Ausgetüftelt. Orthopädiemechaniker können nach der Ausbildung studieren, etwa Bionik wie hier in Bremen (oben), wo Studenten ein Roboterbein entwickelt haben – oder in einer Werkstatt den Meister machen.

© ddp

NEUE STUDIENGÄNGE: Werkstatt oder Hörsaal Bachelor statt Ausbildung

Immer mehr Abiturienten machen handwerkliche Ausbildungen. Nach der Gesellenprüfung können sie eine Weiterbildung wählen: Entweder bereiten sie sich auf die Meisterprüfung vor – oder sie vertiefen die Ausbildung in einem speziellen Studium

Katrin Schnaube trägt eine Schutzbrille. Sie schleift ein Modell aus Carbonfasern, das später einmal das Bein eines Menschen ersetzen soll. Möglicherweise hatte er einen Unfall, vielleicht kam er schon ohne vollständige Gliedmaße auf die Welt. Katrin Schnaube lernt das Handwerk des Orthopädiemechnikers. Sie hat Abitur gemacht und wollte dann unbedingt etwas „mit den Händen“ tun, denn handwerklich ist sie geschickt. Und es war ihr wichtig, etwas Sinnvolles zu machen und anderen helfen. „Später kann ich mir immer noch überlegen, ob ich einen Meister mache oder sogar studiere“, sagt die 20-Jährige.

Zum Beispiel könnte sie in Göttingen Orthobionik studieren, ein berufsbegleitender Studiengang, bei der die Orthopädiemecheniker eng mit Medizinern zusammenarbeiten. Der Studiengang ist gerade erst angelaufen – an der Private University of Sience of Applied Science (PFH). In einer modernen Lehrwerkstatt lernen die Studenten, hochkomplexe Prothesen und Orthesen für verschiedene Krankheitsbilder zu entwickeln.

Wie in der Orthopädietechnik gibt es in immer mehr handwerklichen Berufen inzwischen verschiedene Möglichkeiten, sich nach der Gesellenprüfung weiterzubilden. Abiturienten haben die Wahl zwischen einem anschließenden Meister oder einem Hochschulstudium. Jeder sechste neueingestellte Azubi in Berliner Handwerksbetrieben hatte im vergangenen Jahr Abitur.

Auch nach einer Ausbildung im Elektro- und Metallgewerbe kann es interessant sein, ein Studium draufzusatteln. Zum Beispiel bietet sich für einen Absolventen als Kraffahrzeugmechatroniker an, anschließend einen Diplom-Ingenieur für Fahrzeug- und Motorentechnik zu machen wie es ihn an der Uni Stuttgart gibt oder Maschinenbau zu studieren. Augenoptikergesellen haben die Möglichkeit, ihr Fach zum Beispiel an der Fachhochschule Aalen Augenoptik und Hörakustik zu studieren oder an der Fachhochschule Jena Augenoptik/Optometrie als Bachelor- und Master-Studiengang studieren.

Zur Gründung einer eigenen betrieblichen Existenz empfiehlt die Handwerkskammer (HWK) Berlin aber nach wie vor eine Meisterfortbildung. „Der Meisterbrief ist die zentrale Qualitätsprüfung im Handwerk. Er ist die Voraussetzung für die Selbstständigkeit in den zulassungspflichtigen Handwerken“, sagt Jens Wortmann, zuständig für das Thema Berufsbildung bei der HWK Berlin. Die angehenden Meister vertiefen ihre fachlichen Kenntnisse, bekommen aber auch Wissen in Betriebswirtschaft, Unternehmensführung und Arbeitspädagogik vermittelt. „Nach der Meisterprüfung besteht dann die Option, sich zur Führungskraft im Handwerk wie zum Betriebswirt HWK fortbilden zu lassen“, sagt Jens Wortmann.

Nicht jeder hat die Absicht, einen eigenen Betrieb zu eröffnen. Jens Franke, der beim Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik für Ausbildungsfragen zuständig ist, sagt: „Für jemanden, der Interesse an Forschung, Entwicklung und Lehre hat, kann die akademische Ausbildung das Richtige sein.“ Aber auch das Studium kann den Weg in die Selbständigkeit ebnen. Mit einem Antrag bei der zuständigen Handwerkskammer können Absolventen mit einem „Bachelor in Orthopädie- und Rehatechnik“, den man in einem dualen Studiengang an der Fachhochschule Münster erwerben kann, dazu berechtigt werden, einen eigenen Betrieb zu führen.

Jens Wortmann von der HWK Berlin sagt: „Die Studenten, die vorher schon ihre Gesellenprüfung abgelegt haben, haben ihren Kommilitonen viel Praxiserfahrung voraus und können zielgerichteter studieren.“ Im Handwerk gibt es inzwischen eine Vielzahl dualer Studiengänge, bei denen eine betriebliche Ausbildung mit einem Studium einhergeht. Einen Überblick gibt es in der Datenbank www.ausbildungplus.de des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB).

„Aufstiegsweiterbildungen“ wie die zum Meister können durch das Meisterbafög (www.meister-bafoeg.info) und das Weiterbildungsstipendium gefördert werden, eine Mischung aus Unterhaltszuschuss und zinsfreiem Darlehen. Außerdem vergibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung in enger Zusammenarbeit mit der HWK Berlin seit 1991 das Weiterbildungsstipendium (www.weiterbildungsstipendium.de). Die Bedingung ist, dass die Teilnehmer unter 25 Jahren alt sind und ihre Ausbildung mit sehr guten Noten abgeschlossen haben. Sie können auch von ihrem Betrieb oder ihrer Berufsschule empfohlen werden oder bei einem Wettbewerb gute Leistungen erbracht haben. Mit einem Zuschuss von bis zu 1700 Euro pro Jahr können sie ihre beruflichen Fort- und Weiterbildung finanzieren.

Der zeitliche Aufwand für die Meisterausbildung oder das Hochschulstudium kann an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden: Die vier Teile der Meisterfortbildung – Fachpraxis, Fachtheorie, Betriebswirtschaft und Recht, Berufs- und Arbeitspädagogik – gibt es als Tages-, Teilzeit- oder Wochenendlehrgang, heißt es bei der HWK Berlin. Auch ein Hochschulstudium kann parallel zum Beruf oder klassisch tagsüber in Vollzeit aufgenommen werden.

Für weiterbildungswillige Orthopädiemechaniker gibt neben drei Vollzeitschulen zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung in vielen Innungsbereichen auch Feierabend- und Wochenendkurse. „Die Vollzeitkurse umfassen in der Regel zwei Semester, die Vorbereitung auf die Meisterprüfung an Abenden und Wochenenden wird etwa zwei bis drei Jahre dauern“, sagt Jens Franke.

Martin Isenmann vom BIBB weist auf das „Northeimer Modell“ hin, das im Metallgewerbe an der Fachhochschule Northeim praktiziert wird. Danach können Abiturienten innerhalb von dreieinhalb Jahren im Rahmen eines praxisbezogenen Studiums eine Meisterprüfung ablegen.

Katrin Schnaube ist sich noch nicht sicher, was sie nach ihrer Ausbildung machen möchte. Eventuell will sie im Ausland arbeiten und dort Versehrten helfen. Eine interessante Weiterbildung findet sie den Diplom-Ingenieur für Orthopädie- und Reha-Technik. An der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik in Dortmund (BUFA) Dafür muss sie als Abiturientin nur die Gesellenprüfung in der Tasche haben. Azubis ohne Abi brauchen außerdem vier Jahre Berufserfahrung und müssen die Begabtenprüfung bestehen. Als Abschluss winken dann gleich drei Titel: Diplom-Ingenieur (FH) für Orthopädie- und Reha-Technik, Orthopädietechniker-Meister und ein Europäisches Diplom.

Und für alle, die sich zunächst für den Meisterbrief entscheiden: Man kann in vielen Bundesländern, so auch in Berlin, auch mit dem Meister in der Tasche an einer Hochschule studieren.

In einigen Berufen haben Schulabgänger inzwischen die Wahl zwischen einer Ausbildung an einer Berufsfachschule und einem Studium. An der Berliner Alice Salomon Hochschule kann man zum Beispiel die Fächer Physio- und Ergotherapie mit dem Abschluss Bachelor of Science (B.Sc.) studieren. Studiengangsleiterin Professor Jutta Räbinger sagt: „Deutschland ist innerhalb der EU das einzige und letzte Land, in dem diese Berufsgruppen nicht auf akademischem Niveau ausgebildet werden.“ Die Umstellung sei eine Art Fortsetzung der Bologna-Reform. Noch seien es allerdings deutlich weniger als zehn Prozent, die den Beruf des Physio- oder Ergotherapeuten durch ein berufsqualifizierendes Studium erlernen.

Im Gegensatz zur Berufsfachschule bereitet der Studiengang auf mehr Handlungsautonomie vor, zum Beispiel auf die Gründung einer eigenen Praxis, auf Personalmanagement und auf die eigene Durchführung kleinerer Forschungsprojekte.

Ein ähnliches Angebot gibt es für Erzieher. Sie können in sieben Semestern den Bachelor of Arts in „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ erwerben. Der Abschluss berechtigt dazu, mit Kindern bis zum Ende des zwölften Lebensjahrs zu arbeiten. juj



Und gerade wurde bekannt, dass an der Hochschule Fulda bald der erste berufsbegleitende Studiengang in Hessen für Hebammenkunde eingerichtet wird. Die Bewilligung sei vom Hessischen Sozialministerium erteilt worden, berichtet die Hochschule.

Der Studienbeginn ist für das Wintersemester 2012 geplant. Fulda ist damit nach Bochum der zweite Standort in Deutschland, an dem Hebammen ihre Profession auch studieren können. 30 Plätze stehen zur Verfügung. dpa

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