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Hauptversammlung Daimler AG

© ddp

Neuer Bahn-Chef: Wer ist Rüdiger Grube?

Ein Visionär ist er nicht. Trotzdem wollte er einst eine Welt-AG aufbauen. Leise agiert er, anders als sein Vorgänger. Diese Woche wird er Chef der Deutschen Bahn. Wer ist Rüdiger Grube?

Wo kommt er her, und was für ein Typ ist er?

Wie Konzernlenker ticken, verraten sie oft schon durch ein kurzes Lächeln. Da gibt es die Hoppla-ich-bin-ein-Topmanager-Lächler mit blitzenden Zähnen und Siegerpose, die sich im Blitzlichtgewitter sonnen. Oder die Mir-kann-keiner-Lächler, mit grimmigem Blick und angespannter Miene, die zu kämpfen haben, gerade in diesen Zeiten. Und es gibt Rüdiger Grube. Er lächelt einfach sein Rüdiger-Grube-Lächeln: freundlich, gelassen, irgendwie einnehmend. Genauso redet er auch. „Vielen Dank für diese Frage“, sagt er in großer Runde und nickt höflich, bevor er antwortet. Grube, 57, ein Freund schmuckloser Krawatten, kommt daher wie ein Sparkassendirektor. Oder ein Mathelehrer. Jedenfalls nicht wie einer, der einen Konzern mit 240 000 Beschäftigten steuern kann.

Genau das wird Grube aber in wenigen Tagen tun. Am Samstag hat ihn der Aufsichtsrat der Bahn zum Vorstandsvorsitzenden bestellt. Er tritt die Nachfolge von Hartmut Mehdorn an, der über die Datenaffäre gestürzt war. Und heißt nun für die meisten Deutschen Bahn-Chef mit Vornamen.

Das dürfte noch zu den geringeren Umstellungen im Leben des bisherigen Auto- und Flugzeug-Mannes gehören. Grube tritt an die Spitze eines Konzerns, der im Fokus steht wie kein zweiter. Und der in einer tiefen Krise steckt, nachdem ans Licht kam, dass er Mitarbeiter über Jahre der Korruption verdächtigte, E-Mails prüfte, Festplatten durchstöbern und sogar Konten ausforschen ließ. „Er hat eine Mammutaufgabe vor sich“, sagt ein Weggefährte. Der Spitzenjob ist Neuland für Grube. Bislang, im Daimler-Vorstand, stand er in der zweiten Reihe, als unsichtbarer Strippenzieher. „Das ist kein Mann für das Rampenlicht, kein Visionär“, sagen die, die ihn kennen.

Bei Daimler war Grube für die großen Strategiethemen zuständig. Wo soll der Konzern in ein paar Jahren stehen, mit welchen Produkten? Beim Nachdenken über diese Fragen hat Grube mit ein paar Vertrauten in den neunziger Jahren die Idee der Welt-AG ausgeheckt – mit dem Traum von Daimler als global präsentem Autobauer. Es folgten 1998 die „Hochzeit im Himmel“ mit Chrysler, die Verbindungen mit Mitsubishi und Hyundai – und 2005 ein beispielloses Desaster, weil es den Daimler-Leuten misslang, die vielen Teile zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Bis heute wirft dies einen Schatten auf Grubes Karriere.

Was unterscheidet ihn von seinem Vorgänger Hartmut Mehdorn?

„Sie können ein Unternehmen nicht mit Wattebäuschen an den Händen sanieren“, „Wir sind keine Schlaffmänner“, „Ich trete nicht an, um Applaus zu bekommen“ – solche Sprüche der Marke Mehdorn kommen Grube nicht über die Lippen. Mehdorn polterte, provozierte, lag mit Kunden, Politikern, Umweltverbänden und Gewerkschaften über Kreuz. Grube nennt seinen einstigen Chef zwar ein „großes Vorbild“ – doch er kommt anders daher, als Mensch der leisen Töne.

Auch deshalb ist der Chefwechsel bei der Bahn eine Zäsur. „Respekt, Glaubwürdigkeit, Disziplin“ nennt der Hanseat als Werte, die ihm wichtig sind. Als „sehr umgänglich“ und „stets verbindlich“ bezeichnen ihn Kollegen. Und als „Arbeitstier“, als Mann der Zahlen – selten taucht er in Besprechungen ohne Aktenordner und Folienpräsentation auf. So will er überzeugen. Meistens gelingt ihm das auch. Doch in seinem neuen Job, wo ihm jeder reinreden will, muss er auch Zähne zeigen. „Man kann die Bahn nicht nur mit Freundlichkeit führen“, rät ein hochrangiger Manager des Konzerns.

Wie geht er mit der Datenaffäre um, wegen der Mehdorn zurücktreten musste?

„Die oberste Aufgabe ist es, das Vertrauen der Mitarbeiter und der Kunden zurückzugewinnen“, hat Grube angekündigt. Er hat sich vorgenommen, zunächst die Bahn kennenzulernen, die vielen Zugbegleiter, Lokführer, Rangierer, Serviceleute. Neben Charme will er auch Härte zeigen. „Zügig und lückenlos“ werde er die Affäre aufarbeiten. Das bedeutet viel Arbeit. Mit geheimdienstähnlichen Methoden sollen die Bahn-Detektive Mitarbeiter ausgeforscht haben. Insider berichten, die Abteilungen Konzernsicherheit und Revision hätten ein regelrechtes Eigenleben entwickelt. Womöglich wussten einige im Vorstand davon – dann muss Grube einen Schnitt machen. Hartes Durchgreifen verlangen die Arbeitnehmer. Eine „tiefe Vertrauenskrise“ sieht Alexander Kirchner, Chef der Gewerkschaft Transnet. „Die Beschäftigten, die jahrelang ausspioniert wurden, trauen dem Vorstand nicht mehr über den Weg. Grube muss für eine neue Kultur sorgen und den Mitarbeitern mehr Respekt entgegenbringen“, sagte er dem Tagesspiegel. Neue Regeln zum Datenschutz müssten her, die „schärfer sein müssen als das, was der Gesetzgeber verlangt“.

Welche weiteren wichtigen Projekte muss er als Erstes angehen?

Mehdorn hinterlässt ein Unternehmen im Zenit. In den kommenden Jahren wird es keine Rekordbilanzen mehr geben. Das liegt nicht nur an der Wirtschaftskrise, die die einst hoch profitable Gütersparte durchschüttelt. Die Länder, die den Regionalverkehr auf der Schiene bestellen, ordern Züge immer öfter bei Bahn-Konkurrenten. Das knabbert am noch üppigen Gewinn. Und im Fernverkehr mit den ICEs sind im Schnitt nur 44 von 100 Sitzen besetzt. Grube muss dafür sorgen, dass mehr Leute in die Züge steigen. Dieses Problem hat er erkannt: Den „besten Service der Welt“ müsse die Bahn bieten, fordert er. Im Güterverkehr reicht das nicht. „Wir brauchen eine Offensive, damit die Bahn aus der Krise gestärkt hervorgeht“, sagt Transnet-Mann Kirchner. Die Bahn dürfe nicht ins Trudeln geraten.

Wie ist sein Verhältnis zur Politik?

Die führenden Koalitionäre in Berlin sind so begeistert von Grube, dass jeder für sich reklamiert, ihn als Chef vorgeschlagen zu haben. Einer mahnt gleichwohl: „Grube muss kommunikativer sein als sein Vorgänger.“ Das dürfte ihm nicht schwer fallen. Er ist Diplomat, das hat er als Verwaltungsratschef des europäischen Luftfahrtkonzerns EADS bewiesen. Aus der Zeit kennt Grube wichtige Politiker, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy ebenso wie Angela Merkel. Mit Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee war er rasch per Du, die Gewerkschaften sind angetan. Trotzdem wird er in puncto Strategie keine neuen Pflöcke einschlagen können – kurz vor der Wahl ist Ruhe seine erste Pflicht. Was der Bund mit der Bahn vorhat, ob der Börsengang weiterhin ein Fernziel ist, wird Grube erst vom neuen Bundeskanzler erfahren.

ZUR PERSON

GEBOREN
Rüdiger Grube wurde am 2. August 1951 in Hamburg geboren.

AUSBILDUNG
Grube ist ein Spätstarter. Nach einer Lehre als Metallflugzeugbauer wurde er Diplomingenieur für Fahrzeugbau und Flugzeugtechnik, anschließend studierte er Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Erst mit Ende 30 begann er seine Karriere. Seit 1996 arbeitete er bei Daimler, zuletzt war er Strategie-Vorstand und Chef des Verwaltungsrats beim Luftfahrtkonzern EADS.

FAMILIE
Grube ist verheiratet und hat zwei Kinder.

WEGBEGLEITER

DER FÖRDERER
1996 hieß Deutschlands Vorzeige-Autobauer noch Daimler- Benz, und Jürgen Schrempp, gerade Chef geworden, holte seinen Vertrauten Rüdiger Grube nach Stuttgart, in die „Bullshit Castle“ genannte Zentrale. Seitdem war Grube einer der treuesten Mitstreiter Schrempps. „Er hat den angehimmelt“, heißt es über ihr Verhältnis. Nur einmal, 1999, kehrte Grube ihm den Rücken, um Chef eines Mittelständlers zu werden – was misslang. Schrempp holte Grube zurück, er sollte Chrysler integrieren. Bis zuletzt stützte Grube die Vision von der „Welt-AG“. Doch es half nichts: 2005 musste Schrempp gehen.

DER KRITIKER
Nur wenige mögen Grube nicht. Wolfgang Bernhard, einst Kronprinz bei Daimler-Chrysler, ist einer von ihnen. Grubes Festhalten an den Auslandsengagements, die Milliarden verschlungen haben, soll der Grund dafür sein.

DER VORGÄNGER
Es war 1989. Hartmut Mehdorn war Vorstand beim Flugzeugbauer Dasa, und Grube suchte einen Job. Also ging Grube zu Mehdorn und bot seine Dienste an – in den ersten drei Monaten unentgeltlich. Mehdorn, von diesem ungewöhnlichen Angebot offenbar überrascht, machte Grube zu seinem Büroleiter und lehrte ihn die Feinheiten der Machtpolitik. Bis heute spricht Grube nur mit großem Respekt von seinem Vorgänger und Ex-Chef. Die Bahn habe sich unter Mehdorn „toll weiterentwickelt“, bisweilen sei er neidisch gewesen ob so vieler Verbesserungen.

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