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Gert Wagner will mehr auf Kooperation setzen als sein Vorgänger.

© Doris Spiekermann-Klaas

Neuer DIW-Chef Wagner: "Der Sündenbock ist weg"

Der Berliner Wirtschaftsprofessor Gert Wagner tritt beim DIW die Nachfolge des umstrittenen Klaus Zimmermann an. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Fehler der Vergangenheit und Pläne für die Zukunft.

Herr Wagner, den zurückgetretenen DIW-Präsidenten Klaus Zimmermann bezeichnen Mitarbeiter als Diktator. Was sind Sie?

Ein erfahrener Wissenschafts-Manager, der weiß, was er will. Der vor allem weiß, dass in der Forschung nichts ohne Kooperation geht. Ich gelte unter meinen Kollegen als jemand, der alle mitnehmen möchte, aber auch die Neigung hat, sich am Ende durchzusetzen.

Was hat Zimmermann Ihrer Ansicht nach falsch gemacht?

Wir schauen nach vorne, nicht zurück.

Das Image des DIW ist am Boden, bei den Finanzen herrscht Chaos, die Moral der Mitarbeiter ist mies. Teilen Sie diese Analyse?

Das Imageproblem wird sich zum Teil von selbst lösen …

… weil die Reizfigur Zimmermann weg ist?

Ist wohl so. Die Medien haben nicht mehr den Buhmann, an dem sie sich reiben können. Finanzprobleme hatte das DIW immer wieder, schon 1989, als ich kam, oder Mitte der 90er Jahre. Ich sehe nicht, dass die heutige finanzielle Lage gravierender wäre als damals. Intern ist die Stimmung nach meinem Eindruck besser geworden, seit der Führungswechsel bekannt ist. Allerdings gibt es in großen Organisationen immer Reibereien. Niemand sollte erwarten, dass nun ewig Friede, Freude, Eierkuchen herrschen. Im Gegenteil: Der Sündenbock ist weg. Nun wird es wieder Streit untereinander geben. Das ist in der Wissenschaft normal und meistens auch produktiv.

Unter Zimmermann war das DIW eine One-Man-Show. Was werden Sie ändern?

Ich habe mich nicht zum Präsidenten wählen lassen, sondern zum Vorsitzenden des Vorstands. So steht es auch in der Satzung. Die Bezeichnung „Präsident“ steht da nur in Klammern. Die Bezeichnung „Vorstand“ macht klar, dass das mehrere Leute sind, die gut zusammenarbeiten müssen.

Sie wollten schon im Jahr 2000 Chef werden, wurden aber abgelehnt. Ist es eine Genugtuung, dass sie es doch noch schaffen?

Mein Lebensziel war der Posten nicht mehr. In den vergangenen Jahren habe ich viel Grundlagenforschung betrieben. Die nun zurückzufahren fällt mir nicht leicht.

Muss nicht an der Spitze des DIW, das 1925 als Institut für Konjunkturforschung gegründet wurde, ein Makroökonom stehen? Sie sind Sozialforscher.

Als Vorsitzender des Vorstands muss man in erster Linie das Institut zusammenhalten, nicht jeden Bereich inhaltlich dominieren. Dafür gibt es Spezialisten, etwa den Leiter der Konjunkturabteilung oder unseren Prognose-Spezialisten, der andernorts „Chefvolkswirt“ genannt wird.

Ihre Lage ist pikant – Sie haben jahrelang loyal zu Zimmermann gestanden, sollen aber nun seine Fehler ausbügeln. Und Sie haben in Bert Rürup einen Kuratoriumschef, der gern das Heft in die Hand nimmt.

Dass Bert Rürup eine starke Stellung hat, kann ich ohne Probleme akzeptieren. Und ich weiß: Wenn wir keinen Anlass geben, wird er auch nicht im Detail eingreifen.

Wo wollen Sie hin mit dem Haus?

Das DIW ist ein großes Institut mit einer langen Tradition. Wir haben unglaublich viele leistungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Spitzen-Doktoranden, erfahrene, einflussreiche Politikberater, angehende Professoren, so viele Hochschullehrer wie noch nie. Und viele, die unverzichtbare Service-Aufgaben mit Begeisterung ausüben. Es gilt nun, die Stärken mehr herauszustellen. Das DIW hat die moderne Konjunkturforschung in den zwanziger Jahren erfunden. Dafür steht das DIW noch immer. Das hat auch das Kuratorium unterstrichen. Deshalb müssen wir Fragen von Makroökonomie und Konjunktur wieder mehr Gewicht geben und uns auch auf der Vorstandsebene personell verstärken. Außerdem sind wir in Fragen von Infrastruktur undWettbewerb sowie der Einkommensverteilung und Besteuerung traditionell stark. Hinzu kommen seit einiger Zeit Fragen der Nachhaltigkeit. Das soll so bleiben.

Wann wird das DIW wieder zum Kreis der Institute zählen, die Konjunkturprognosen für die Regierung schreiben?

Es muss nicht unbedingt schon 2013 klappen, wenn die nächste Ausschreibung ansteht. Aber wenn Makroökonomie und Konjunktur wieder ein intellektueller Schwerpunkt im DIW werden, wird sich das von selbst ergeben.

Früher galt das DIW als links, Zimmermann hat es zu einem Mainstream-Institut gemacht. Sie gelten als SPD-nah – wird sich das niederschlagen?

Bei Konjunkturfragen reicht die rein angebotsorientierte Sicht – also die Neoklassik – nicht aus, es geht um einen umfassenden Blick. Das hat aber nichts mit SPD-Nähe zu tun. Ich persönlich halte es für sinnvoll, keynesianische Ansätze zu stärken, wenn sie nicht in Ideologie ausarten. Eine Gefahr, die für die Neoklassik übrigens mindestens ebenso groß ist. Und bei jungen Volkswirten ist das Lager-Denken – hier Keynesianer, dort Neoklassiker – ohnehin überholt. Zu Recht.

2012 wird die wissenschaftliche Qualität des DIW geprüft, davon hängen die staatlichen Zuschüsse ab.

Die Evaluierung wird schwierig, ist aber alles andere als aussichtslos. Klaus Zimmermann hat Enormes geleistet. Bei der Veröffentlichung von Studien in Fachzeitschriften, dem Maßstab für gute Forschung, sind wir seit 2000 viel besser geworden.

Was hat der Steuerzahler davon, wenn er dem DIW pro Jahr 14 Millionen Euro im Jahr überweist, die Politik sich aber um die Forschungsergebnisse kaum kümmert?

Naturwissenschaftliche Institute bekommen zehnmal so viel wie wir, etwa für Teilchenbeschleuniger, und es fragt niemand, wie viele Patente dabei herauskommen. In der Wirtschaftswissenschaft ist ebenso Grundlagenforschung nötig, die nicht unmittelbar zu Politikkonzepten führt. Und da Empirie, also Statistiken, eine immer größere Rolle spielen, ist sehr gute wirtschaftswissenschaftliche Forschung auch teurer denn je.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup

DER FORSCHER

Gert G. Wagner (58) leitet seit Freitag das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Er arbeitet seit 1989 für das Haus und leitet das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP), eine Langzeitbefragung von 12 000 Haushalten. Zudem ist Wagner Volkswirtschaftsprofessor an der TU Berlin.

DAS INSTITUT

Das DIW ist das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut mit mehr als 100 Forschern. Wagners Vorgänger Klaus Zimmermann erklärte seinen Rücktritt, nachdem der Landesrechnungshof dem Institut vorgeworfen hatte, öffentliche Mittel falsch ausgegeben zu haben.

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