zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Neuer Markt: "Das Schlimmste liegt hinter uns"

Andre Köttner (29) ist Portfoliomanager bei Union Investment in Frankfurt (Main), der Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken. Er ist Experte für Technologiewerte an den Wachstumsmärkten und verantwortlich für die Branchen Internet und Software.

Andre Köttner (29) ist Portfoliomanager bei Union Investment in Frankfurt (Main), der Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken. Er ist Experte für Technologiewerte an den Wachstumsmärkten und verantwortlich für die Branchen Internet und Software. Nach dem Studium der Mathematik und Physik durchlief er 1997/98 bei der DG Bank eine Ausbildung im Wertpapierbereich. Seit April 1998 ist er Fondsmanager. Heute ist Köttner verantwortlich für vier internationale Technologie-Fonds mit einem Fondsvolumen von insgesamt mehr als fünf Milliarden Mark. Er ist Co-Autor des im November 1999 erschienenen Buches "Internet-Aktien für Einsteiger".

Herr Köttner, bei dem jüngsten Kursrutsch an den Technologiebörsen ist der Neue Markt gegenüber seinem Rekordhoch vom März um mehr als die Hälfte gefallen. Inzwischen hat er sich wieder etwas erholt. Liegt das Schlimmste hinter uns ?

Ja, ich denke, dass die Talsohle hinter uns liegt und wir am Jahresende deutlich höher stehen werden. Aber ich finde die Marktentwicklung gar nicht so ungewöhnlich. Das ist eine Bewegung, die wir erstaunlicherweise jedes Jahr sehen, dass gerade im Technologiebereich die Aktien sich im Sommer und bis in den Herbst hinein die Kurse besonders schlecht entwickeln. Die stärksten Quartale sind dann das vierte und das erste.

Woran liegt das?

Das hängt mit den Geldströmen zusammen; zum Ende und zum Anfang des Jahres fließt viel Geld in die Fonds und in die Märkte. Genauer kann ich mir die Ursachen der saisonalen Marktbewegungen, die wir schon seit zehn Jahren erleben, aber nicht erklären. Bei Technologiefirmen ist es allerdings oft so, dass ihr stärkstes Geschäftsquartal das vierte ist.

Wie kommt das?

Viele der Unternehmen machen 50 Prozent ihrer Umsätze in diesem Quartal, weil die Abnehmerfirmen ihre Budgets für Informationstechnologie bis Ende des Jahres investiert haben müssen, und viele schöpfen erst im letzten Quartal ihre Budgets voll aus. Dann kann natürlich im Januar ein gutes Quartalsergebnis vorgelegt werden.

Wie gehen Sie bei der Auswahl der Aktien vor?

Wir favorisieren Aktien von Technologie-Unternehmen, die nach unserer Einschätzung gut im Markt stehen und bei denen wir das Gefühl haben, dass sie in einigen Jahren noch existieren und weiter wachsen können. Wir versuchen nicht unbedingt Timing zu betreiben, richten uns also kaum nach den saisonalen Anlagegewohnheiten.

Wir haben bisher mit dem Hoch im März und dem Tief jetzt im Oktober ein außergewöhnliches Jahr bei den Technologiewerten gehabt. Führt das nicht zu einer zu starken Verunsicherung der Anleger?

Wir glauben, dass es jetzt erst einmal wieder aufwärts geht. Aber in den nächsten Jahren wird es wieder solche Phasen geben, die gut sind für den Markt, weil sich da die Spreu vom Weizen trennt. In solch einer Phase haben die Anleger die Möglichkeit, gute Aktien nachzukaufen, und die Aktien der schlechten Unternehmen fallen drastisch ab und verschwinden mit der Zeit auch teilweise vom Markt.

In vielen Aktien - insbesondere in Internetwerten - war viel heiße Luft drin. Ist die jetzt vollständig raus?

Manche Unternehmen werden nie Gewinn machen, in fünf Jahren wird es 90 Prozent der Internetwerte nicht mehr geben. Es gibt Geschäftsmodelle, die einfach nicht aufgehen, die sich voll über Werbung finanzieren, oder auch Internet-Serviceprovider beziehungsweise Web-Portale, die den Zugang zum Internet anbieten, wo aber die Gebühren in den nächsten Jahren wegfallen oder zumindest deutlich sinken werden. Manche werden überleben - T-Online ist in Deutschland vielleicht der Wert, der noch die besten Chancen hat. Aber kleinere, die nur in Deutschland tätig sind und die einfach nicht die kritische Größe haben, um überhaupt für Werbetreibende attraktiv zu sein, werden sich nicht halten.

Offenbar wurde die Internet-Branche überschätzt. Sehen Sie noch andere Geschäftssparten oder Branchen in der New Economy, die deutlich überschätzt werden?

Wir hatten kürzlich diesen Trend zur Biotechnologie. Insgesamt verspricht dieser Bereich Chancen, aber viele einzelne, kleine Unternehmen werden nicht am Markt überleben. Ähnliches gilt für die Logistik.

Der Neue Markt ist in Verruf geraten - wegen falscher Bilanzierung und teils völlig überzogener Umsatz- und Gewinnerwartungen bei etlichen Unternehmen. Wie wird die Wachstumsbörse das Zocker-Image wieder los?

Insgesamt haben die drastischen Enttäuschungen bei einigen Firmen und der Kursverfall auch ihr Gutes. Es zeigt: Es gibt nicht das sichere Investment. Der neue Markt ist noch jung und muss sich die Lorbeeren erst noch verdienen, die er vorweg schon bekommen hat. Gigabell wird nicht die letzte Pleite bleiben. Aber der Ruf ist nicht ruiniert, der Markt wird sich das Vertrauen wieder zurückholen, indem die Unternehmen gute Ergebnisse vorlegen.

Wie stark spielte die Gier mit - bei Anlegern, aber auch bei den Firmenvorständen und den Emissionsbanken?

Die hat sicher eine Rolle gespielt. Es gab Zeiten, da hat sich jede Emission verdoppelt, man konnte quasi blind zeichnen, ohne das Unternehmen überhaupt einigermaßen zu kennen. Das sind aber Phasen, die nicht über längere Zeit anhalten können. Bei den Emissionsbanken spielt der Wettbewerb eine Rolle, man möchte selbst zum Zuge kommen und wird vom Emittenten getrieben, den Preis des Unternehmens beim Börsengang möglichst hoch anzusetzen. So kamen manche Firmen schon mit einer hohen Bewertung an die Börse, so dass kaum Spielraum für eine gute Aktienperformance blieb.

Ein Problem ist doch wohl auch, dass die Informationen, die die Privatanleger bekommen, nur scheinbar vielfältig und objektiv sind. Emissionshaus, Analysten und die investierenden Fondsmanager stecken doch oft unter dem Dach einer großen Bank.

Unternehmen tendieren oft dazu, sich zu positiv zu verkaufen. Und die Bank, die die Aktien platzieren will, wird dem Unternehmen gegenüber vielleicht auch eher ein bisschen zu positiv gestimmt sein. Hier muss der Anleger, der in Einzelwerte investiert, sich Zeit nehmen, um Informationen zu sammeln und Für und Wider abzuwägen.

Fühlen Sie sich da auch manchmal falsch informiert?

Ja, das passiert auch. Wenn wir aber merken, dass die Unternehmen Luftschlösser bauen, dann werfen wir sie sofort aus dem Portfolio raus.

Am Neuen Markt wird viel getrickst, obwohl hier die Börsenregeln besonders streng sind. Sind die Sanktionen zu lasch?

Die Sanktionen könnten härter sein, damit die Anleger nicht mit falschen oder rein von Werbeabsichten bestimmten Ad-hoc-Meldungen an der Nase herum geführt werden.

Und die Wertpapieraufsicht, muss sie härter durchgreifen?

In den USA gibt es mit der Securities Exchange Commission (SEC) eine sehr starke Börsenaufsicht mit viel Personal und Erfahrung. Die deutsche Aufsicht hat nicht die Mittel und das Standing wie die SEC.

Hat die Rolle der Aufsicht mit der Börsenentwicklung in Deutschland nicht Schritt gehalten?

Es wäre sinnvoll, die Aufsicht auszubauen und die Kontrolle bei der Börsenzulassung sowie die Verhänging von Sanktionen zu verstärken. Die SEC ist finanziell viel besser ausgestattet. Das ist auch eine Frage der politischen Prioritäten.

Lernt die Anlegerschaft aus solchen Krisen, wie wir sie jetzt hatten?

Unsere Aktienkultur wächst noch, und in Lernphasen werden nun mal Fehler gemacht. Wir raten den Anlegern, dass sie gerade am Neuen Markt ihr Risiko auf mehrere Werte streuen sollen, dass sie langfristig - mit einem Anlagehorizont von mindestens drei Jahren - investieren und Empfehlungen grundsätzlich kritisch betrachten sollen. Auf den Studien von Analysten steht zu 90 Prozent "Kauf", "Verkauf" findet man selten.

Was könnte man am Neuen Markt noch verbessern, um Vertrauen zurückzugewinnen?

Die Transparenz. Man könnte den Managern der notierten Gesellschaften vorschreiben, ihre Kauf- und Verkaufspositionen bei Aktien des eigenen Unternehmens zu veröffentlichen, wie das auch die SEC in den USA verlangt.

Zurück zu den Chancen an der Börse. Sie sagten, die Talsohle liege hinter uns. Wo stehen wir am Neuen Markt in sechs Monaten?

Das ist schwer zu sagen. Kurzfristig wird es weiter aufwärts gehen, zum Jahresende stehen wir etwa 20 Prozent höher als heute. Und langfristig sind wir mit dem technologischen Aufschwung noch längst nicht am Ende. Ich bin da für die Börse optimistisch.

Wo bieten sich die besten, die nachhaltigsten Anlagechancen?

Die sehe ich im Bereich der Internet-Infrastruktur, das umfasst Hard- und Software. Am Internet kommt kein Unternehmen vorbei, und die Firmen, die die Infrastruktur stellen, werden am meisten profitieren. Ich denke hier an Unternehmen wie Cisco, Oracle, Siebel und I2 Technologies in den USA und beispielsweise SAP, Intershop und Kontron Embedded in Deutschland.

Herr Köttner[bei dem jüngsten Kursrutsc]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false