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Wirtschaft: Neuer Markt: Mitunter sind strenge Regulierungen auch nützlich

Als sich die US-Technologiebörse Nasdaq in Europa als Hort aufsteigender Unternehmen präsentieren wollte, wurden in Europa Fernsehspots mit Bill Gates geschaltet. Der deutsche Neue Markt trat bei seiner Geburtsstunde anders auf: Investoren und Unternehmen wurden mit 38 Seiten Vorschriften begrüßt.

Als sich die US-Technologiebörse Nasdaq in Europa als Hort aufsteigender Unternehmen präsentieren wollte, wurden in Europa Fernsehspots mit Bill Gates geschaltet. Der deutsche Neue Markt trat bei seiner Geburtsstunde anders auf: Investoren und Unternehmen wurden mit 38 Seiten Vorschriften begrüßt. Doch die Taktik lohnte sich nach den Worten von Werner Seifert, Vorsitzender der Deutsche Börse AG: "Der am meisten regulierte Markt ist am schnellsten gewachsen." Nach knapp drei Jahren umfasst der deutsche Markt für kleine, wachstumsstarke Unternehmen über 300 Teilnehmer und kann eine Marktkapitalisierung von rund 190 Milliarden Euro vorweisen. Hunderttausende Investoren zog er an. Die Aktien des Neuen Markts sind die Stars der New Economy.

Diese Entwicklung zeigt, dass strenge Regelungen dem Handel keineswegs abträglich sind. "Die Deutschen haben einen Markt geschaffen, dem die Anleger glauben können. Die Unternehmen wollen mit dieser Qualität identifiziert werden", sagt Simon Johnson, Professor für Management. Durch stringente Mitteilungs- und Notierungsregelungen wandte sich der Neue Markt an Privatanleger, deren Vertrauen viele Kurse dann auch explodieren ließ. Doch auch institutionelle Investoren wurden durch den einfachen Zugang zu Informationen und die Liquidität angezogen. "Der Neue Markt gewann Vertrauen, weil die gelisteten Unternehmen ihre Quartalszahlen und Wachstumserwartungen Monate vor anderen Marktteilnehmern veröffentlichen", sagt James Campbell, Fondsmanager bei Fleming Asset Management, und erklärt, dass Unternehmen des Neuen Markts zur Marktreferenz geworden sind.

Die Regeln des Neuen Markts sind strenger als die anderer deutscher Börsen. Anders als die Blue-Chip-Unternehmen des Dax müssen Neue-Markt-Zöglinge ihre Gewinne spätestens zwei Monate nach Quartalsende in deutsch und englisch bekanntgeben; sie bieten nur Stamm-, keine Vorzugsaktien an und arbeiten nach US-amerikanischen oder internationalen Bilanzierungsregeln. Ferner dürfen Gründungsaktionäre aus einer Erstnotierung ihre Wertpapiere frühestens sechs Monate nach Börseneinführung veräußern. Andere europäische Wachstumsbörsen haben die Standards inzwischen übernommen.

In Deutschland wurden sie für kleinere Old-Economy-Unternehmen zur Regel. Innerhalb der vergangenen 15 Monate unterwarfen sich 125 von ihnen nahezu sämtlichen Kriterien des Handels am Neuen Markt. Davon bleibt nur eine Kategorie unbeeindruckt: die großen Unternehmen der Frankfurter Börse. Insider prognostizieren zwar, dass jene Standards eines Tages für alle börsennotierten Firmen gelten könnten, doch dafür machen sich derzeit weder Regierung noch die Börse stark.

Wird die Fusion zwischen der Frankfurter und der Londoner Börse vollzogen, könnte der Handel mit Blue-Chip-Werten aus London mit härteren Vorschriften erfolgen. Der Markt für Wachstumswerte wird Frankfurt zugeteilt - doch dafür sind noch keine Vorschriften vereinbart.

Am Neuen Markt passiert dafür viel - und schnell. Der Start war untermauert worden durch den Börsengang der Deutschen Telekom 1996, der rund eine Million Deutsche zu Anlegern machte. Die Notierung der Mobilcom AG wuchs von einem Tag zum anderen, während die elektronische Xetra-Plattform dem Neuen Markt mehr Liquidität bescherte als vielen anderen Wachstumsmärkten. Ganz ohne Geburtswehen ging es allerdings nicht. Manche Investoren rügen, dass die Umsatzzahlen unbeständiger und weniger detailliert seien als an der Nasdaq, während die Mitteilungsregeln britischen und amerikanischen Vorbildern noch einiges schuldig blieben. Zuletzt erntete die Deutsche Börse Kritik, als interne Regelungen zugunsten der Emission von T-Online geändert wurden. Manche Investoren kritisieren, dass bislang keine Möglichkeit besteht, beim Verstoß gegen etablierte Börsenregeln Strafen zu verhängen. Dennoch hat sich die Deutsche Börse gegen Schlupflöcher tatkräftig eingesetzt. Eine besondere Flexibilität verleiht ihr die Tatsache, dass nicht Gesetze, sondern Verträge zwichen der Börse und den vertretenen Unternehmen Grundlage des Handels sind. Als im vergangenen Sommer Zweifel über die Einhaltung der Sperrzeit für Altaktionäre laut wurden, führte die Börsenaufsicht eine Registrierung der Erstaktien ein. "Wann immer eine neue Situation auftrat, reagierten wir", sagt Volker Potthof, im Vorstand der Deutschen Börse für den Neuen Markt zuständig. "Wichtig ist, dass uns die Flexibilität erlaubt, eigene Regeln zu etablieren."

Nicht, dass der Neue Markt skandalfrei wäre. Als die Gründer des Software-Herstellers Netlife die Früchte ihrer Investition schon vor dem Börsengang ernten wollten, verkauften sie ihre Filialen an die Muttergesellschaft für 100 Millionen Mark. Trotz Veröffentlichung drang die Information erst nach der Emission und durch negative Berichterstattung zu vielen Privatanlegern durch. Als der Kurs rutschte, mussten die Gründer auf ausstehende 65,3 Millionen Mark verzichten.

Zur Absicherung der Liquidität muss der Gang an den Neuen Markt von zwei Banken begleitet werden. Dieser Umstand und das Xetra-System verleihen dem deutschen Wachstumsmarkt wesentlich mehr Liquidität, als das bei der in Brüssel geführten Easdaq der Fall ist. In diesem Punkt sei jedes Unternehmen am Neuen Markt besser aufgehoben, meint Michael Bednar von UBS Warburg. Anders als etwa der Nouveau Marché, der in seinen frühen Tagen auch ein Friseurunternehmen oder einen Tierfutterhändler akzeptierte, müssen die Kanditaten für den Neuen Markt in den typischen Bereichen der New Economy tätig sein - zum Beispiel Telekommunikation, Software oder Biotechnologie. Zufrieden mit Informationsgewinnung, Liquidität und natürlich den Gewinnen hat der Fleming-Fondsmanager Campbell inzwischen 80 bis 90 Prozent der von ihm betreuten Anlagen am Neuen Markt platziert.

Der Erfolg zahlt sich für viele aus: Der Autozulieferers Bertrandt war bei Gründung des Neuen Markts einer der Debütanten. Noch im Oktober 1996 versuchte das Unternehmen vergeblich, am regulären Frankfurter Markt Fuß zu fassen. In den ersten zwei Monaten fiel die Aktie bereits um 22 Prozent. "Wir wuchsen um 40 bis 50 Prozent jährlich und wurden nicht fair bewertet", sagt Vorstand Heinz Kenkmann. Als der Neue Markt für 1997 ausgeschrieben wurde, war Kerkmann dabei und setzte für sein Unternehmen ein neues Buchhaltungssystem durch. Vor allem durch institutionelle Anleger, die etwa zwei Drittel der gehandelten Anteile besitzen, verdreifachte sich der Kurs der Bertrandt-Aktie zwischenzeitlich. "Es war ein großer Einsatz, aber wir sind viel transparenter geworden - auch für uns selbst", resümiert Kenkmann.

Vanessa Fuhrmanns

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