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Wirtschaft: New Economy: Michael Fraikin: "Man darf nicht jährlich dreistellige Renditen erwarten"

Zum Thema Online Spezial: New Economy Michael Fraikin ist für viele hundert Millionen Mark Anlegerkapital verantwortlich. Der 33 Jahre alte Betriebswirt und Absolvent der London School of Economics managt für Invesco den Neue Märkte Fonds.

Zum Thema Online Spezial: New Economy Michael Fraikin ist für viele hundert Millionen Mark Anlegerkapital verantwortlich. Der 33 Jahre alte Betriebswirt und Absolvent der London School of Economics managt für Invesco den Neue Märkte Fonds. Von der nervösen Verfassung der Märkte lässt sich der Profi nicht aus der Ruhe bringen. Fraikin setzt auf handwerklich gute Analyse und sein Gespür im Gespräch mit Unternehmern. Der Portfoliomanager arbeitet seit 1997 für Invesco. Seine Ausbildung begann er als Trainee bei der Commerzbank, für die er von 1992 bis 1996 als Investment-Analyst Aktien unter die Lupe nahm.

Grafik: Stärker als der Neue Markt

Bereiten Ihnen Abende, an denen die Kurse an der Nasdaq um sechs Prozent einbrechen, schlaflose Nächte?

Nein, dann könnte ich diesen Job ja gar nicht machen. Die Marktvolatilität gehört zum Beruf. Dass der weniger Spass macht, wenn die Märkte fallen, ist ganz normal.

Auch professionelle Geldverwalter konnten den Absturz ihrer Fonds nicht verhindern. Ihre Kunden mussten empfindliche Verluste von rund 60 Prozent verkraften. Was sagen Sie wütenden Anlegern, die Sie fragen: "Wo ist unser Geld geblieben?"

Denen erläutere ich, was am Neuen Markt passiert ist, wobei das den meisten ja bewusst ist. Der Anleger trifft die Entscheidung, dass er in einen Neue-Märkte-Fonds investiert, und den bekommt er. Unser Ziel ist es, eine bessere Performance als der Markt zu erzielen. Von 27 Monaten seit Auflegung des Fonds haben wir in 24 Monaten den Nemax geschlagen. Das ist außerordentlich gut. Dennoch raten wir unseren Kunden, nur fünf bis 20 Prozent ihres Aktienvermögens in den Neuen Markt zu investieren. Wachstumsaktien sind kein Instrument, um schnell reich zu werden, sondern nur eine Depotbeimischung.

Nicht alle Anleger beherzigen ihren Ratschlag - im Gegenteil. Viele setzen alles auf wenige Einzelwerte. Ist das zu gewagt?

Es ist eigentlich nicht rational auf diesem Markt nach Einzelwerten zu jagen: Die Volatilität ist extrem hoch und als Privatinvestor haben sie eine schwache Informationsbasis. Auch wir haben schon erlebt, dass ein Unternehmen behauptet, die Geschäfte laufen glänzend. Vier Wochen später kommt es dann mit einer Gewinnwarnung. Da fragen sie sich natürlich: Hat er gelogen oder wußte er es nicht besser?

Die Anlagevorschriften verpflichten Sie, in den Neuen Markt zu investieren, egal ob die Kurse steigen oder fallen. Ist das machmal ein Fluch?

Natürlich wünsche ich mir ab und zu, dass der Neue Markt steigt und ich ihn jeden Monat schlage. Aber das ist natürlich nicht zu erwarten. Wobei man aber sagen muss, dass der Crash am Neuen Markt über das vernünftige Maß hinausgegangen ist. Wir haben mittlerweile Indexstände erreicht, die deutlich unter dem Stand vom Dezember 1998 liegen, als wir den Fonds aufgelegt haben. Ein Investor, der von Anfang an dabei war, liegt immer noch um 60 Prozent vorn.

Wie kommt es, dass die Kurse immer tiefer einbrechen?

Die gleichen Faktoren, die den Markt beflügelt haben, ziehen ihn jetzt nach unten: Momentum und Nachrichtenfluss.

Vorstände und Aufsichtsräte haben zuletzt massiv Papiere verkauft. Ist das ein Alarmsignal?

Die Erfahrung lehrt, dass das meist ein schlechtes Zeichen ist. Ich kann aber verstehen, dass jemand, der über zehn Jahre ein Unternehmen aufgebaut hat, und jede freie Minute und freie Mark in das Unternehmen gesteckt hat, dann sagt: Jetzt will ich auch ein bisschen Geld für mich haben. Das muss aber in einem vernünftigen Verhältnis steht. Wenn jemand furchtbar viel Geld haben will, dann gibt uns das zu denken.

Kommt es auch mal vor, dass Sie ein größeres Aktienpaket los werden wollen, das aber nicht so schnell gelingt? Wenn ich meine, ich muss da sofort raus, dann mache ich das ohne Rücksicht darauf, ob der Kurs um 20 oder 30 Prozent fällt.

Woran liegt es, dass es den Neuen Markt übler erwischt hat als die US-Technologiebörse Nasdaq?

Er war viel teurer. Als der Neue Markt aufgelegt wurde, waren Analysten mit ihren Einschätzungen extrem vorsichtig, und haben die Aktien mit einem Risikoabschlag bewertet. Dann haben Unternehmen wie Mobilcom oder EM.TV die ursprünglichen Erwartungen weit übertroffen. Das führte dazu, dass man nicht nur die Erwartungen nach oben geschraubt hat, sondern auch dazu, dass aus dem Abschlag jetzt ein Aufschlag wurde. Damit wollte man all die Einfälle der Unternehmen honorieren, von denen man noch gar nichts wusste. Die Einschätzung der Aktien änderte sich dramatisch: von zu konservativ und billig auf zu aggressiv und zu teuer. Jetzt sehen wir genau den umgekehrten Prozess. Der Neue Markt war vor dem Crash doppelt so teuer wie die Nasdaq, jetzt ist er höchstens halb so teuer. Viele Titel sind enorm günstig.

Im Oktober 2000 sagten Sie: "Wir haben das Gröbste hinter uns." Im Dezember hieß es: "Nasdaq und Neuer Markt dürften nicht mehr weit von einer Bodenbildung entfernt sein." Weit gefehlt: Die Kurse der Wachstumsaktien und ihres Fonds sind weiter stark gefallen. Warum liegen Profis wie Sie regelmäßig daneben?

Wir setzen auf Bewertungsmodelle. Wenn die uns sagen, europäische Aktien sind spottbillig, dann heißt das zwar nicht, dass sie nicht noch billiger werden können. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Märkte, die stark unterbewertet sind, sich in den nächsten Monaten recht erfreulich entwickeln. Es gab in der Vergangenheit keine Phasen, in denen Aktien um 55 Prozent zu billig waren, und dann noch einmal um 40 Prozent gefallen sind.

Wie viele der mehr als 300 Werte am Neuen Markt werden die Baisse überleben?

Es gibt viele Unternehmen, die es nicht schaffen werden. Das haben wir auch schon vor drei Jahren gesagt. Ich vermute, dass zwischen 50 und 100 Unternehmen erfolgreich sein werden. Dann wird es eine Gruppe von Unternehmen geben, die größer ist als die erste Gruppe, die zwar überleben, aber nie wirklich erfolgreich werden wird. Der Rest wird scheitern: Sie werden insolvent oder an ein anderes Unternehmen verkauft.

Ist das dann der Todesstoß für den Nemax?

Man muss sich vor Augen halten, dass die Marktkapitalisierung der kleinsten Unternehmen, von denen der Markt sagt, die werden scheitern, extrem gering ist. Wenn diese Unternehmen morgen alle aufgeben, dann fehlen dem Index nur ein paar Punkte.

Sollten Pennystocks nach einer Galgenfrist vom Kurszettel gestrichen werden, wie dies an der Nasdaq üblich ist?

Das halte ich für sinnvoll. Man sollte eine zweite Sektion für den Markt schaffen. Das Kriterium allein sagt aber nicht viel über den Wert eines Unternehmens aus. Auch ein massiver Kursverlust gegenüber dem Emissionspreis spricht dafür, dass sich die Geschäfte enttäuschend entwickeln. Ein weiteres Kriterium ist der Free Float. Sind zu wenige Aktien am Markt, wäre das ein Ausschlusskriterium. Unternehmen sollten aber die Chance haben, aus der zweiten Sektion wieder aufzusteigen.

Wann werden die Wachstumsaktien ihrem Namen endlich wieder gerecht?

Zinssenkungen könnten eine Trendwende auslösen. In den nächsten Monaten werden wir in den US-Frühindikatoren Anzeichen für eine Belebung der Konjunktur sehen. Dann sollte auch der Neue Markt durchstarten. Bis der Nemax allerdings bei 9000 Punkten notiert, werden Jahre vergehen.

Wie viel werden Anleger am Neuen Markt künftig verdienen?

Investoren sollten nicht erwarten, dass sie jedes Jahr eine dreistellige Rendite erzielen. Sie dürfen aber langfristig mit einem Zuwachs von 20 bis 30 Prozent rechnen. Das ist vernünftig und fair. Kurzfristig kann es auch mehr sein.

Werden die Kurse auch in Zukunft stark schwanken?

Der Markt wird volatil bleiben. Ich gehe aber davon aus, dass wir so exorbitante Übertreibungen wie in den vergangenen Jahren nicht mehr erleben werden. Sie haben ja auch nicht von einer zweiten Tulpenzwiebel-Blase gehört.

Welche Strategie verfolgen Sie?

Der Neue Markt ist nicht sehr effizient. Sehr viele Unternehmen werden praktisch überhaupt nicht von Analysten beobachtet. Sie können also mit Arbeit und Knowhow eine Rendite erzielen, die besser ist als der Neue Markt. Dazu müssen sie aber viel Manpower reinstecken. Wir haben ein Team von acht Leuten. Da wir großen Wert auf den Kontakt zum Unternehmen legen, absolvieren wir rund 700 Unternehmensbesuche im Jahr. Denn nur, wenn sie alle Unternehmen einer Branche sehen, können sie auch Vergleiche ziehen. Für viele Nicht-Profis ist es extrem schwer, in diesem Segment erfolgreich zu sein, dazu gehören auch einige Fondsmanger. Es gab eine Phase am Neuen Markt, in der die Leute Aktien quasi blind gekauft haben, was natürlich falsch war. Man muss immer Research leisten.

Was ist das Geheimnis einer guten Analyse?

Man muß diszipliniert sein und systematisch arbeiten, skeptisch bleiben. Sie können nicht einfach davon ausgehen, dass das was ein Unternehmer sagt stimmt. Dieser Fehler wurde früher oft gemacht. Sie müssen sich fragen, ob das, was ihr Gegenüber sagt, plausibel ist. Wir führen sehr viele Gespräche. Da kriegen sie ein gutes Gespür dafür, was stimmt und was nicht.

Sehen Sie sich selbst auch die Unternehmen und ihre Manager an?

Ja.

Ihr Vorgänger Karl Fickel sagte in einem Interview: "Ich arbeite 16 Stunden am Tag, häufig auch am Wochenende. Die Arbeit ist wie eine Droge." Geht es Ihnen Ähnlich?

Zum Teil. Die Belastung ist enorm hoch, sowohl zeitlich als auch, was die gedankliche Leistung angeht. Man muss aber nicht alles selber machen, oft geht es im Team besser.

Wie viele Werte haben Sie in ihrem Depot?

Rund 100 Unternehmen. Diversifikation ist einer der ganz wichtigen Punkte. Auch die Aktien, die uns sehr gut gefallen, haben keinen höheren Depotanteil als drei oder vier Prozent. Ich sage dem Investor nicht, ich bin besser als der Markt, weil ich die nächste Modewelle besonders früh erkenne, sondern weil ich die Unternehmen sehr gut kenne. Bei vielen der größeren Flops waren wir nicht dabei, Intertainment zum Beispiel haben wir rechtzeitig verkauft. Wir haben aber auch ein paar Aktien ausgelassen, die sehr gut waren. Medion hätten wir gern früher entdeckt.

Welche Branche bevorzugen Sie im Moment?

Wir haben Technologie und industrielle Dienstleistungen klar übergewichtet. Untergewichtet sind wir im Bereich Internet und Finanzdienstleister.

Wagen Sie eine Kursprognose, wo der Nemax All Share zum Jahresende steht?

3000 Punkte sind schon drin.

Stecken Sie auch Ihr eigenes Geld in Ihre Neuer-Märkte-Fonds oder sind Sie da eher konservativ?

Ich bin konservativ und investiere deshalb in meine eigenen Fonds.

Bereiten Ihnen Abende[an denen die Kurse an der N]

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