zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Nichts überstürzen

Mit den neuen Krankenkassentarifen lässt sich viel sparen – doch Verbraucherschützer raten zu Vorsicht

Berlin - Jetzt wird es unübersichtlich. Der Start der Gesundheitsreform ab April beschert den 70 Millionen gesetzlich Versicherten plötzlich eine nie gekannte Fülle an Tarifen und Angeboten. Die bis dato so verstaubten Kassen kommen mit Angeboten, die bislang nur Privatkassen vorbehalten waren: Selbstbehalte, Wahltarife, Kostenerstattung und vieles mehr. Beim Marktführer Barmer sind es allein 18 verschiedene Pakete. Zwar kann sich die Vielfalt lohnen – Versicherte können mit den neuen Angeboten mehrere hundert Euro im Jahr sparen. Verbraucherschützer raten allerdings, das Kleingedruckte zu studieren – und im Zweifel vorerst abzuwarten.

Große Kassen wie die AOK, die Barmer oder die DAK haben bereits neue Tarife vorgelegt, andere, vor allem Betriebskrankenkassen, wollen demnächst nachziehen. Es gibt zwei Sorten von Angeboten: Die eine müssen die Kassen, die andere können sie anbieten. Die Idee der Regierung dahinter: Die Kassen sollen attraktiver werden, damit will sie die Abwanderung der Leute zu den Privatkassen aufhalten. Niemand ist freilich gezwungen, in einen neuen Tarif zu wechseln.

Selbstbehalt: Hier verpflichtet sich der Versicherte, einen Teil seiner Gesundheitskosten selbst zu bezahlen. Wie viel, das hängt vom Einkommen ab. Trägt er beispielsweise 400 Euro selbst, bekommt er von der Kasse 320 Euro ausbezahlt. Geht er nicht zum Arzt, drückt er so seine Beiträge. Wird er aber krank, muss er womöglich draufzahlen. Jeder Arztbesuch wird pauschal berechnet. Erst ab Gesamtkosten ab 400 Euro springt die Kasse ein. Der Versicherte wettet also mit seiner Kasse um 80 Euro darum, ob er gesund bleibt. Die Behandlung mitversicherter Kinder, Vorsorgeuntersuchungen und Arztbesuche, bei denen kein Rezept ausgestellt wurde, werden meist nicht berücksichtigt. Die maximale Prämie soll bei der Techniker-Krankenkasse bis zu 900 Euro betragen. Bei der AOK Berlin sind es 600, bei der DAK 550, bei der KKH 500 und bei der Barmer 300 Euro.

Rückerstattung: Hier ist das Prinzip ähnlich – einziger Unterschied: Sobald der Versicherte den Arzt konsultiert, ist die Prämie futsch. Dafür steigt sie bei einigen Kassen mit der Zeit – wer drei Jahre lang gesund bleibt, bekommt bei der DAK im Höchstfall 600 Euro. Das sind mehr als zwei maximale Monatsbeiträge.

Neue Versorgungsmodelle: Die Kassen sind gezwungen, spezielle Tarife zur integrierten Versorgung anzubieten. Das bedeutet, dass Ärzte, Kliniken und Reha-Einrichtungen Informationen über den Patienten besser austauschen sollen und so teure Doppel-Untersuchungen vermieden werden. Neu sind auch Hausarzt-Modelle. Wer sich verpflichtet, stets zuerst einen bestimmten Arzt aufzusuchen, kann die Praxisgebühr sparen oder einen Bonus einstreichen. Nur wenige Kassen bieten dies bislang aber an – obwohl sie dazu verpflichtet sind.

Obligatorisch sind auch Behandlungsprogramme für chronisch Kranke, also für Diabetiker, Asthmatiker, Brustkrebs-, Herz- oder Lungenkranke. Als Anreiz für die Patienten gibt es etwa bei der Techniker eine Begrenzung der Zuzahlung.

Kostenerstattung: Wer sich wie ein privat Versicherter fühlen will, aber doch bei den Gesetzlichen bleiben will, kann bei den Arztkosten in Vorleistung gehen und sie sich von der Kasse später erstatten lassen. Möglich ist es dann, bessere als die Standardleistungen zu wählen – die freilich auch mehr kosten.

Alternative Medizin: Manche Menschen legen Wert auf Homöopathie oder andere Leistungen, die kaum eine Kasse erstattet. Gegen einen Beitragsaufschlag dürfen die Kassen solche Tarife anbieten – sind dabei aber noch zurückhaltend.

Bonusprogramme: Weiterhin belohnen die Kassen gesundheitsbewusstes Verhalten. Wer Sport treibt, sich das Rauchen abgewöhnt oder Vorsorge-Untersuchungen nachweist, bekommt Prämien oder Geschenke.

Wer einen Wechsel plant, muss die Angebote genau studieren. Zwar beteuern alle Kassen, ihre Berater extra geschult zu haben. Versicherte sollten aber abwarten und keinesfalls voreilig einen Wahltarif abschließen, rät Ulrike Steckkönig von der Stiftung Warentest. „Bis alle Kassen ihre Wahltarife ausgearbeitet haben, vergeht noch einige Zeit“, sagte die Verbraucherschützerin dem Tagesspiegel. „Die interessantesten Angebote kommen noch.“ Das Problem: Wer sich vorschnell an einen Tarif bindet, steckt in der Falle. „Man legt sich auf drei Jahre bei einer Kasse fest“, weiß Steckkönig. Selbst wenn die Kasse zwischenzeitlich die Beiträge erhöhe, könne man nicht kündigen. Das würden Versicherte spätestens dann bereuen, wenn 2009 der Gesundheitsfonds eingeführt wird und die eigene Kasse einen Zuschlag zum gesetzlich festgelegten Einheitsbeitrag verlange.

Hinzu kommt: Tarife, in denen Versicherte durch Selbstbehalte oder Beitragsrückgewähr Beiträge sparen wollen, nützen nach Einschätzung der Verbraucherschützerin vor allem jungen, gut verdienenden und vor allem gesunden Singles. Wer Geld sparen will, sollte daher wie bislang erst einmal über den Wechsel der Krankenkasse nachdenken. Wer in Berlin vom teuersten Anbieter, der AOK, zum billigsten, der IKK Direkt, wechselt, kann je nach Einkommen mehr als 800 Euro im Jahr sparen – und bekommt im Prinzip alle Leistungen wie bisher.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false