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Wirtschaft: "Nichts verstanden"

BERLIN/BONN (aho/asi/uwe). Das Gesetz zur Neuregelung der Scheinselbständigkeit wird im Herbst neu gefaßt.

BERLIN/BONN (aho/asi/uwe). Das Gesetz zur Neuregelung der Scheinselbständigkeit wird im Herbst neu gefaßt. Das sagte der Fraktionschef der Grünen, Rezzo Schlauch. Die Beweislastumkehr soll revidiert werden, statt vier sollen nur noch drei Kriterien zur Feststellung der Scheinselbständigkeit gelten, sagte Schlauch. Er berief sich auf die Ergebnisse der Regierungskommission zur Neufassung der Selbständigkeit. Der Präsident des Bundearbeitsgerichtes, Thomas Dieterich, der Leiter der Regierungskommission ist, bestreitet die bevorstehende Reform: "Das ist frei erfunden", sagte er dem Tagesspiegel.

Um die Neufassung der Scheinselbständigkeit ist offenbar innerhalb der Regierungskommission heftiger Streit entbrannt. Während Rezzo Schlauch unter Berufung auf Kommissionsmitglieder am Dienstag Einzelheiten einer bevorstehenden Neuregelung als ersten Beweis dafür wertete, "daß wir verstanden haben", sagt der Leiter der Komission, Thomas Dieterich, es stehe noch nichts fest: "Schlauch hat nichts verstanden".

Schlauch kündigte an, daß im Herbst ein neues Gesetz zum Thema verabschiedet werde. Dabei soll vor allem der umstrittende Kriterienkatalog geändert werden, nach denen Scheinselbständige zur Rentenversicherungspflicht herangezogen werden. Bislang gilt als Scheinselbständiger, wer außer Familienangehörigen keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, in der Regel nur für einen Arbeitgeber arbeitet, Weisungen eines Arbeitgebers unterliegt und nicht selbst als Unternehmer auftritt.

Schlauch sagte, künftig solle das Kriterium "nur ein Aufftraggeber" entfallen. Beim Beschäftigungskriterium würden Familienangehörige einbezogen. Ebenfalls geändert werden soll die Beweislast-Umkehr. Bislang gilt: Wer bei einer Prüfung, ohne daß andere Argumente vorhanden sind, zwei der vier Merkmale erfüllt, gilt als scheinselbständig und muß das Gegenteil beweisen.

Diese Beweislast-Umkehr soll relativiert werden. Außerdem sollen Scheinselbständige nicht rückwirkend Rentenbeiträge zahlen müssen. Wer jetzt als Scheinselbständiger eingestuft worden sei, bräuchte nach der Gesetzesänderung keine negativen Folgen befürchten, kündigte Schlauch an. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel begründete Schlauch die Änderungen. "Wir haben doch mit dem Gesetz viel Prügel bezogen" sagte er. In vielen Kreisen der Selbständigen hätten sich die Bündnisgrünen deswegen nicht mehr blicken lassen können. Doch gerade Branchen, wie Softwarehäuser, Verlage oder Rechtsanwaltskanzeleien, seien massiv betroffen gewesen. "Da hat Rotgrün den Kern der neuen Mitte massiv angegriffen", sagte Schlauch.

Gegen die Behauptung, daß der von Rezzo Schlauch vorgelegte Reformentwurf aus der Kommission stammt, verwahrte sich der Kommissionsvorsitzende Thomas Dieterich. Dem Tagesspiegel sagte der Präsident des Bundesarbeitsgerichtes, Schlauchs Vorschläge seien "frei erfunden" und in Teilen "absoluter Blödsinn". Die Kommission habe bisher "noch nicht einmal ansatzweise" zu gemeinsamen Eckpunkten gefunden. Während der letzten Beratung seien allenfalls die Sozialversicherungsträger "zum Thema Bürokratie vernommen worden".

Dabei habe sich die Kommission erklären lassen, daß die Versicherungsträger die bürokratischen Verwirrungen der Frühjahrsmonate nun überwunden hätten. Zudem hätten Betriebsprüfer vor der Kommission ausgesagt, daß sie Unternehmen keineswegs wegen des Scheinselbständigen-Gesetzes schärfer prüfen würden. Dies geschiehe ausschließlich, weil der Bundesrechnungshof die Betriebsprüfer im vergangenen Jahr dazu ermahnt habe.

Dieterich bezeichnete es als "bedrückend" für das Arbeitsklima in der Kommission, daß die bündnisgrünen Kommissionsmitglieder Margareta Wolf und Thea Dückert Gesprächsinhalte veröffentlichen und "politisch ausschlachten", obwohl "mehrmals und nachdrücklich Vertraulichkeit vereinbart" worden sei.

Bei den Rentenversicherungsträgern herrschte am Dienstag Empörung: "Uns hat niemand gefragt und mit uns hat niemand geredet," hieß es im Verband der Rentenversicherungsträger in Frakfurt. Immerhin haben die Rentenversicherungen in den vergangenen Monaten die Zahl ihrer Betriebsprüfer auf 3000 verzehnfacht, um die neuen Fälle prüfen zu können. Zudem sitzen die Sozialpartner im Augenblick zusammen, um Kriterienkataloge zur Ermittlung der Scheinselbständigkeit in einzelnen Berufsständen zu entwickeln. "Bisher hat uns niemand gesagt, daß wir damit aufhören sollen", sagt der Arbeitsrechter Volker Ettwig, Mitglied der Geschäftsführung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Von einer Neuregelun wären zwischen 180 000 und 1,5 Millionen Selbständiger in Deutschland betroffen. Bisher seien aber noch nicht einmal 100 Bescheide ausgestellt worden, sagt Ettwig, "weil die Materie hochkompliziert und auch für die Sozialversicherungen immer noch undurchschaubar sei". Die von Schlauch skizzierte Neuregelung "gehe zwar in die richtige Richtung", sei aber längst nicht ausreichend, um das Problem zu lösen.

Wie groß das Problem in einzelnen Branchen inzwischen ist, rechnete am Dienstag Arno Metzler, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Freien Berufe vor. Bei den freien Berufen seien bisher knapp 150 000 Betroffene geschätzt worden, sagte Metzler. Zwanzig Prozent der 3000 Mitglieder der Datenverarbeitungsbranche hätten dem Verband bereits den Verlust von Aufträgen gemeldet, weil die Auftraggeber die Nachzahlungspflicht fürchteten. "Die psychologische Verunsicherung" der Auftraggeber, sagt Metzler, "ist der größte Schaden, den Riester angerichtet hat". Die Vorschläge der Dieterich-Kommission sind für Metzler "der richtige Ansatz".

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