zum Hauptinhalt
Mutiu Sunmonu ist seit 2010 Chef von Shell in Nigeria.

© promo

Nigeria: Anders, ja. Aber besser?

Der neue Mann an der Spitze von Shell Nigeria stößt einiges an – Kritik gibt es trotzdem

In ihrer Analyse, was der Ölreichtum in Nigeria angerichtet hat, sind sich der alternative Nobelpreisträger und Shell-Kritiker Nnimmo Bassey und der neue Chef von Shell Nigeria, Mutiu Sunmonu, näher als sie denken. Nnimmo Bassey leitet die Schwesterorganisation des BUND (Friends of the earth) in Nigeria. Er beschreibt eine ökologische Wüste im Nigerdelta. Ölschlamm schwappt durch ökologisch sensible Sumpfgebiete. Hunderte Lecks in Ölpipelines erneuern diese Katastrophe stetig. Die Luft ist vergiftet von den immerwährenden Feuern; seit 50 Jahren wird das mitgeförderte Gas an den Förderstellen abgefackelt. Und die Menschen im Nigerdelta sind noch immer arm. Für Nnimmo Bassey ist die Konsequenz klar: „Das Öl muss im Boden bleiben, und die Weltgemeinschaft sollte uns für diesen Dienst am Klima entschädigen.“

Mutiu Sunmonu sieht das naturgemäß anders. Aber seine Einschätzung der Ergebnisse von 50 Jahren Ölförderung in Nigeria ist nicht weniger vernichtend. Sein Land erreicht in dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen gerade mal Platz 142 von 169. 64 Prozent der rund 150 Millionen Nigerianer leben von weniger als 1,25 Dollar pro Tag und damit unter der Armutsgrenze. Und das bei einer täglichen Ölförderung von 2,5 Millionen Barrel (159 Liter) pro Tag und einem Ölpreis, der seit Jahren nahe an 100 Dollar pro Barrel liegt. Das Wirtschaftswachstum liegt konstant bei mehr als fünf Prozent. Die Staatseinnahmen beruhen zu 90 Prozent auf den Öleinnahmen. Steuern zahlt in Nigeria fast niemand. Und dank Wikileaks weiß seit Ende des vergangenen Jahres auch noch jeder, dass Shell, der größte internationale Ölkonzern im Land, jahrzehntelang bis in die Regierung hinein Spione eingeschleust hatte. Für Mutiu Sunmonu bedeutet das: Er muss einen Neuanfang für Shell schaffen.

Nnimmo Bassey ist Chef der Umweltorganisation Friends of the Earth in Nigeria und wurde 2010 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Nnimmo Bassey ist Chef der Umweltorganisation Friends of the Earth in Nigeria und wurde 2010 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

© Kai-Uwe Heinrich

Sunmonu führt Shell Nigeria seit Januar 2010. Er ist der erste Nigerianer an der Spitze und arbeitet seit 32 Jahren bei Shell. Und er macht tatsächlich einiges anders. Sunmonu ist überzeugt, dass die Öl- und Gasförderung erst dann wieder ungestört möglich sein wird, wenn sich die Sicherheitslage im Nigerdelta deutlich bessert. „Das geht nur durch Entwicklung“, sagt er. Die Amnestie des Jahres 2009, als der damalige Präsident Umaru Yar Adua den bewaffneten Milizen angeboten hat, ihnen einen Einstieg in ein ziviles Leben zu ermöglichen, wenn sie ihre Waffen abgeben, habe schon eine deutliche Verbesserung gebracht. Und dass inzwischen 31 Prozent der Öleinnahmen in den Delta-Staaten ankommen, findet er ebenfalls richtig. Aber das reiche nicht aus. „Das ist in erster Linie die Verantwortung der Bundesregierung und der Gouverneure“, stellt er klar. Dennoch hat Shell angefangen, nach neuen Wegen zu suchen, wie der Konzern seiner sozialen Verantwortung in der Förderregion gerecht werden kann. Sunmonu berichtet von Schulhäusern, die Shell gebaut hat, doch vom Bundesland kamen keine Mittel, um Lehrer zu bezahlen. „Das war nicht besonders sinnvoll.“ Stattdessen legt Shell nun Fonds für Gemeinden auf, die ihnen gemeinsam zur Verfügung stehen. Dann müssen sich die Kommunen nur auf ein Projekt verständigen. Einige Gemeinden, berichtet Sunmonu, haben ihr Geld zum Beispiel in Boote investiert, um den Ölarbeitern Wassertaxis auf den Wegen durch das Delta anbieten zu können.

Außerdem versucht Sunmonu, mit einer Transparenzoffensive wieder Vertrauen in sein Unternehmen zu schaffen. Seit einigen Wochen veröffentlicht Shell selbst sämtliche gemeldeten Öllecks im Nigerdelta und berichtet über die Sanierung und Freigabe durch die Behörden. Shell behauptet seit Jahren, dass etwa drei Viertel der Lecks auf Sabotage oder Öldiebstahl zurückzuführen seien. Diese These weist Nnimmo Bassey zurück. Schließlich sind manche Pipelines mehr als 40 Jahre alt. Aus seiner Sicht überwachen die Ölkonzerne ihre Pipelines nicht ausreichend und seien „so verantwortungslos wie eh und je“. Und wenn er hört, die Ölschlammlöcher würden saniert, lacht Bassey nur. Die Sanierung bestehe nämlich einfach darin, dass Einheimische in Gummistiefeln und mit Eimern losgeschickt werden. Oft genug würden solche Aufträge an Firmen vergeben, „die nichts über Öl-Leckagen wissen“. Die Ölfirmen würden die Verantwortung schlicht auf die Opfer abschieben, schimpft Bassey.

Dasselbe gelte für das Abfackeln von Öl. Mutiu Sunmonu argumentiert, dass Shell nur so schnell Gassammelanlagen bauen könne, wie die Regierung ihren Investitionsanteil dafür aufbringe. Shell hat zwar die Betriebsführung für die Ölförderung im Niger-Delta und Offshore vor der Küste des Golfs von Guinea, die Ölfördergesellschaft ist jedoch ein Gemeinschaftsunternehmen von Shell und dem nigerianischen Staat. Nun hat dieser Staat das Abfackeln schon 1978 verboten. Die Strafzahlungen für die Beibehaltung der Praxis teilen sich Shell und der Staat seit Jahrzehnten. Nnimmo Bassey hat dafür kein Verständnis. Zumal Shell das Gas ja auch vermarkten könnte. Angesichts der Energiekrise im Land wird das Gas dringend zur Stromproduktion gebraucht. Tatsächlich betreibt Shell bereits ein großes Gaskraftwerk. Doch die Gasförderung im großen Stil hat in Nigeria noch gar nicht begonnen, obwohl das Land über die siebtgrößten Gasreserven der Welt verfügt. Dagmar Dehmer

Zur Startseite