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Wirtschaft: Noch kein Plus für „50 plus“

Ältere Menschen verfügen über viel Geld – aber die Industrie schafft es nicht, seniorengerechte Produkte für sie zu entwickeln

Berlin - Wenn Klaus Wuttig nach seinem Besuch auf der Internationalen Funkausstellung gefragt wird, regt er sich auf. Von „unglaublich kleinen Tasten“ auf den neuen MP3-Playern spricht der 68-Jährige dann. Davon, dass er nicht versteht, warum die Technik und Menüführung bei den Geräten „immer komplizierter werden muss“. Dann erzählt er noch von seinem „Schlüsselerlebnis“ am Infostand. Als er dort „Senioren“ in die Suchmaschine eingab, blinkte „Null Treffer“ auf dem Bildschirm. „Senioren werden als Zielgruppe einfach vergessen“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Eine Unverschämtheit.“

Dabei weiß Wuttig, wie man es besser macht. Seit vier Jahren gehört der Diplom- Ingenieur zur Gruppe „Senioren forschen für Senioren“ an der Technischen Universität Berlin. Zusammen mit 23 anderen älteren Menschen testet der 68-Jährige DVD-Player auf ihre Handhabung, überlegt, wie man Geräte seniorenfreundlicher konstruieren kann und bewertet die Lesbarkeit von Bedienungsanleitungen.

Die Forschergruppe ist Teil des Projekts „Sentha – seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag“, das vor acht Jahren von der TU Berlin ins Leben gerufen wurde. Im Jahr 2003 wurde Sentha, das bis dahin von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde, eingestellt. Übrig blieben Klaus Wuttig und seine Kollegen, die unermüdlich weiter forschen. „Ein paar Unternehmen fangen inzwischen an, unsere Ideen anzunehmen, aber eigentlich kann man sagen, dass sich auf dem Markt der Seniorenprodukte noch überhaupt nichts bewegt", sagt Wuttig.

Zu diesem Ergebnis kommt auch der neue Altenbericht der Bundesregierung. In einer Expertise stellen Wissenschaftler des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit und Technik fest, dass „die breite Masse der Wirtschaftsunternehmen immer noch weit davon entfernt sind, auf die Herausforderungen und Chancen der älter werdenden Gesellschaft aktiv zu reagieren“.

Eine Studie der Unternehmensberatung Capgemini unterstützt diese These. Von 18000 befragten Unternehmen hat nur jedes dritte vor, in den kommenden Jahren verstärkt Produkte und Dienstleistungen für die Zielgruppe „50 plus“ anzubieten. 23 Prozent gaben sogar an, dies künftig nur noch in verringertem Maße zu tun. „In Deutschland herrscht noch immer die Vorstellung des Jugendwahns“, sagt Thomas Becker von Capgemini. „Die Unternehmen wollen es nicht wahr haben, dass sie sich auf eine neue große Zielgruppe einstellen müssen. Es ist eben nicht schick, Produkte für Senioren anzubieten.“

Dabei wäre es aus wirtschaftlichen Gründen durchaus schick, sich auf den demographischen Wandel einzustellen. Die Gruppe der über 60-Jährigen verfügt über ein Einkommen von mehr als 400 Milliarden Euro. Mit einer Kaufkraft von 21244 Euro pro Kopf hat die Generation 50 plus 2000 Euro mehr zur Verfügung als die der unter 50-Jährigen, Tendenz weiter steigend. Schon heute machen die Senioren ein Viertel der Bevölkerung aus, in den kommenden zehn Jahren wächst ihr Anteil um zehn Prozent auf 22,5 Millionen Personen. „Wer diese Zielgruppe vernachlässigt, begeht einen fatalen Fehler“, sagt Andreas Reidl, Geschäftsführer der Agentur für Generationen-Marketing aus Nürnberg. „Die Kaufentscheidung der Senioren wird mehr und mehr über das Fortbestehen vieler Unternehmen entscheiden.“ Die Zauberformel der Zukunft sei daher: grau, rüstig und kaufkräftig, sagt Reidl.

Die Gründe, warum Unternehmen diesem wachsenden Markt noch zu wenig Aufmerksamkeit schenken, sind vielfältig. Zum einen würden die Unternehmen immer noch glauben, dass Senioren, wenn sie sich erst einmal festgelegt haben, ihre Produkte nicht mehr wechseln würden. Ein Irrtum, wie Reidl meint. „Gerade diese Generation ist sehr sensibel und reagiert sehr schnell, wenn sie nur richtig angesprochen wird.“ Klaus-Peter Schwitzer vom Deutschen Zentrum für Altersfragen aus Berlin hat eine ganz einfache Erklärung: „Die Unternehmen verdrängen den demographischen Wandel ganz einfach. Mit dem Alt werden will sich niemand auseinandersetzen“, sagt Schwitzer. „Man will es ganz einfach nicht wahr haben.“

Anne Hansen

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