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Nordafrikas Wirtschaft: Ägypter und Tunesier suchen nach ihrer Chance

Zwei Jahre nach dem Arabischen Frühling suchen die Maghrebstaaten die Nähe zu Europa. Dabei vernachlässigen sie eine große Chance: den Austausch untereinander.

"Darf man darin schwimmen?“, fragt Maher Chakroun und zeigt auf die Spree. Der Tunesier steht auf einem Ausflugsboot und lugt über die Reling. Gerade taucht das Boot unter der Verbindungsbrücke des Paul-Löbe-Hauses hindurch. Die Spree klatscht in braunblauen Wellen an die Bootswand. „Wahrscheinlich nicht“, beantwortet sich Chakroun die Frage selbst. Dabei hat der Mann Nachholbedarf: In seiner Heimatstadt Safaqs an der tunesischen Mittelmeerküste geht er zwei Mal pro Woche schwimmen. Hier in Berlin ist die Zeit bisher zu knapp gewesen. „Ab acht Uhr morgens Programm“, sagt der 24-Jährige, „und selbst die Taxifahrten zwischen den Terminen waren präzise geplant.“

Chakroun gehört zu einer Gruppe von 20 nordafrikanischen Jungunternehmern, zehn aus Ägypten, zehn aus Tunesien, die vergangene Woche in Berlin weitergebildet wurden. Die Woche war von morgens bis abends mit Meetings und Coachings gefüllt; jetzt steht die Gruppe auf dem Spreeboot und lässt Berlin im Nieselregen an sich vorbeiziehen. Die Woche ist der Auftakt eines halbjährigen Mentoringprogramms, das deutsche Unternehmer mit den arabischen Entrepreneurs zusammenbringt. Weiterbildungen finden mal in Deutschland, mal in den Heimatländern statt, sowohl im Team als auch in Einzelschulungen. Organisiert wird der Austausch, genannt „Class of 2013“, vom Owners Forum, einem Netzwerk deutscher Privatunternehmer. Das Auswärtige Amt finanziert das Projekt.

Adel
Adel

© Marc Röhlig

„Ich wusste gar nicht, dass es andere wie mich gibt“, sagt Chakroun. Erst jetzt in Berlin lerne er tunesische Kollegen kennen, die wie er ein Start-up gegründet haben und irgendwie versuchen, eigene kleine Schritte in einer derzeit sehr instabilen Region zu gehen. Chakroun hat sein Unternehmen, eine Homepageschmiede, im Sommer 2010 gegründet, parallel zu seinem Masterstudium. Heute beschäftigt er zwölf Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 40 000 Euro. „Aber der entsteht vor allem in Europa“, sagt Chakroun. Seine Kunden sitzen in Frankreich, Deutschland und Schweden. „Wenn ich in Tunesien einem Unternehmen eine Homepage im responsive design erstellen will, wissen die gar nicht, wovon ich rede.“ Stattdessen würden sie anfangen, über den Preis zu feilschen.

Die Wirtschaft der Maghrebstaaten steckt seit dem Arabischen Frühling in einer Sackgasse fest: Unternehmer wie Politiker sehnen sich Stabilität herbei, aber beide Seiten verlangen von der anderen, die entscheidenden Impulse zu setzen. Wirtschaftsexperten sind sich einig, dass diese vor allem von den neu gewählten Regierungen kommen müssen. „Den Ländern Nordafrikas fehlt derzeit die Möglichkeit, über ihre wirtschaftliche Not nachzudenken“, sagt Angela Ben Aissa, „denn alle sind zuallererst mit ihrer politischen Not beschäftigt“. Ben Aissa leitet die Maghrebabteilung beim Afrikaverein der deutschen Wirtschaft. Sie beobachtet die Schieflage in der Region – und die Entwicklungspotenziale.

Ben Salem
Ben Salem

© Marc Röhlig

„In den Städten entsteht eine Mittelschicht, sehr jung, sehr gut ausgebildet, sehr motiviert“, sagt Ben Aissa. Aber noch sei das Gefälle zur armen Landbevölkerung enorm. Und noch sei der Wirtschaftsnachwuchs fast gänzlich chancenlos im Angesicht der alten Machteliten.

Jeder Maghrebstaat kämpft dabei mit ganz eigenen Problemen. Tunesien hatte sich Anfang 2011 als erstes Land der Region aus 24 Jahren Präsidentschaft Zine al Abidine Ben Alis gelöst und gilt heute als Labor für das Gelingen des Umbruchs. Das Land konzentriert sich auf Tourismus, Textil- und Lebensmittelwirtschaft. Gut 80 Prozent seiner Exporte gehen in die EU. Doch seit dem Umsturz fehlt es an Touristen wie an Investoren: „Die Ausrichtung auf die EU schwächt die Wachstumsraten Tunesiens“, sagt Gesa Hess von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG. Was fehle, seien Handelsbeziehungen in die Nachbarländer.

Auch Ägypten steht ähnlich instabil da. Ein Mittelstand sei zwar im Entstehen, sagt Nordafrikaexpertin Ben Aissa, allerdings basieren große Teile der Wirtschaft noch komplett auf dem Gerüst Mubaraks: Gut 40 Prozent der Wirtschaft sind in den Händen des Militärs. Das lähmt Investoren und junge Unternehmer – „die ägyptische Wirtschaft geht so schleichend hernieder“. Man müsse die Lage im Land mit einer Scheidung vergleichen, sagt Riham Adel: „30 Jahre waren wir mit Mubarak liiert. Und nun sind wir frei und wissen diese Freiheit noch nicht zu greifen.“

Maher Chakroun
Maher Chakroun

©  Marc Röhlig

Adel gehört wie Chakroun zu den Teilnehmern der „Class of 2013“. Die 37-Jährige hat 1999 die Headhunter-Agentur JobNile in Alexandria gegründet. Das Unternehmen schickt Ingenieure und Fachkräfte um die Welt. Nur 15 Prozent aller Aufträge führten ins eigene Land, seit der Revolution bleibt jedoch jeder zweite Auftrag in Ägypten. „Solange es keine Stabilisierung gibt, ziehen sich die internationalen Partner zurück.“ Dabei gebe es dafür keinen Grund. Ägypten sei schon immer ein Land der Innovationen gewesen, sagt Adel. Zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 30, „eine enorme Humanressource“. Das Einzige, was ihrem Land fehle, sei eine Vision – „und die passenden Anführer, die diese kommunizieren“.

Auch Ägyptens Nachbar Libyen hat eine ähnliche Altersstruktur, jedoch keinerlei Ausrichtung auf mittelständische Unternehmen. Knapp 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden in der Ölproduktion generiert. Die erreichte bereits Ende 2012 wieder den Vor-Revolutionsstand und bescherte dem Land laut Internationalem Währungsfonds so ein Wirtschaftswachstum von 100 Prozent. Allerdings existiert in Libyen so gut wie keine Landwirtschaft und keine verarbeitende Industrie. 80 Prozent der Nahrungsmittel müssen importiert werden.

Wie Libyen stützt Algerien seine Wirtschaft auf Öl- und Gas-Exporte. Anders als die Nachbarn im Osten gab es keine Revolution; einige wenige Demonstrationen wurden 2011 brutal aufgelöst. Seitdem gärt es im flächenmäßig größten Land des Maghreb: Die korrupte Regierung hält ihre Hand über Großunternehmer, der Mittelstand kann nicht florieren. Das Land befindet sich so in einer paradoxen Mischung aus Öl-Reichtum und hoher Jugendarbeitslosigkeit.

Politisch wie wirtschaftlich am stabilsten stehe Marokko da, sagt Ben Aissa. „Die religiöse Monarchie von König Muhammad VI bringt Sicherheit.“ Das Land investiere viel in erneuerbare Energien, in Infrastruktur und Logistik. Der Ausbau des Tiefwasserhafens Tanger-Med hat Marokko zudem eine Freihandelszone mit den Vereinigten Staaten beschert.

Was indes fehlt: eine Freihandelszone zwischen den Maghrebstaaten. Lediglich fünf Prozent des Handels geschieht in Nordafrika intraregional, fast zwei Drittel wandern hingegen nach Europa. Nach Studien der OECD und der Afrikanischen Wirtschaftskommission ECA könnte eine maghrebinische Handelszone den lokalen Handel rasch verfünffachen. Das würde sich auch auf das Pro-Kopf-Einkommen der Länder auswirken: „Tunesien könnte eine Steigerung von 23 Prozent erreichen“, schätzt Ben Aissa, Marokko gar 30 Prozent. „Die Staaten könnten alle viel Geld sparen, wenn sie sich Handelspartner in der Region suchen würden.“

Dass sie es nicht tun, ist nicht allein eine Frage des Willens: „Wir produzieren hohe Qualität“, sagt Nizar Ben Salem, „das können sich nur die Europäer leisten.“ Der 37-Jährige leitet den Lebensmittelkonzern Tipagro im Norden Tunesiens. Mit Kräuter- und Obstanbau macht das Unternehmen jährlich fünf Millionen Euro Umsatz. Und der entstehe fast ausschließlich auf dem europäischen Markt - obwohl dort nur ein Fünftel der Ware landet. Der Rest wird in Tunesien und Libyen vertrieben. Ben Salem ist wie der IT-Unternehmer Chakroun und die Headhunterin Adel zum Coaching in Berlin. Auch er will sich nicht auf lokale Netzwerke verlassen und drängt auf eine bessere Verzahnung mit der EU: „Die Zukunft Europas wird sich an der Armut Nordafrikas entscheiden.“ Die Maghrebstaaten steckten zu tief in politischen Turbulenzen, um sich selbst befreien zu können. Was Ben Salem von der EU erwartet, ist vor allem ein Wissenstransfer: „Allerdings nicht an unsere Regierungen gerichtet – sondern an unsere Bürger.“

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