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Wirtschaft: Nur der Dienst kann es nicht leisten

Wirtschaftssenator Wolf, Firmen und Gewerkschafter versuchen, den Produktionsstandort zu stärken

Berlin - Endlich! „Im verarbeitenden Gewerbe Berlins zeichnet sich offenbar eine Tendenzwende ab: Der Beschäftigungsrückgang scheint zum Stillstand zu kommen.“ Zu dieser Einschätzung kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem Bericht über die „Modernisierung der Industrie“ – im Herbst 2002. Damals gab es 164000 Arbeitsplätze in Berlins Industrie, heute sind es 98326. Vor 15 Jahren, direkt nach der Wende, arbeiteten mehr als 300000 Berliner in Industriebetrieben. Bis heute ist die Situation „außerordentlich schwierig“, sagt Hartmann Kleiner, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB). Die jüngst angekündigten Betriebsschließungen und -verlagerungen bezeichnet er als „fast natürlichen Prozess“; für Güter wie zum Beispiel die Samsung-Bildröhren aus Oberschöneweide „hat sich der Markt verändert oder ist sogar weggefallen“.

„Vor drei Jahren hatten wir Anlass zu Optimismus“, erklärt DIW-Mitarbeiter Ingo Pfeiffer die damalige Industriestudie. Die Strukturen der Firmen hatten sich verändert, sie waren wettbewerbsfähiger geworden, und neue Unternehmen kamen auf den Markt. „Es gab zukunftsfähige, krisenfeste Produkte aus Betrieben mit höherwertigen Arbeitsplätzen“, sagt Pfeiffer. Doch die EU-Osterweiterung und der zunehmende Globalisierungsdruck hätten eben zum weiteren Arbeitsplatzabbau geführt. Daran könne auch die Politik nichts ändern. „Wirtschaftspolitisch sind wir alle ratlos“, sagt Pfeiffer und warnt gleichzeitig entschieden davor, die Industrie abzuschreiben. „Dienstleistungsbereiche wie Werbung, Softwareentwicklung oder Marketing brauchen auch Industrie.“

Pfeiffers Kollege Kurt Geppert sieht das anders. Gerade eben hat er in einem DIW-Bericht Berlins Potenzial bei Dienstleistungen heraus- und eine „neue wirtschaftliche Dynamik festgestellt“. Mit großen Arbeitsplatzzuwächsen bei Softwarehäusern, in der Werbung, in Forschung und Entwicklung, in Medien, Hotels und Gaststätten „lässt Berlin die anderen Metropolen in der Entwicklungsdynamik weit hinter sich“. Er sieht Berlin künftig als Dienstleistungsmetropole mit etwas High-Tech-Industrie. Im Übrigen, so Geppert, „gibt es auch andere große Städte, die ohne Industrie florieren“, etwa London und New York.

Wirtschaftssenator Harald Wolf dagegen sieht gerade in London „nach wie vor eine starke Industrie“. Er betont die Notwendigkeit einer industriellen Basis. „Es wird nicht ausreichen für ein nachhaltiges Wachstum, wenn wir uns gegenseitig die Haare schneiden.“

Dem PDS-Senator wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen bescheinigt, sich schwer für die Industrie ins Zeug zu legen. „Keiner seiner Vorgänger hat sich so engagiert“, sagt Berlins DGB-Chef Dieter Scholz. Der Gewerkschafter glaubt – anders als UVB-Chef Kleiner – an eine Renaissance der Industrie. In neuen Wirtschaftsbereichen, Scholz nennt Informationstechnologien und Biotech, erwartet er zusätzliche Arbeitsplätze. „Mit ein bisschen Kreativität kann man in Berlin mehr machen als bislang“, sagt Scholz. Dazu müssten aber auch Politik und Behörden mehr Verständnis für die Belange der Unternehmen entwickeln.

Wolf bemüht sich. Der Senator besucht eine Firma nach der anderen, hört sich Probleme im „Industriedialog“ an und hat für eine „Potenzialförderung“ 500000 Euro zur Verfügung gestellt. Mit dem Geld „können Unternehmensleitungen und Betriebsrat gemeinsam externe Beratung für die Restrukturierung ihres Unternehmens in Anspruch nehmen“, sagt der Wirtschaftssenator.

Weniger um Geld als um Kommunikation geht es bei den „Innovationsworkshops“ von Wirtschaft, Politik und IG Metall. Vergangenen Donnerstag gab es eine erste Veranstaltung im Dynamowerk von Siemens. Vertreter des Senats, der TU, aus dem Bundesumweltministerium und natürlich von Siemens sowie anderen Unternehmen tauschten sich aus. „Es geht darum, Spieler zusammenzubringen, die bei der Beratung des Unternehmens unterstützend tätig sein können“, beschreibt der Berliner IG-Metall-Chef Arno Hager das Ziel. Bei mindestens 15 Industriebetrieben soll es Workshops geben, die am Ende zu einem „Innovationsnetzwerk“ führen.

Von Netzwerken spricht auch Senator Wolf, wenn er eine freundliche Rechnung für die Berliner Industrie aufmacht. Durch Outsourcing, also die Ausgliederung an andere, seien viele Arbeitsplätze, „die früher zur Industrie gerechnet wurden und nach wie vor ohne diese nicht existieren, nun dem Dienstleistungssektor zuzurechnen“. Und in diesem „Netzwerk Industrie gibt es in Berlin 300000 Arbeitsplätze“. Das ist beinahe die Größenordnung wie vor 15 Jahren.

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