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Wirtschaft: „Nur ganz wenige Firmen bilden nicht aus“

DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun über die Fusionsgespräche mit dem BDI, den Ausbildungspakt und die Beschäftigung Älterer

Herr Braun, hat das Fusionsfieber nun auch die Wirtschaftsverbände erreicht?

Die Gespräche über eine stärkere Zusammenarbeit stehen ganz am Beginn. Es handelt sich dabei ausschließlich um Sondierungsgespräche. Mein Ziel ist es, die IHK-Organisation stark aufzustellen. Für mich als DIHK-Präsident kommen deshalb nur Lösungen infrage, die die Selbstverwaltung stärken.

Wie groß ist der Mehrwert einer Fusion?

Es wird Aufgabe einer Arbeitsgruppe sein, zu prüfen, inwieweit eine Zusammenführung möglich und sinnvoll sein kann. Ich bitte um Verständnis, wenn ich diesen Gesprächen und den Beratungen in den DIHK-Gremien nicht vorgreifen möchte.

Sind finanzielle Probleme des DIHK der Antrieb?

Nein. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und kommen deshalb in den kommenden zwei Jahren ohne Beitragserhöhungen aus. Wir haben zum Beispiel die Altersvorsorge für unsere Mitarbeiter umgestellt und zukunftssicher gemacht sowie die kaufmännische Buchführung eingeführt.

Die Lehrstellenlücke in diesem Jahr wird bei 30 000 liegen. Ist der Ausbildungspakt gescheitert?

Auf keinen Fall. Es wird in diesem Jahr für jeden Jugendlichen, der ausbildungswillig und -fähig ist, ein Angebot geben – also eine Lehrstelle oder eine Einstiegsqualifikation. Ich hoffe sogar, die Lücke sinkt bis Jahresende dank der guten Konjunktur noch weiter. Wir haben vermutlich etwas mehr als zwei Prozent Wachstum, die Arbeitslosigkeit dürfte daher im Jahresdurchschnitt um rund 300 000 zurückgehen. Das wirkt sich auch positiv auf den Ausbildungsmarkt aus. Auch 2007 kann – bei allen Abstrichen durch die Mehrwertsteuererhöhung – ein gutes Jahr werden.

Die Wirtschaft stiehlt sich aus der Verantwortung, sagen die Gewerkschaften.

Zu Unrecht! Die Industrie- und Handelskammern haben seit Jahresbeginn 28 000 neue Ausbildungsplätze und 17 800 Einstiegsqualifizierungen eingeworben. Das ist ein sehr hartes Geschäft, denn wenn ein Unternehmen Arbeits- und damit auch Ausbildungsplätze abbaut, muss man oft viele andere Betriebe neu gewinnen, um diese Lücke zu schließen.

Weil nur noch jedes vierte Unternehmen überhaupt ausbildet.

Einspruch! Nur ganz wenige der Firmen, die ausbilden können, tun das nicht. Ein-Mann-Betriebe oder den Imbiss an der Ecke können Sie da nicht mitzählen. Die sind gar nicht in der Lage auszubilden.

Viele Dax-Konzerne offenbar auch nicht.

Ich kenne kein Großunternehmen, das nicht ausbildet. Im Schnitt liegt die Quote hier bei 5,5 Prozent. Natürlich gibt es welche, die mehr, und andere, die weniger Azubis haben. Das ist auch eine Frage der Konkurrenzsituation, im Inland wie international. Wenn Sie der Wettbewerb zwingt, Ihre Kosten zu senken und Teile der Produktion zu verlagern, bleibt auch weniger Platz für Lehrlinge. Die Wirtschaft ist sich ihrer Verantwortung für die Jugend durchaus bewusst, das zeigt ja auch der Ausbildungspakt – aber sie kann nicht höher sein als die anderer gesellschaftlicher Gruppen. Es ist ja nicht die primäre Aufgabe von Unternehmen, Lehr- und Arbeitsstellen zu schaffen. Ihr vorrangiges Ziel muss es sein, Produkte herzustellen, die vom Verbraucher gewünscht werden. Nur dann können sie sich am Markt behaupten und dadurch Beschäftigung sichern.

Wer kümmert sich um die Jugendlichen?

Das müssen zunächst einmal die Eltern tun. Sie müssen ihnen die bestmöglichen Perspektiven geben und sie zu guten schulischen Leistungen motivieren. Wer gut qualifiziert ist, findet in der Regel auch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz.

In Berlin hat nur jeder zweite Jugendliche eine betriebliche Lehrstelle, sind hier die Eltern besonders nachlässig?

Das Problem liegt natürlich auch im Bildungssystem, da stehen nicht die Eltern alleine in der Verantwortung. Seit Jahren haben die Politiker die Missstände an den Schulen ignoriert, und jetzt kämpfen wir mit den Mängeln. Und es wird Jahre dauern, bis die behoben sind. Und dann gibt es auch immer noch diejenigen, die wirklich nicht wollen, die können wir natürlich nicht in eine Ausbildung zwingen.

Zugleich boomt die Zeitarbeit. Wollen sich die Firmen nicht mehr langfristig binden und bestellen ihr Personal lieber ad hoc?

Nein, ausgebildet wird nach wie vor. Die IHKs verzeichnen sogar gegenüber dem Vorjahr ein Plus von gut vier Prozent bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Der Boom in der Zeitarbeitsbranche geht vor allem auf das starre deutsche Arbeitsrecht zurück. Mit Zeitarbeit können die Unternehmen flexibel auf ihre Auftragssituation reagieren.

Jeder vierte Arbeitslose ist älter als 50 – nicht nur die Jungen, auch die Alten haben große Probleme auf dem Jobmarkt.

Wir vernachlässigen immer noch zu häufig das Potenzial der Älteren, das stimmt. Unternehmen und Arbeitnehmer investieren vielfach zu wenig in die berufliche Weiterbildung. Hier sind besondere Anstrengungen nötig, damit es gar nicht zur Arbeitslosigkeit kommt. Denn einen 55-jährigen Langzeitarbeitslosen noch zu motivieren, ist nicht zuletzt aufgrund noch bestehender Frühruhestandsanreize oft schwierig. Der Regierung haben wir deshalb Vorschläge für die Eingliederung Älterer in den Arbeitsmarkt gemacht. Und auch immer mehr Unternehmen erkennen inzwischen das Problem. Wir müssen aber für einen Mentalitätswandel sorgen, sonst werden die Arbeitsmarktprobleme in ein paar Jahren noch größer.

Das Interview führten Carsten Brönstrup und Alfons Frese.

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