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Öffentlicher Dienst: Mindestens vier Prozent

Am Donnerstag beginnen die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst in Potsdam. Sie könnten mehrere Monate dauern. Experten erwarten indes deutliche Lohnsteigerungen.

Berlin - Die Tarifrunde 2008 beginnt heute um 14 Uhr. Im Kongresshotel am Templiner See starten die Tarifparteien des öffentlichen Dienstes ihren Verhandlungsmarathon, der mindestens bis Ostern dauern dürfte. Verdi und der Beamtenbund fordern für die rund zwei Millionen Beschäftigten der Kommunen und beim Bund eine Erhöhung der Tarife um acht Prozent oder mindestens 200 Euro. Nächste Woche geht es in Düsseldorf weiter: Dort will der Marburger Bund für die Ärzte bis zu 14 Prozent. Im Februar folgt die Stahlindustrie, hier geht die IG Metall mit acht Prozent an den Start. Die Gewerkschaften wollen die Basis dafür legen, dass die private Nachfrage 2008 die Wirtschaft trägt – wie es die Ökonomen erwarten.

„Wir orientieren uns an der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und an der Preisentwicklung“, sagte Ulrich Eckelmann, bei der IG Metall für die Ökonomie zuständig. Und da die Preise in diesem Jahr um rund zwei und die Produktivität in ähnlicher Größenordnung zunehmen würden, gebe es ein Potenzial für Lohnerhöhungen um mindestens vier Prozent. Rudolf Hickel, Wirtschaftsprofessor aus Bremen und ein Anhänger der Nachfragetheorie, rechnet ähnlich wie Eckelmann. Allerdings veranschlagt er die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität etwas niedriger und kommt auf einen verteilungspolitischen Spielraum von 3,5 bis vier Prozent.

Da die Löhne rund die Hälfte der privaten Nachfrage in Deutschland ausmachten, müssten die nach schwachen Jahren nun wieder ordentlich steigen. Als „Kronzeuge“ für seine These führt Hickel Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) an, der auch in bescheidenen Lohnsteigerungen eine Ursache für das sich abschwächende Wachstum sehe. „Wir müssen weg aus der Exportabhängigkeit und brauchen einen Schwenk hin zur Binnenwirtschaft“, sagte Hickel dem Tagesspiegel. Von der weiter steigenden Zahl der Erwerbstätigen erwartet der Forscher keine großen Impulse, weil die zusätzlichen Arbeitsplätze vor allem im Niedriglohnsektor angeboten würden.

Hohe Lohnabschlüsse können Hickel zufolge aber auch an der Konjunktur vorbeigehen, „wenn die Erwartungshaltung negativ ist“. Wenn die Arbeitnehmer also das zusätzliche Geld nicht ausgeben, sondern sparen. Die Acht-Prozent-Forderung im öffentlichen Dienst ist für Hickel gerechtfertigt: „Verdi muss jetzt ein Signal setzen, denn der öffentliche Dienst ist in den letzten Jahren benachteiligt worden.“ So bewege sich eine Krankenschwester mit ihrem Nettoeinkommen nur knapp über dem Mindestlohnniveau.

Auch Peter Bofinger, Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen, setzt dieses Jahr auf stärkere Zuwächse. „Wir müssen vielmehr wieder zu normalen Lohn-Zuwachsraten zurückkehren“, sagte er dieser Zeitung. Es gehe nicht darum, etwas nachzuholen „oder einen kräftigen Schluck aus der Pulle zu nehmen“. Lohnzurückhaltung wie bei uns in den vergangenen Jahren habe es außer in Japan in keinem anderen Land der Welt gegeben. „Wenn der Aufschwung bleiben soll, müssen die Löhne jedenfalls wieder spürbar steigen.“ Bofinger schlug vor, als Faustformel die Inflations-Zielmarke der Europäischen Zentralbank von knapp zwei Prozent zu nehmen und die um rund 1,5 Prozent steigende Produktivität hinzuzurechnen. „Die Effektivlöhne der Gesamtwirtschaft müssten also um etwa 3,5 Prozent steigen, dann kann der private Konsum die Wirtschaft in diesem Jahr noch besser stützen.“

Volker Treier, der Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), mahnte dagegen Zurückhaltung an. „Sollten die Gewerkschaften hohe Lohnforderungen durchsetzen, würde das die EZB in die Klemme bringen“, gab er zu bedenken. „Sie könnte dann die Zinsen womöglich nicht senken, sollte sich die Finanzkrise in Deutschland doch noch stärker auswirken.“ Denn in den Büchern der deutschen Geldinstitute könne sich noch die eine oder andere Überraschung verstecken, befürchtet er. Abgesehen davon, findet Treier, sei die aktuelle Inflationsrate keine geeignete Richtschnur für die Lohnentwicklungen. „Sie ist durch die erhöhte Mehrwertsteuer und das teure Öl verzerrt.“ Auch bei der Produktivitätsentwicklung solle man vorsichtig sein – nicht in allen Branchen sei die Lage gleichermaßen gut. Blieben die Gewerkschaften auch in diesem Jahr bei maßvollen Runden, könnten noch mehr Jobs entstehen, fügte er hinzu.

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