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Ölindustrie: „Die härteste Arbeit, die ich je hatte“

In Wyoming werden Armee-Veteranen und entlassene Autobauer für die Ölindustrie umgeschult.

Casper - Auf die Veteranen lässt Chris Corlis nichts kommen. Erstens weil der 46-jährige Chef des Berufstrainingszentrums in Casper im US-Bundesstaat Wyoming selbst sein halbes Leben bei der Air Force war, davon acht Jahre in Würzburg und Stuttgart, „eine schöne Zeit“. Zweitens, sagt er, bringen Ex-Soldaten genau das mit, was die Gas- und Ölindustrie braucht: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Teamgeist.

Wer das für eine PR-Formel hält, der kommt bei seinem Hauptausbilder John Muse an den Richtigen: ein Mann mit Stiernacken und der Figur eines Schwergewichtsboxers aus Louisiana. Seit 32 Jahren ist er im Ölgeschäft, erst am Persischen Golf, seit vier Jahren in den Rocky Mountains im Herzen der USA. Seinen Schülern hält er seinen rechten Zeigefinger unter die Nase, an dem die Kuppe fehlt. „Arbeitsunfall vor vier Jahren.“ Das wirkt. „Sicherheit kommt zuerst, ihr versteht?“

Das Bohren nach Öl und Gas wird überdurchschnittlich bezahlt: 60 000 Dollar ist hier ein normales Jahresgehalt gegenüber 40 000 Dollar in anderen Branchen. Aber es ist ein gefährliches Geschäft mit schwerem Gerät unter oft extremen Wetterbedingungen. Das verschärft die Personalfluktuation.

Das Berufstrainingszentrum in Casper steht für ein Umdenken. Wyoming ist reich an Rohstoffen, aber arm an Bevölkerung – 515 000 Menschen auf einem Gebiet von der Größe der alten Bundesrepublik: 253 350 Quadratkilometer. Über Jahrzehnte lebte man mit dem steten Wechsel von „boom and bust“ – hitziger Wirtschaftsaktivität bei guten Ölpreisen und einer ebenso jähen Flaute, wenn die Profite sanken. Politik und regionale Wirtschaft bemühen sich jetzt um mehr Nachhaltigkeit. Chronischer Arbeitskräftemangel ist das ökonomische Hauptproblem, also investieren sie in Ausbildung. 1102 Menschen wurden in Casper seit März 2005 für die Öl- und Gasindustrie trainiert. Daneben versucht Wyoming andere Industrien anzusiedeln, um die Abhängigkeit vom Petrogeschäft zu verringern: von erneuerbarer Energie wie Wind und Ethanol aus Getreide über IT bis zur Prozessautomatisierung. Auch die deutschen Firmen Siemens und Kuka Roboter sind darunter.

Tony Sproles wurde 2006 Opfer der Massenentlassungen bei Ford in Indiana. Sein Bruder arbeitete bereits als „Roughneck“ in Wyoming, als „Hartnacken“ also, wie die Anfänger und Handlanger im Bohrgeschäft heißen. So suchte auch Tony dort mit 36 eine neue Chance. Inzwischen ist er Ausbilder im Trainingszentrum und vermittelt den Neulingen, was sie erwartet: „Die härteste Arbeit, die ich je hatte“ und die beste Abnehmkur, „20 Kilo in sechs Wochen“, alles in freier Natur. „Wir brauchen selbstständige Menschen, die wissen, was sie mitnehmen müssen, wenn sie ein Ziel 80 Kilometer von der nächsten asphaltierten Straße ansteuern.“

Im Unterrichtsraum überwiegen die „Veteranen“, Heimkehrer aus Irak und Afghanistan Anfang bis Mitte 20, teils Milchgesichter, teils Bodybuildertypen, alle mit Tattoos. Die meisten sind verheiratet und haben Kinder, sie brauchen Geld. „Weniger gefährlich als in Falludscha, aber besser bezahlt“, ist die Erwartung von Bryan aus Colorado. Dan, 32, war Teppichleger in Montana. Seine Kinder werden ihm fehlen unter der Woche draußen auf dem Ölfeld, fürchtet er, aber dafür habe er danach eine Woche frei.

Auf dem weiten Gelände hinter dem Schulgebäude stehen zwei transportable Bohrplattformen. Eine Gruppe in Blaumännern und Bauhelmen lernt, wie man das Gerät zusammensetzt und zerlegt. Es bedarf kräftiger Arme, um die zwei schweren Stahlbacken um die Bohrstange zu schließen, aber „Muskeln allein reichen nicht“, ruft John Muse. Er verlagert sein Körpergewicht vom linken aufs rechte Bein, als seine behandschuhten Pranken die zwei schweren Metallteile mit lautem Klacken ineinanderschieben.

„Diese praktische Ausbildung gibt es nirgends sonst“, sagt Chris Corlis. Das kleine Bohrgerät koste 8000 Dollar pro Tag, das große 16 000. Dem Trainingszentrum stellen es die Ölfirmen kostenlos zur Verfügung. Sie sehen den Erfolg des Anlernprogramms. Früher haben sie in Boomzeiten ihre Rekrutierer abends durch die Kneipen geschickt und kräftige Männer mit Handgeldern angeworben. Doch von den Menschen, die sie auf der Straße anheuern, sind drei Viertel nach spätestens sechs Monaten wieder weg. Unter den Kursabsolventen ist es umgekehrt: Nach sechs Monaten sind 68 Prozent noch im Job.

Disziplin, Disziplin, Disziplin, ist Chris Corlis’ Motto. In Umkehrung einer sonst in den USA üblichen Regel bläut er den Kursteilnehmern ein: „Bei uns kriegt KEINER eine zweite Chance.“ Wer zu spät kommt, fliegt. Wer im Unterricht eine SMS verschickt, fliegt. Wer beim obligatorischen Rauschgifttest auffällt, fliegt. Aber wer ein unentgeltliches Training im Wert von mehr als 2000 Dollar erhält, von dem dürfe man auch etwas verlangen, sagt er.

Und doch, 32 Jahre im Ölgeschäft, wie hält man das aus, trotz verlorener Gliedmaßen? John Muse lacht dröhnend: „Man muss seine Arbeit lieben, sonst geht es nicht.“ Ja, wenn man Liebe lehren könnte. Die John Muses werden wohl die Ausnahme in diesem Geschäft bleiben.

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