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Im Urwald. Maria Eugenia Briceno und ihr Sohn leben in Lago Agrio in unmittelbarer Nähe der Ölquellen. Foto: Reuters

© REUTERS

Ölkonzern Chevron: Quellen des Zorns

Chevron wehrt sich gegen ein Urteil, wonach der Konzern 9,5 Milliarden Dollar wegen der Verschmutzung in Ecuador zahlen soll.

Berlin - „Das ist natürlich ein Triumph für die Gerechtigkeit“, sagt Pablo Fajardo am Telefon. Das erste Mal mischt sich etwas Pathos in seine gemessene Art. Er fasst die Dinge knapp zusammen, spricht ernst, hebt kaum die Stimme. Der Anwalt sitzt vor einem Regal, das die Maße des Triumphs kaum noch halten kann: Bis zur Decke des kargen Büros reiche es inzwischen, sagt er, und könne doch all die Ordner mit den Prozessakten nicht mehr fassen. Hunderttausende Seiten sind es. „Wir haben vor ein paar Jahren aufgehört zu zählen.“ Eine Sensation sei die Gerichtsentscheidung vom Montag nicht gewesen. „Jedes ordentliche Gericht hätte ähnlich handeln müssen“, sagt Fajardo. „Die Beweise sind erdrückend.“ Nach 17 Verhandlungsjahren verurteilte das Bezirksgericht der Amazonas-Provinz Sucumbios die Chevron Corporation, einen der größten Ölkonzerne, zu Zahlungen von insgesamt 9,5 Milliarden US-Dollar.

Das kleine Haus in der Eloy-Alfaro-Straße hat die gemeinnützige Organisation Frente para la Defensa de la Amazonia gemietet, in der die Kläger vertreten sind. Da ist ein nüchterner Versammlungsraum mit blauer Tünche, ein paar Büros, ein struppiger Garten. Die Nebenstraßen von Nueva Loja sind nicht geteert, die Häuser ragen selten über zwei Stockwerke hinaus, abends fällt für Stunden der Strom aus. Dann isst man draußen, auf der Hauptstraße sind Tische aufgebaut, neben den mobilen Küchen rattert der Generator. Idyllisch ist es nicht: Nueva Loja ist ein zum Städtchen gewordener Slum, der sich seit Ende der 1960er Jahre um die sorgfältig umzäunte Ölarbeitersiedlung Lago Agrio bildete – jene Siedlung, die Texaco in den einst unzugänglichen Urwald trieb. Nicht selten gibt es Schießereien: Die Region grenzt an Kolumbien, immer wieder verlagern Paramilitärs, Mafiosi und Guerilleros ihre Händel in die Gegend. Auch Fajardo lebt nicht unbedingt sicher. Sein Bruder und einer seiner besten Freunde wurden erschossen. Das kann Zufall sein, muss es aber nicht.

Seit 2003 wird in einem der wenigen höheren Häuser an der Hauptstraße einer der größten Umweltschutzprozesse der Welt verhandelt. Das Gericht sitzt über einem Einkaufszentrum. Ein New Yorker Richter hatte verfügt, dass sich Texaco – 2001 von Chevron gekauft – hier vor dem Bezirksgericht gegen die Anklagen verteidigen müsse. Nun hat der Richter Nicolas Zambrano das drittgrößte Unternehmen der USA verurteilt und zu einer öffentlichen Entschuldigung verpflichtet.

Die Kläger gehen davon aus, dass Texaco etwa 18 Millionen Gallonen Öl, toxische Schlämme und giftige Abwässer rings um 325 Bohrlöcher verschüttet hat. Texaco legte Becken neben den Bohrlöchern an. Für die Schmierstoffe der Bohrung, aber auch für Öl. Texaco leitete es in die Becken, mal um zu testen, wie viel Rohöl in 24 Stunden aus dem Boden kam, mal, weil vielleicht ein Rohr ausgewechselt wurde oder ein Zulauf gebrochen war. Die Becken waren weder isoliert noch geschützt, viele hatten ein nach unten abgeknicktes Rohr an unzugänglichen Stellen, so wurde die giftige Brühe direkt in den nächsten Bach abgeführt. Außerdem habe Texaco auch toxische und extrem salzhaltige Abwässer, die mit dem Öl aus der Erde kamen, in solche Becken geschüttet. 18 Millionen Gallonen sind etwa 30 Mal so viel, wie die „Exxon Valdez“ vor Alaska verlor, die Umweltkatastrophe sei zehn Mal so umfangreich wie das Desaster von BP im Golf von Mexico.

Weit mehr als 600 solcher Becken habe Texaco im Osten Ecuadors hinterlassen, stellen die Kläger fest. Aus ihnen tritt bis heute eine giftige Brühe aus und verseucht das Wasser ringsherum. Es wird von Mensch und Tier getrunken, in den Bächen baden Kinder. Donald Moncayo, einer der Aktivisten der Frente, erzählt, wie seine Mutter kurz nach einer Unterleibsoperation zum Wäschewaschen in den Fluss stieg. Drei Tage später war sie tot. Die Region, in der fast zwei Drittel der Bevölkerung mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen müssen, weist eine untypisch hohe Rate an Krebs-, Haut- und Augenkrankheiten auf. Die Zahl der missgebildeten Kinder ist hoch. „Mangelnde Hygiene“, sagen Chevron-Anwälte. „Es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Produktion von Öl und den Erkrankungen.“

Texaco arbeitete bis zum Auslaufen der Konzession 1990 im Osten Ecuadors – auch wenn sie der Juniorpartner waren, hätten sie alle operativen Entscheidungen getroffen, sagen die Kläger. Die Militärregierung Ecuadors hatte in den 1960er Jahren Verträge mit der Ölgesellschaft unterzeichnet. Das Amazonasbecken war ein weißer Fleck auf der Landkarte, allenfalls von Indianern besiedelt. Straßen und Siedlungen sollten die Region nun erschließen und den kriegerischen Nachbarn Peru aufhalten. Eine Kontrolle darüber, was Texaco im Urwald trieb, gab es nicht. Die staatliche Ölgesellschaft habe bis 1990 aus ein paar Schreibtischen, Briefköpfen und Büroangestellten bestanden, sagt Fajardo. „Texaco konnte in der Region machen, was es wollte.“ Und wenn man den Geschichten glaubt, die in der Region kursieren, war das auch so: Die Liste jener, die von misshandelten Arbeitern, ermordeten Angehörigen oder vergewaltigten Frauen erzählen, ist lang. Offenkundig ist auch, dass die Produktion vor Ort regelmäßig die Umweltstandards etwa der USA unterlief. Schon 1972 ordnete der damalige Lateinamerika-Chef von Texaco an, alle Unterlagen über die Produktion regelmäßig zu vernichten.

Von Beginn an verteidigte sich Chevron aggressiv gegen alle Anschuldigungen. Der Prozess wurde mit Eingaben und einem komplizierten Inspektionsmechanismus ausgedehnt. Chevron rief das internationale Schiedsgericht in Den Haag an und klagte sogar das Rohmaterial eines Dokumentarfilms ein: Chevron betreibt eine Youtube-Seite, auf der die Anwälte der aus mehr als 30 000 Bewohnern bestehenden Klägergemeinde als illegal operierend und nur am Verdienst interessiert dargestellt werden sollen. Kläger und Beklagte werfen sich eine ganze Bandbreite der illegalen Eingriffe in den Prozess vor.

„Der Prozess ist eine Farce,“ sagt Kent Robertson, Sprecher von Chevron. Die beteiligten Anwälte sprechen von „Korruption“ und einer „Beweisführung gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis“. Sie sehen eine Verschwörung von Regierung, geldhungrigen Anwälten, Medien und fehlgeleiteten Bewohnern. „Böser Konzern gegen arme Bauern – das funktioniert eben immer“, sagt eine Anwältin, die ihren Namen nicht gedruckt sehen will. Und auch wenn Juristen bezweifeln, dass das Urteil je vollstreckt werden kann, hat es einen hohen symbolischen Gehalt, wie Marcos Orellana vom Center for International Enviromental Law in Washington beobachtet: „Internationale Konzerne werden haftbar gemacht für das Unheil, dass sie anrichten.“ Sowohl Chevron als auch die Klägergemeinschaft haben Einspruch gegen das Urteil eingelegt: Der Prozess sei „eine Anomalie“, sagt die Anwältin. „Das Urteil wird den Schäden nicht gerecht“, sagt Fajardo.

Der Autor war im Jahr 2007 vier Wochen lang vor Ort.

Lennart Laberenz

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