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Wirtschaft: Ohne Brief und Siegel

Rot-Grün will den Meisterzwang abschaffen. Das könnte die kriselnde Branche durcheinanderwirbeln – und die Preise purzeln lassen

Handwerk macht eine Menge Arbeit. Nicht nur den Maurern, den Galvaniseuren, den Holzbildhauern oder den Edelsteinschleifern hier zu Lande. Auch für die Behörden fällt eine Menge ab. Schätzungsweise 10 000 Bußgeldbescheide müssen sie pro Jahr tippen, falten, frankieren und verschicken – alles wegen der Handwerker. Denn diese, die Adressaten der unangenehmen Post, haben sich am deutschen Rechtsstaat versündigt. Das kostet sie bis zu 100 000 Euro Strafe pro Nase. Ihr Vergehen: Sie haben gearbeitet, ohne ein wichtiges Dokument zu besitzen – den großen Befähigungsnachweis, kurz: Meisterbrief. Juristisch gesehen gelten viele von ihnen als Schwarzarbeiter – und müssen Hausdurchsuchungen und Prozesse über sich ergehen lassen.

„Damit ist es zum Glück bald vorbei“, hofft Thomas Melles. Er ist Vorstand des Berufsverbandes unabhängiger Handwerker (BUH) und streitet gegen den Meisterbrief. Darin hat er seit dem 14. März einen mächtigen Verbündeten: Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hat angekündigt, die vermuffte Handwerksordnung zu modernisieren. Der Kern des Plans: Künftig sollen Gesellen einen eigenen Betrieb gründen oder übernehmen dürfen, auch wenn sie keinen Meisterbrief besitzen. Davon erhofft sich die Bundesregierung mehr Dynamik beim Wirtschaftswachstum, neue Arbeitsplätze und mehr Lehrstellen. Weiterer Nebeneffekt: Die Behörden müssen weniger Bußgeldbescheide verschicken.

Nicht völlig zwanglos

Ganz verzichten werden die Beamten aber vermutlich nicht darauf. Denn nicht alle der 94 Handwerks-Gewerbe werden vom Meisterzwang befreit. Für ein gutes Drittel wird weiterhin die teure Urkunde verlangt – denn bei ihnen handelt es sich um, so der Fachterminus, „gefahrgeneigte Gewerbe“: das sind die meisten Bauberufe, Bäcker, Schornsteinfeger oder Heizungsbauer (siehe Kasten). Pfusch bei diesen Jobs kann Leib und Leben der Allgemeinheit gefährden, glaubt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Ohne Meisterbrief dürfen sich nur erfahrene Gesellen selbstständig machen, die zehn Jahre Berufserfahrung gesammelt haben. Dennoch wird die Novelle die Branche aufscheuchen – zum Nutzen der Verbraucher. „Das Monopol der Meister fällt – damit sinken die Preise“, erwartet Herbert Buscher, Arbeitsmarktexperte beim Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Bislang steht das deutsche Handwerk, dessen Strukturen noch aus dem mittelalterlichen Zunftwesen stammen, im Ruf, überteuert zu produzieren. „Ein Preisrutsch um zehn Prozent ist denkbar“, prophezeit Handwerks-Dissident Melles. Ganz nebenbei könnte die boomende Schwarzarbeit zurückgehen – denn Gesellen, die samstags über den Büchern brüten, legen nicht illegal Fliesen oder tapezieren Wände.

Die Qualität soll dabei nicht leiden, versichern Ökonomen, die seit Jahren die Liberalisierung der Handwerksordnung fordern. „Die Gesellen, die den Schritt ins Unternehmertum wagen, müssen sich erst einmal etablieren. Deshalb werden sie versuchen, bei Qualität und Service die alt eingesessene Konkurrenz zu übertrumpfen“, meint Buscher. „In anderen Ländern liefern die Betriebe auch ordentliche Arbeit ab, ohne Meisterbrief“, sagt Viktor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine ähnlich rigide Zulassungsbeschränkung wie Deutschland kennt EU-weit nur Luxemburg.

Ungeliebte Ochsentour

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) beharrt dennoch auf den alten Regeln. Die Lobbyisten kündigen heftigsten Widerstand an und stellen „60 000 Lehrstellen zur Disposition“, so ZDH-Generalsekretär Hanns-Eberhard Schleyer. Dabei hat das Handwerk schon lange keinen goldenen Boden mehr. 1994 arbeiteten noch 6,7 Millionen Menschen als Augenoptiker oder Zweiradmechaniker, heute sind es nur noch 5,4 Millionen. Die Krise schlägt sich auch in der Ausbildungs-Bilanz nieder – seit 1994 ging jede fünfte Lehrstelle verloren. Vieles spricht dafür, dass der Meisterbrief an der Misere mitschuldig ist: In den handwerksähnlichen Berufen wie Bodenleger, Rohr- oder Kanalreiniger, in denen kein Meisterzwang herrscht, stieg die Zahl der Firmen seit 1994 um 44 Prozent – im Vollhandwerk mit Briefzwang dagegen stagnierte die Zahl. Der Grund: Die kostspielige Ochsentour vom Lehrling über den Gesellen bis zum Meister mögen sich immer weniger junge Menschen antun.

Genau deshalb ist Meister-Gegner Thomas Melles mit den Reformideen der Regierung noch unzufrieden. Warum auch weiterhin für „gefahrgeneigte“ Berufe ein Meisterbrief nötig ist, mag er nicht einsehen. „Für Bäcker ist der Brief Vorschrift, für Köche und Wirte nicht“, moniert er. „Für die Waffenindustrie gilt kein Meisterzwang, für Glasbläser aber schon.“ Das Argument, der Brief bürge für Qualität, lässt er nicht gelten. „Wir haben hier zu Lande strenge gesetzliche Auflagen – und der TÜV kann ein Produkt allemal besser überprüfen als ein Meister, der auch noch seine Herstellungskosten im Blick haben muss.“

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