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Wirtschaft: Ohne Klackern und Surren

Weg vom Schmuddel-Image: In Callcentern machen leise PCs und Ruhezonen die Arbeit angenehmer – das bringt mehr Umsatz

Berlin - Es sind schwere Zeiten für Christian Holtmann. Der Chef der Contact-Sparte beim Versandhändler Quelle läuft durch das Callcenter in Kreuzberg und denkt darüber nach, was seiner Branche in den vergangenen Jahren alles angetan wurde: die ständigen Schmähungen und Angriffe in den Medien, das Schmuddelkind-Image. „Das tut mir in der Seele weh“, sagt Holtmann. „Aber schauen Sie sich doch das hier einmal an. Das sind anständige Arbeitsplätze.“

Holtmann und der Verband Deutsches Call-Center Forum haben eingeladen, um die Branche ins rechte Licht zu rücken. Im ganzen Land präsentiert der Verband derzeit seine Aushängeschilder, die schönsten Callcenter Deutschlands.

Es sind Nachrichten wie diese, die sie künftig verhindern wollen: Kein anderer Job sei so zermürbend wie der im Callcenter, behaupteten die Experten der Techniker Krankenkasse (TK). 32 Prozent der Callcenter-Agenten, die bei der TK versichert sind, haben psychische Störungen. Den Telefonisten ginge es sogar noch mieser als Arbeitslosen. Das ist schlecht fürs Image.

Das Center von Quelle Communication scheint da keine Ausnahme zu sein: 565 Plätze auf gerade einmal 5600 Quadratmetern. 24 Stunden in Betrieb, täglich bis zu 50 000 Telefonate. Eine Callcenter-Fabrik. Das klingt nach Stress und Hektik, nach 32 Prozent psychischen Störungen. Aber Geschäftsführer Holtmann sagt, in den Quelle-Callcentern sei alles anders. Auch in dem in Kreuzberg.

Konzipiert hat es Michael Stüwe. Er ist Geschäftsführer der Human Callcenter Design mbh. Wie der Name schon sagt: Er will Callcenter menschlicher machen. Stüwe ist ein hoch aufgeschossener Mann, seine Stimme klingt mild. „Wir achten beispielsweise auf die Lautstärke“, sagt er leise. Im Kreuzberger Callcenter sorgte er für spezielle Tastaturen, die nicht klackern, und für eine Klimaanlage, die nicht summt. Die Decken sind schallabsorbierend. „Auch auf den Toiletten“, sagt Stüwe. In seinem Prospekt steht: „Luft, Licht und Raum sind die Leitideen.“ Stüwe ist ein Callcenter-Guru.

Doch was nach Hippie-Lehre klingt, ist knallhartes Kalkül. Es geht vor allem um Produktivität. „Kranke können nicht arbeiten, da geht Geld verloren“, sagt Quelle-Chef Holtmann. Der Krankenstand sei mit sechs bis sieben Prozent extrem niedrig für ein Callcenter, die Fluktuation sei auch gering. „Das kostet mich doch Geld, immer neu auszubilden.“

Krank wird man laut Callcenter-Designer Stüwe aber auch, wenn einem langweilig ist. „In Betrieben, in denen die Menschen nicht ausgelastet nach Hause kommen, ist der Krankenstand höher“, sagt er. Faulenzen ist in Kreuzberg nicht möglich: Die Teamleiter haben die Mitarbeiter genau im Blick. „Wenn ein Mitarbeiter ein Problem hat, muss er nur die Hand heben und bekommt Unterstützung.“ Für die einen ist es Überwachung, für die anderen der aufmerksamste Chef der Welt. Nicht nur optisch werden die Angestellten kontrolliert: Die Agenten müssen mit sogenannten „Mystery-Anrufen“ von externen Coaches rechnen. Dabei gibt sich ein Vorgesetzter als Kunde aus, um den Service am Telefon zu testen. Ein 60-köpfiges Team trifft es etwa zehnmal täglich.

Bernd Bienzeisler ist Callcenter-Experte beim Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Er sagt: „Etwa 70 Prozent der Callcenter arbeiten seriös.“ Auch die Arbeitsbedingungen hätten sich in den letzten Jahren vor allem bei großen Firmen deutlich gebessert. Das Konzept von Quelle findet er vielversprechend. Auch weil den Agenten nicht vorgegeben wird, wie lange sie für ein Telefonat Zeit haben. „Da ist der Stress besonders hoch. Und für den Kunden ist das auch nicht gut, wenn das Gespräch schnell beendet werden muss.“

Im Kreuzberger Callcenter ist das nur bei großem Andrang der Fall. Es gibt verschiedene Eskalationsstufen. Sie richten sich nach der Anzahl der Anrufe. Zeigen die Bildschirme an der Decke die höchste an, sind die Agenten angehalten, die Gespräche rasch zu beenden. Und sogenannte Upsells einzustellen. Upsells sind Verkäufe, bei denen dem Kunden zusätzlich etwas verkauft wird – auch wenn er nur nach Service gefragt hat. Der Computer speichert die Einkaufsgewohnheiten der Kunden genau. Ein Fenster ploppt auf, wenn ein Anrufer für ein Produkt rein statistisch besonders affin ist. Verkauft wird fast alles. Sogar Lotto-Lose. „Ist doch nicht verwerflich“, sagt Holtmann, „ich spiele auch manchmal Lotto.“

Dabei könnten vor allem die Mitarbeiter mal einen Lotto-Gewinn gebrauchen. Jürgen Stahl, Callcenter-Fachmann bei Verdi, sagt: „Viele die bei Quelle im Callcenter arbeiten, würden mit Hartz IV besser dastehen.“ Die meisten verdienten gerade einmal 6,04 Euro pro Stunde. Sie bräuchten zusätzlich noch Unterstützung vom Staat. Ein Quelle-Sprecher sagt: „Die 6,04 Euro sind rein rechnerisch. Alle Angestellten beziehen noch zusätzliche Prämien.“ Wie hoch die sind, will er nicht sagen. Das hänge vom Einzelfall ab.

Ganz umsonst für die Mitarbeiter sind dafür die Nutzung des „Chill“- und des „Schrill“-Raums. Zum Ausspannen. Im „Schrill“-Raum stehen eine Spielekonsole und ein Tischkicker. „Um die angespannte Schulter- und Nackenmuskulatur zu entspannen“, erklärt Stüwe. Der „Chill“-Raum sieht aus wie die Ruhezone einer Sauna. Viel Zeit haben die Agenten nicht für die beiden Räume: Trotz der hohen Belastungen gelten für sie nur die normalen gesetzlichen Pausenzeiten. Auch jetzt ist der Pausenraum leer und schön leise.

Frederic Spohr

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