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Wirtschaft: Ohne Netz und doppelten Boden

Mit der letzten Hauptversammlung von Schering geht für Berlin ein Stück Industriegeschichte zu Ende

Berlin - Wenn sich morgen der Saal 2 des Berliner Congresscentrums leert, dürfte der Arzneihersteller Schering Geschichte sein. Die Aktionäre – allen voran der Leverkusener Bayer-Konzern, der über 95 Prozent der Anteile hält – werden auf der außerordentlichen Hauptversammlung mit dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag das Ende des einzigen Berliner Dax-Unternehmens besiegelt haben, das seit Jahren um seine Unabhängigkeit kämpfte.

Ist Schering ein weiterer Konzern, der der eigenen Schwäche zum Opfer gefallen ist? Hubertus Erlen bestreitet das. „Aus dem Geschäft heraus wäre Schering allein lebensfähig gewesen“, sagte der scheidende Vorstandschef im Interview.

Die Wettbewerbsfähigkeit zeige sich darin, dass Schering in allen wichtigen Märkten mit vielen Produkten die Nummer eins oder zwei sei. So stellt der Konzern, der 1961 mit dem Marktstart der ersten Antibabypille in Deutschland die Gesellschaft aufrollte, etwa mit Yasmin das weltweit am häufigsten verordnete Produkt zur hormonellen Empfängnisverhütung her. Auch das umsatzstärkste Medikament Betaferon spielt auf dem Weltmarkt der Mittel gegen Multiple Sklerose ganz vorne mit.

Zudem wachse Schering nicht nur doppelt so schnell wie der Weltmarkt, sondern habe auch eine deutliche Renditesteigerung auf über 18 Prozent verbucht, betont Erlen. Das ist im Vergleich mit internationalen Konzernen wie Pfizer, Wyeth und Roche unterdurchschnittlich. Für einen deutschen Hersteller ist das aber sehr viel. Nur Altana verdient hier zu Lande mehr, dank des Markterfolgs des Top-Medikaments Pantozol gegen Magen-Darm-Erkrankungen.

Gerade diese Erfolge dürften die Begehrlichkeiten des Darmstädter Wettbewerbers Merck geweckt haben, der im März aus heiterem Himmel ein feindliches Übernahmeangebot für Schering lancierte. Der hessische Pharma- und Chemiekonzern, der einen Großteil seines Gewinns mit Flüssigkristallen für Flachbildschirme verdient, hätte das rentable Geschäft der Berliner durchaus geschmückt. Denn im Geschäft mit Medikamenten erzielte Merck 2005 gerade mal eine Marge von gut elf Prozent.

Erlen sieht Schering nicht als Opfer des eigenen Erfolgs. „Ein weniger erfolgreiches Unternehmen wäre ja noch leichter anzugreifen gewesen.“ Aber im Gegensatz zu anderen Pharma-Mittelständlern wie Merck, Schwarz Pharma, Altana oder auch Fresenius konnte sich Schering nicht auf eine Eigentümerfamilie stützen und agierte daher quasi ohne Netz und doppelten Boden. „Als der Aktienkurs nach einigen Rückschlägen in der Forschung unter Druck geriet, waren wir aufgrund unserer Aktionärsstruktur natürlich angreifbar“, sagte Erlen.

Aus der Fusion mit Bayer wird das größte deutsche Pharma-Unternehmen hervorgehen. International rangiert es aber bloß auf Platz 20. Und nicht nur Erlen geht davon aus, dass die Konsolidierung fortschreitet. „Der Beweis, dass die Großen es besser machen, steht aber noch aus“, sagte er.

Erlen bescheinigt den Leverkusenern, dass sie bei der Integration von Schering alles daran setzten, ihre Zusagen einzuhalten. „Alles geht einen geordneten und planvollen Weg“, lobt der Schering-Chef. „Letztlich sind wir aber die Übernommenen und nicht die Käufer.“ Bisher seien für die verschiedenen Geschäftsbereiche und Länder die künftigen Funktionen bereits definiert und vereinzelt die Besetzung auch schon geplant. Anschließend werde überlegt, wie der entsprechende Job im künftigen Unternehmen aussehen müsse. HB

A. Sleegers, D. Fockenbrock

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