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© dpa

Opel-Mitarbeiter: "Wir ballen die Faust in der Tasche"

Sie bekommen kein Urlaubsgeld, ihre Zukunft ist seit Monaten unsicher. Unter den Opelanern wächst die Wut – auf die Politik und auf den Mutterkonzern General Motors. Eine Reportage.

Nein, sagt Franco Biaggiotti, Spaß bereite ihm die Arbeit derzeit nicht. Wie auch? Seit Monaten kann er den Bochumer Mitarbeitern keine Antworten auf die Fragen geben, die im Raum stehen: Bleibt das Werk erhalten? Wie viele Mitarbeiter müssen gehen? Was wird aus Opel? "Wir wissen es im Moment einfach nicht", sagt er.

Biaggiotti ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender am Standort Bochum, einem der vier Werke des Autoherstellers in Deutschland. 5300 Mitarbeiter bauen hier den Astra und den Zafira. Seit Monaten wartet die Belegschaft auf ein Signal, wie es weiter geht. Keiner weiß, ob er in sechs Monaten noch für Opel Autos bauen kann. Viele sind noch immer in Kurzarbeit. Und als sei das nicht genug, erfuhren die Mitarbeiter vergangene Woche, dass der Konzern in diesem Jahr kein Urlaubsgeld zahlen wird, um Geld zu sparen. So langsam, sagt Biaggiotti, kippe die Stimmung. "Die Angst schlägt um in Wut."

Biaggiotti war bereits Betriebsrat, als sich die Opel-Mitarbeiter 2004 gegen den Mutterkonzern auflehnten, aus Protest gegen Sparpläne der Amerikaner. Jetzt fühle man sich noch stärker provoziert von den Managern aus Detroit, sagt er. Aber er weiß auch, dass ein Streik das Ende des Bochumer Werks bedeuten könnte. "Darauf warten die doch nur", sagt er. "Dann können sie leicht das Todesurteil unterzeichnen." Deshalb verzichte man auf Protest. Zumindest vorerst.

Die Entscheidung über die Zukunft fällt ohnehin woanders. Im Poker um Opel wirken so viele Kräfte: Die Manager von General Motors und Vertreter der Bundesregierung verhandeln mit Emissären des russischen Autozulieferers Magna, mit den Chinesen und mit RHJ, dem Brüsseler Ableger des amerikanischen Finanzinvestors Ripplewood. Biaggiotti hat in den Zeitungen gelesen, dass die Belgier kurz vor einer Einigung mit der Mutter GM stehen sollen, dass die Gespräche mit Magna stocken. In Deutschland hat unterdessen der Wahlkampf begonnen, in der Politik ein Gezerre um die Rettung von Opel eingesetzt. Bund gegen Länder, jeder kämpft um seine Interessen.

"Es ist ein einziges Gezocke", schimpft Biaggiotti. So wie er sind viele bei Opel enttäuscht, dass die Versprechungen sich nicht zu bewahrheiten scheinen, die die Politik in der Nacht zum 29. Mai gegeben hat. Präsent ist das Bild des Finanzministers, wie er abgekämpft und zu später Stunde verkündet, man sei mit Magna handelseinig geworden. Vergessen ist auch nicht der Satz, den Magna-Vorstandschef Siegfried Wolf Ende Juni sprach: "Wir wollen am 15. Juli zum Abschluss kommen". Das war am gestrigen Mittwoch, noch immer ist nichts beschlossen.

Stattdessen ist das Rennen auf einmal wieder offen und ein Investor im Rennen, den viele bei Opel für ein Trojanisches Pferd halten, geschickt vom Mutterkonzern General Motors, um Opel zu parken. Der Verdacht geht so: GM habe nach der durchschrittenen Insolvenz den Plan, Opel irgendwann wieder zurück zu kaufen. Deshalb schicke man einen Finanzinvestor vor, der Opel ohne unternehmerisches Interesse übernimmt, das Unternehmen verkleinert, gestützt durch Steuergeld, und schließlich wieder nach Detroit verkauft.

Rund 300 Kilometer südlich, im Werk Kaiserslautern, teilt man diese Skepsis. "Ich finde die jüngste Entwicklung sehr bedenklich", sagt der Betriebsratschef des Werks in Kaiserslautern, Alfred Klingel. Auch er hält den Interessent RHJ für ein Vehikel des Mutter-Konzerns GM, der vorgeschickt wird, um die Interessen der Manager aus Detroit durchzusetzen. Zudem habe man große Zweifel, dass die Brüsseler in der Lage seien, Opel zu führen.

Wütend ist Klingel auch auf den Wirtschaftsminister. Der, so lautet die Vermutung des Betriebsrats, spiele derzeit sein eigenes Machtspiel, in dem es darum gehe, den Magna-Deal doch noch zu verhindern. Guttenberg wolle anscheinend seine Niederlage im letzten Machtpoker um Opel im Mai vergessen machen. Eine andere Vermutung: "Offenbar erhofft man sich im Wirtschaftsministerium, dass man mit weniger Bürgschaften rauskommt", sagt Klingel. "Deshalb zockt man bis zuletzt und betreibt eine Hinhaltetaktik". Mit dem neuen Investor verhandele man vor allem, um Magna unter Druck zu setzen. Eine gefährliche Strategie, wie der Betriebsrat findet: "Am Ende", so fürchtet er, "steht man womöglich ohne irgendeinen Investor da".

Ohnehin kann sich keiner der Betriebsräte einen Einstieg von RJH bei Opel vorstellen. Vor allem dann nicht, wenn dieser einzelne Standorte schließen werde. Das, darauf setzen sie, würden die Länder verhindern. Mit Genugtuung hat Klingel das Veto des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) zur Kenntnis genommen, der den 1,5 Milliarden Euro schweren staatlichen Überbrückungskredit für Opel an einen Einstieg des österreichisch-kanadischen Zulieferers Magna geknüpft hatte. Ähnliche Schützenhilfe erhofft er sich aus Mainz: "Warum sollte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident einem solchen Deal zustimmen, wenn Kaiserslautern infrage gestellt wird?", fragt Klingel.

Einig sind sich die Betriebsräte, dass bald eine Entscheidung fallen muss. Auch weil viele Mitarbeiter die Situation nicht mehr ertragen. In Bochum spricht der Betriebsrat Biaggiotti davon, dass es eine zunehmende Fraktion unter den Beschäftigten gebe, die drastischere Maßnahmen fordere, gewissermaßen französische Verhältnisse. "Da gibt es schon welche, die einen stärkeren Protest fordern, die sagen: Wir müssen uns wehren wie einst 2004."

Noch halte man still. Man werde den Managern aus Detroit keine Steilvorlage liefern, Bochum zu schließen, nach all den Jahren und all dem Kampf. Die Wut aber sei allgegenwärtig. "Wir ballen die Faust in der Tasche."

Quelle: ZEIT ONLINE

Philip Faigle

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