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Wirtschaft: Opel und die Angst vor der Globalisierung

Wird das neue Werk in Polen auf Kosten westeuropäischer Opel-Standorte ausgebaut? / Bochum macht sich SorgenVON BRANDON MITCHENER GLIWICE.

Wird das neue Werk in Polen auf Kosten westeuropäischer Opel-Standorte ausgebaut? / Bochum macht sich SorgenVON BRANDON MITCHENER GLIWICE.Die Mammut-Pressen in der neuen schlesischen Opel-Fabrik warten noch auf ihren Farbanstrich, bevor sie im Mai endlich mit Donnerkrachen in Betrieb gehen können.Doch sie schicken bereits jetzt Schockwellen durch die Opel-Werke im Westen Europas.General Motors, der Opel-Mutterkonzern, baut zur Zeit vier fast identische Fabriken rund um den Globus.Das Werk in Gliwice sollte ursprünglich Autos für den boomenden Markt in Osteuropa produzieren.Innerhalb weniger Jahre könnte die Fabrik allerdings auch qualitativ hochwertige Fahrzeuge für den westeuropäischen Markt herstellen - zu einem Preis, der deutlich unter dem der bestehenden Opel-Werke liegt.Gut oder schlecht? Das hängt davon ab, mit wem man darüber spricht.Globalisierung ist eine der heißen Wirtschafts-Vokabeln dieser Zeit, und die Globalisierung von General Motors (GM) ist wohl eine der größten überhaupt.Der amerikanische Autogigant rollt in die Märkte Osteuropas, Lateinamerikas und Südostasiens.Die Offensive macht aus der deutschen GM-Tochter Opel im verschlafenen Rüsselsheim einen weltbekannten Markennamen.Es war die im Jahre 1929 von General Motors aufgekaufte Adam Opel AG, die die Ideen zum "Weltauto" hatte, das GM nun in neuen Märkten wie Polen, Rußland, Brasilien, Argentinien, China und Thailand anbieten will.Opel-Ingenieure helfen beim Bau der Fabriken in den neuen Märkten.GM-Kritiker innerhalb der europäischen Töchter - Opel in Deutschland, Vauxhall in Großbritannien und Saab in Schweden - sorgen sich allerdings über die möglichen Fallstricke.Die Arbeiter befürchten, daß neue Fabriken wie die in Gliwice die globalen Überkapazitäten nur noch verschlimmern und somit den Grund für Entlassungen liefern.Obwohl GM anderswo neue Arbeitsplätze schafft, hängt über den Köpfen der 80 000 europäischen Opel-Mitarbeiter drohend ein 20 bis 30prozentiger Stellenabbau.Viele der Kritiker glauben auch, daß die halsbrecherische Globalisierung den europäischen Charakter von Opel verwässern und die hohe Reputation des Unternehmens auf Gebieten wie Sicherheit und Umweltstandards beschädigen könnte.Der Einfluß der Konzernmutter GM auf das Opel-Design und die rastlose Suche nach Möglichkeiten zur Kostenreduzierung könnten dazu führen, daß Opel eher bekannt wird für Kompromisse und Billig-Konstruktionen.GM betont, daß Opel Deutschland bei der weltweiten Offensive das Flagschiff bleiben soll.Es fließen weiterhin hohe Investitionen in die Modernisierung deutscher Standorte."Opel hat die klare Verantwortung für die Pkw-Entwicklung außerhalb der USA und General Motors hat die erklärte Absicht, das Erbe der Ingenieurskunst in der Opel AG zu bewahren", sagt Louis Hughes, Präsident der GM International Operations.Darüberhinaus sagt GM allerdings, daß man, wenn man global wettbewebsfähig bleiben wolle, keine Wahl habe, als nach neuen Märkten und billigeren Produktionsstandorten als den europäischen und nordamerikanischen zu suchen.Nach Ansicht von Hughes lautet das weltweite Branchenproblem nicht Überkapazität per se, sondern daß die existierenden Kapazitäten "immer an den falschen Standorten sind."Doch die Klagen werden lauter.Einige unglückliche Opel-Chefs sind der Auffassung, daß es kein Zufall ist, daß das Unternehmen genau zu dem Zeitpunkt in Westeuropa mit Profit- und Imageproblemen zu kämpfen hat, an dem die gesamte Aufmerksamkeit des Konzerns auf Märkte wie Polen gerichtet ist.Obwohl noch immer profitabler als viele Wettbewerber, fielen die Gewinne von General Motors in Europa im letzten Jahr um 39 Prozent auf 471 Mill.US-Dollar, die Verkäufe gingen um 5,6 Prozent auf 24,11 Mrd.Dollar zurück.Richard Donnelly, Präsident von GM Europa, sieht den Grund für den Rückgang im "intensiven Wettbewerb".Aber könnte es auch sein, daß GM und Opel einfach zu lang weggeschaut haben? "Jahrelang war der strategische Fokus von GM auf Polen gerichtet", gibt ein GM-Mitarbeiter zu: "Es ist gut möglich, daß wir in dem Prozeß Westeuropa vernachlässigt haben."General Motors macht in Gliwice keine halben Sachen.Mark Goncalves, der energiegeladene portugiesische Direktor des neuen Opel-Werkes, sieht Polen als das verheißene Land, mit billigen, hochmotivierten Arbeitern, die auch die inländische Nachfrage nach Autos nach oben treiben werden.Das hellgraue Fabrikgebäude erhebt sich über leichtgewellte Grashügel und grenzt an eine Pferdefarm, einen Kanal und eine Autobahn.Offiziell ist die gesamte Gliwice-Jahresproduktion von 70 000 Opel Astras für osteuropäische Schauräume bestimmt.Das Modell, für das im September die volle Produktion anlaufen wird, soll "Astra Classic" heißen und ist, laut einem GM-Sprecher "im Prinzip der Astra der heute bereits auf den Straßen ist." Der Classic wird als ein moderner aber günstiger Wagen für die preisbewußten Polen eingeführt und soll künftig 75 Prozent aller Astra-Verkäufe ausmachen.Aber es ist ein offenes Geheimnis in Gliwice, daß Opel dort ab 2000 ein vollkommen neues Modell bauen will, das dann auch für den westeuropäischen Markt bestimmt ist.Goncalves weist darauf hin, daß das Werk in seiner zweiten Ausbauphase den Output auf gut 30 Autos pro Stunde verdoppeln und die Zahl der Arbeitsplätze auf fast 3000 anheben will: "Du baust nicht so eine Fabrik und läßt sie dann untätig rumstehen", sagt er.Tatsächlich: Noch bevor die eigentliche Autofertigung beginnt, wird Gliwice bereits einzige europäische Ersatzteilquelle für eines der meistverkauften Autos Europas werden: den Astra.Das allein macht schon eine bemerkenswerte Akzentverschiebung nach Osteuropa aus.Die Teile-Produktion für den Astra Classic sicherten bislang am westdeutschen Opel-Standort Bochum einige hundert Arbeitsplätze.Langfristig, sobald Polen Vollmitglied der Europäischen Union ist (was wohl Anfang des nächsten Jahrzehnts der Fall sein wird), ist es ein leichtes, Gliwice für die Belieferung des ost- und westeuropäischen Marktes auszubauen, sagen hochrangige GM-Mitarbeiter.Für General Motors ist der Blick nach Osten eine logische Reaktion auf neue Produktions- und Verkaufsmöglichkeiten.Während die Verkäufe in Europa stagnieren, sagt GM für Polens Neuwagenmarkt ein Wachstum von fünf Prozent jährlich voraus.Allein im letzten Jahr schnellten die Verkäufe auf 478 000 Einheiten.Polen hat bereits Belgien von Platz sieben der größten europäischen Automärkte verdrängt.Insgesamt plant GM mit Hilfe der Opel-Produkte und Fabriken, den Output weltweit von drei Millionen auf fünf Millionen Einheiten im Jahr 2006 zu erhöhen."Es gibt keinen Grund, warum wir hier nicht denselben Marktanteil haben können, wie in Westeuropa - zwölf Prozent", sagt Manfred Richly, Verkaufsdirektor bei General Motors Polen."Das wäre das Mindeste." GM und Opel zusammen verkauften 1997 rund 44 000 Autos in Polen.Der Marktanteil stieg von 7,9 Prozent im Jahre 1996 auf 9,2 Prozent im vergangenen Jahr.Die Ergebnisse der Astra-Classic-Verkäufe in Polen sind für den Konzern fast Reingewinn: Die Entwicklungskosten und die grunderneuerten Second-hand-Maschinen für die Produktion wurden größtenteils schon vor Jahren abgeschrieben.Die Investitionen für die Startphase in Gliwice betrugen lediglich 361,7 Mill.Dollar.Zum Vergleich: Die Entwicklungskosten für den neuen Astra und die Erneuerung der Anlagen im Werk Bochum schlugen für den Konzern mit 2,8 Mrd.DM zu Buche.Selbst einschließlich der Phase Zwei werden die Investitionen in Gliwice wohl unter einer Mrd.DM bleiben.Zusätzlich zu dem Marktpotential bietet Polen dem Autobauer den Vorteil geringer Personalkosten.Polnische Arbeiter verdienen nur rund 12 Prozent dessen, was ein Arbeiter in Westeuropa verdient.Sie arbeiten statt 35 Stunden pro Woche 42, erwarten keine Zuschläge für Samstagsarbeit und bekommen nur drei bis vier Wochen Jahresurlaub, statt der sechs Wochen ihrer westdeutschen Kollegen."Die Qualität der Leute, die wir angestellt haben, ist fantastisch", freut sich Werksdirektor Goncalves: "Ich glaube, daß die Leute schon bald auf dem Wettbewerbsniveau des Westens sind."

BRANDON MITCHENER

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