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ORTSTERMIN: Sinns Falle

Der Elfenbeinturm ist nichts für Hans- Werner Sinn. Einer der bekanntesten Ökonomen Deutschlands ist auch deshalb so bekannt, weil er sich gerne vor Fernsehkameras aufhält.

Der Elfenbeinturm ist nichts für Hans- Werner Sinn. Einer der bekanntesten Ökonomen Deutschlands ist auch deshalb so bekannt, weil er sich gerne vor Fernsehkameras aufhält. Seine Gegner nennen ihn deshalb einen „Boulevardprofessor“. Seine Anhänger loben Sinns unermüdliches Bestreben, wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich zu vermitteln – ein Volkswirt im besten Sinne also.

Mit seinem jüngsten Aufklärungsprojekt stößt Sinn, der Präsident des Ifo-Instituts ist, allerdings an Grenzen. „Die Target-Falle“ heißt sein neues Buch. Das klingt nach Schuldenkrisen-Thriller, ist aber auf mehr als 400 Seiten harte Kost für den Laien. Das wird auch am Freitag deutlich, als Sinn in Begleitung von Roland Berger und vielen Kameras sein Buch in Berlin vorstellt. Berger spricht von einer „Denksportaufgabe“, die der Professor der Öffentlichkeit aufgebe – in einem „patriotischen Buch“.

Worum geht es? Sinn warnt in der „Target-Falle“ vor einem 1000-Milliarden- Euro-Risiko, das sich – lange unbeachtet – im Zahlungssystem der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgebaut hat. Im Kern geht es darum, dass Griechenland, Spanien, Italien und Portugal ihre Finanzprobleme, quasi hinter den Kulissen der EFSF- und ESM-Rettungsaktionen, mit Hilfe der Notenpresse zu lösen versuchen. Weil ausländisches Kapital aus diesen Ländern geflüchtet ist, finanziert es nicht mehr ihre Außenhandelsdefizite. Im EZB-Zahlungssystem, in dem die Banken des Euroraums ihre Transaktionen abwickeln, sind so gefährliche Salden entstanden. Würde der Euro zerbrechen, müsste die Bundesbank die Zeche zahlen – „was wir nicht hoffen wollen“, wie Sinn bemerkt. Die Bundesbank bliebe auf sogenannten Target-Forderungen von rund 700 Milliarden Euro sitzen. „Deutschland hätte eine Forderung gegen ein System, das es nicht mehr gibt“, sagt Sinn.

Die „Entdeckung“ der Target-Salden findet bei Kollegen Sinns Anerkennung. Und die Schilderung, wie es zu der Schieflage im System kommen konnte, liest sich auch fast wie ein Krimi. Sinns Schlussfolgerungen allerdings provozieren Widerspruch – eine andere Spezialität des Wissenschaftlers. Denn er beschreibt die politische Logik der Target-Falle als eine Art Erpressung der Bundesbank. Sie sei wegen der Verlustrisiken in ihren Büchern mehr oder weniger gezwungen, Rettungsschritte mitzugehen, die mit Geldpolitik nichts mehr zu tun hätten und politisch kaum legitimiert seien: EZB-Anleihekäufe und ESM-Erweiterung. Am Ende werde Deutschland wohl auch zu Euro- Bonds gedrängt. „Auf die schiefe Bahn“ sei Europa so geraten, diagnostiziert Sinn, weil Kapital von Staaten und nicht mehr vom Finanzmarkt gelenkt werde. Sinns Therapievorschlag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer: Preise runter, Löhne runter. „Ohne eine reale Abwertung geht es nicht.“ Bleibt die Frage, wie die Gesellschaften die Therapie überstehen sollen. Auch Roland Berger hat Zweifel: „Warum sollten spanische Jugendliche den Euro gut finden – wenn mehr als jeder zweite keinen Job hat.“

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