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Wirtschaft: „Ostdeutsche sind flexibler“

Herr Blum, braucht der Westen mehr Geld für neue Kitaplätze als der Osten? Politiker sollten nicht über Geld streiten, das der Staat derzeit nicht hat.

Herr Blum, braucht der Westen mehr Geld für neue Kitaplätze als der Osten?

Politiker sollten nicht über Geld streiten, das der Staat derzeit nicht hat. Es war ein Fehler, nicht gleich zu entscheiden, wie zusätzliche Plätze finanziert werden sollen. Hier hat der Osten einen höheren Bedarf als der Westen. Durch die wirtschaftliche Entwicklung wurden viele Familien zerrissen, weil knapp zwei Millionen Menschen dorthin ziehen mussten, wo die Arbeit ist. Großeltern, die bei der Betreuung einspringen, gibt es heute in Bayern eher als in Eisenach.

Viele West-Politiker finden, es sei jetzt genug mit dem Geld für den Aufbau Ost.

Werften, Küstenregionen und Zechen im Westen haben pro Kopf der Begünstigten in den vergangenen Jahrzehnten mehr Subventionen bekommen, als der Osten je erhalten wird. Und es wird noch immer gezahlt. Die West-Politiker sollten auch nicht vergessen, wie viel Geld nach dem Krieg in ihre schwächeren Regionen geflossen ist. Zudem darf man die Sozialtransfers für den Osten nicht mitzählen. Der Starnberger See mit seinen vielen Rentnern wird ja auch nicht als Region der Almosenempfänger beschimpft.

Wie lange sind Transfers noch nötig?

Der Osten muss 40 Jahre Sozialismus überwinden, das ist binnen 16 Jahren nicht zu schaffen. Viele im Westen kennen das Ausmaß der Schäden gar nicht, das die Planwirtschaft angerichtet hat. Die neuen Länder müssen aber auch in den Wachstumskernen eine nachhaltige Entwicklung hinbekommen, die nicht von Subventionen abhängig ist. Und sich zugleich von der Illusion verabschieden, jedes 200-Seelen-Dorf auf Westniveau päppeln zu wollen. Das ist nicht zu bezahlen und ergibt wirtschaftlich keinen Sinn.

Was müssen die neuen Länder tun, um stärker aufzuholen?

Die Stars, die wir haben, werden in den nächsten Jahren noch stärker strahlen. Alles aus dem Bereich Technologie hat gute Wachstumschancen – die Chipindustrie oder die Solarbranche. Hinter guten Regionen aus dem Westen müssen sich Städte wie Jena, Dresden oder Potsdam nicht verstecken. Der Rückstand, den wir noch haben, liegt an der geringen Zahl der Konzernzentralen und dem Ausdünnen in der Fläche. Erst wenn die vielen guten Mittelständler gewachsen sind oder sich zusammentun, haben sie die Chance, vom Exportboom zu profitieren.

Kann der Westen vom Osten lernen?

Auf jeden Fall. Die Betreuung der Studenten an den Universitäten ist intensiver, die Fakultäten legen mehr Wert auf die Lehre. Der Student sieht seinen Professor nicht nur durchs Fernglas. Diesen Vorteil müssen wir als Teil des Aufholprozesses erhalten. Ostdeutsche sind auch flexibler, weil sie wissen, was Umbruch und Neubeginn bedeuten – das ist in der Ära der Globalisierung eine wichtige Erfahrung.

Ulrich Blum (53) ist Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), das die Entwicklung in den neuen Bundesländern erforscht. Mit ihm sprach Carsten Brönstrup.

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