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Osteuropa-Experte Mirow: "Europa sollte bei der Regulierung voranschreiten"

Thomas Mirow ist Präsident der Osteuropabank. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Markt und Regulierung und wendet sich gegen einen europaweiten Sparkurs.

Herr Mirow, wie gefährdet ist der Euro?

Der Euro ist nicht akut gefährdet. Aber er muss dauerhaft stabilisiert werden durch eine glaubwürdigere Finanz- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten.

Also Sparkurs überall?

Nicht unbedingt. In jedem Land muss eine möglichst leistungsstarke Wirtschaft entstehen. Die Probleme Griechenlands sind ja nur zum Teil budgetärer Natur. Die fundamentalen Probleme einer nicht wettbewerbsfähigen Realwirtschaft wiegen mindestens ebenso schwer.

Da helfen neue Kredite aber kaum.

Das stimmt. Die neuen Kredite sind nicht die Lösung der Probleme, sondern sollen Griechenland dabei helfen, einen akuten Schwächeanfall zu überwinden. Die gewonnene Zeit muss für Strukturreformen genutzt werden, die weit über die Konsolidierung des Haushalts hinausgehen.

Sollte die Eurozone angesichts dieser Lage auf weitere Mitglieder vorerst verzichten?

Nein. Die bestehenden Verträge und Zusagen müssen eingehalten werden, um nicht Glaubwürdigkeit zu verlieren. Alle EU-Beitrittsstaaten können und sollten der Eurozone beitreten, wenn sie die Vorgaben erfüllen. Estland hat sich enorm angestrengt, wurde sorgfältig geprüft und sollte wie geplant zum Jahreswechsel in die Eurozone aufgenommen werden.

Kann man Estland das wirklich raten?

Eindeutig ja. Slowenien, seit 2007 Mitglied der Eurozone, hat beispielsweise in der Finanzkrise davon sehr profitiert.

Wie stark sind die Balkanstaaten gefährdet, sich in Griechenland anzustecken?

Das Risiko der Ansteckung besteht, insbesondere in Ländern wie Bulgarien, Rumänien und Serbien. Das liegt an der Verunsicherung der Finanzmärkte und an der schwächeren Nachfrage nach Industriegütern in den großen EU-Staaten. Frankreich, Deutschland und Italien sind die wichtigsten Handelspartner. Hinzu kommt: In den genannten Ländern spielen griechische Banken darüber hinaus eine maßgebliche Rolle, und wie diese durch die Krise kommen, muss sich erst noch zeigen.

Wie stark ist das Problem der Kapitalflucht aus Ost- und Südeuropa?

Bisher findet Kapitalflucht nicht in größerem Maße statt. Wir müssen sehr darauf achten, dass das so bleibt.

Sie waren unter Gerhard Schröder Abteilungsleiter im Kanzleramt, später Finanzstaatssekretär in der großen Koalition. Sehen Sie die jahrelange Deregulierung der Finanzmärkte heute mit anderen Augen?

Wir haben erhebliche Anstrengungen unternommen, eine wirksamere Regulierung international zu koordinieren, zum Beispiel 2007, als Deutschland die EU- Ratspräsidentschaft und den G-8-Vorsitz innehatte. Aber es ist sicher richtig, dass im Zuge der Krise Risiken offenbar wurden, die wir vorher nicht gesehen hatten. Die Banken können hochspekulative Geschäfte in Bereichen tätigen, die der Aufsicht entzogen sind. Der völlig unangemessene Gebrauch von Kreditausfallversicherungen ist ebenfalls nicht hinnehmbar.

Sollte Europa im Alleingang für eine stärkere Regulierung sorgen?

Europa sollte durchaus voranschreiten. Die sich abzeichnenden Beschlüsse der EU zu den Hedgefonds sind ermutigend. Allerdings: Die Europäische Union ist die absolute Mindestgröße, um die Regulierung zu verschärfen. Ich hoffe daher sehr, dass die Briten nicht länger bremsen.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

Thomas Mirow (57) hat für die SPD viele Regierungsposten bekleidet. Seit zwei Jahren ist er Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London.

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