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Wirtschaft: Perfide aus Liebe

Einen gewissen Schutz vor Nachstellungen von so genannten Stalkern bietet seit kurzem auch das Berliner Polizeirecht

SONDERTHEMA: RECHT & STEUERN

„So ist das eben nach einer Liebesbeziehung. Da kann ich Ihnen auch nicht helfen“, erklärte der Richter und entlässt Petra V. wieder auf die Straße. Bis zu 50 Anrufe erhielt sie täglich von ihrem Exfreund. Seitenlange E-Mails pornografischen Inhalts gingen regelmäßig bei ihr ein – sogar im Postfach ihres Arbeitgebers. Den Gang zum Supermarkt hatte sie schon seit einem halben Jahr nicht mehr allein gewagt. Zu oft lauerte der Liebeswütige ihr auf der Straße auf, um sie zu bedrohen. Den Schritt zum Gericht wagte Petra V., als sie von einem unbekannten Absender einen Grabkranz zugesandt bekam.

Wie Petra V. ergeht es nach groben Schätzungen einiger Experten mindestens 500 000 Menschen in Deutschland pro Jahr. Sie werden belästigt, verfolgt, tyrannisiert. Nicht selten endet der Psychoterror in tätlichen Übergriffen und manchmal sogar mit der Ermordung des Opfers. Und dieses Phänomen hat einen Namen: „Stalking“. Der Begriff aus der englischen Jägersprache bedeutet so viel wie anpirschen oder auch anschleichen.

Die Hetzjagd aus Liebe trifft nicht nur Prominente wie die Tennisspielerin Monica Seles oder die Eiskunstläuferin Katharina Witt, sondern vor allem Menschen, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen. In über zwei Dritteln der Fälle ist der Täter ein Mann, meist der Expartner des Opfers. Aber auch bestimmte Berufsgruppen wie Pfarrer, Lehrer, Ärzte oder Therapeuten werden überdurchschnittlich oft Opfer von Stalkern.

Die Motive der Täter sind unterschiedlich. Expartner stalken oft mit dem Ziel, die Beziehung wieder herzustellen oder sich zu rächen. Andere Täter sind in Liebeswahn (Erotomanie) verfallen. „Obwohl es diese Fälle gibt, sollten Stalker nicht vorschnell pathologisiert werden. Eine solche Ausgrenzung birgt die Gefahr, dass sozial unauffällige Täter – und das ist die größte Gruppe – nicht wahrgenommen werden“, erklärt Julia Bettermann, Diplomsozialpädagogin und Fachbuchautorin.

Der Schaden auf Seiten der Opfer ist beachtlich. Eine niederländische Untersuchung von Stalkingopfern ergab, dass deren Traumatisierung mit der von Opfern eines Flugzeugabsturzes gleichzusetzen sei. Angstzustände, Schlaf- und Appetitstörungen, Konzentrationsverlust, Depressionen, Suizidgedanken sind nur einige der Folgen, mit denen die Verfolgten zu kämpfen haben. Volkmar von Pechstaedt, Rechtsanwalt und Initiator der Stalkingnorm im Gewaltschutzgesetz, weist noch auf einen anderen Aspekt hin: „Durch Stalking entsteht auch ein großer volkswirtschaftlicher Schaden.“ Arzt-, Polizei- und Gerichtsbesuche führen zu Arbeitsausfällen und mancher wagt sich im Schatten seines Verfolgers auch ohne einen solchen Termin nicht mehr zur Arbeit.

Gehetzt, verfolgt und bedroht konnten die Opfer bislang nur strafrechtlich gegen den Täter vorgehen. Das ist insofern problematisch, als dass tägliches Herumlungern vor der Haustür des Opfers, zahlreiche Behelligungen per Fax, Telefon, SMS sowie unzählige Liebesbekundungen strafrechtlich nicht erfasst sind. Solange der Täter die Grenzen bestimmter Tatbestände wie Körperverletzung, Hausfriedensbruch oder Nötigung nicht überschreitet, hat er nichts zu befürchten.

Doch seit Einführung des Gewaltschutzgesetzes am 1. Januar 2002 hat sich der Rechtsschutz für die Verfolgten verbessert. Seither gibt es die Möglichkeit, vor dem Zivilgericht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine so genannte Schutzanordnung zu erwirken. Im Gegensatz zum Strafverfahren muss im Zivilprozess das Opfer jedoch unter Umständen die Kosten selber tragen und auch alle Beweise beibringen. Gelingt ihm das, kann dem Stalker per Beschluss verboten werden, sich beim Opfer zu melden oder sich ihm zu nähern. Verstößt der Täter gegen den Beschluss, erfüllt er gemäß § 4 GewSchG (Gewaltschutzgesetz) einen Straftatbestand und kann mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe rechnen.

„Die Norm ist in der Praxis allerdings irrelevant“, weiß Pechstaedt zu berichten. Als Rechtsanwalt ist er seit vier Jahren auf diese Problematik spezialisiert und hat schon über 600 Stalkingopfer vor Gericht vertreten. Nach seiner Erfahrung wird das Problem von vielen Richtern unterschätzt. „Viele Täter lassen ihre Opfer auch ohne Gerichtsbeschluss oft wochenlang in Ruhe, um dann ihre Belästigungen schlimmer als zuvor fortzusetzen. Eine auf drei Monate beschränkte Schutzanordnung wird einen solchen Täter nicht einschüchtern“, sagt Pechstaedt.

Wer sich als tyrannisiertes Opfer ans Gericht wendet, muss noch mit einem weiteren Problem rechnen. „So ein Rechtsstreit kann zur Eskalation führen“, erklärt Julia Bettermann, Diplomsozialpädagogin und Fachbuchautorin. Stalker sind oft sehr ichbezogene Menschen. Sie erwarten vom Opfer, dass es sich ihnen zuwendet. „Die wohl wichtigste Regel ist, dem Täter nicht ,Nein’ zu sagen, sondern nach dem ,Nein’ zu handeln und seine Behelligungen zu ignorieren.“ Denn jede Äußerung, auch die Zustellung einer Klage, kann vom Täter als Kontaktaufnahme gewertet werden, die ihn veranlasst weiterzumachen.

Mit der Wahrnehmung rechtlicher Schritte bekommt der Konflikt unter Umständen eine neue Qualität. „Man weiß nie, ob man nicht etwas in Gang setzt, das man im Ergebnis nicht will“, meint auch Richterin Henniges vom Amtsgericht Tempelhof / Kreuzberg. Dennoch rät Anwalt Pechstaedt fast immer zu rechtlichen Schritten, zumindest dann, wenn man bereit ist, den Täter wenn nötig auch mehrfach vor Gericht zu ziehen.

Neben der Einführung des Gewaltschutzgesetzes verspricht neuerdings auch eine Änderung im Berliner Polizeirecht Schutz vor Nachstellungen. Gemäß § 29 a ASOG (Allgemeines Sicherheit- und Ordnungsrecht) kann seit dem 15. Februar 2003 die Polizei gegen den Stalker eine so genannte Wegweisung anordnen und dem Täter den Aufenthalt in der Nähe des Opfers verbieten. Das Bundesmodellprojekt BIG (Berliner Interventionszentrale gegen häusliche Gewalt) hat mit Einführung der neuen Norm Stalking-Schulungen für die Polizei veranlasst. „Das Phänomen, das wir aus der Praxis kannten, hatte plötzlich einen Namen. Durch die Gesetzesänderung wurde uns endlich ein Mittel an die Hand gegeben, die Opfer bis zur gerichtlichen Klärung zu schützen“, erklärt Ursula Falkenstern, Stabsleiterin beim Landeskriminalamt.

Trotz dieser Neuerungen ist das Phänomen Stalking selbst bei Richtern nicht immer bekannt. Rechtsanwalt Pechstaedt weiß von Fällen zu berichten, in denen den Opfern vor Gericht eher geschadet als geholfen wurde. „Was wollen Sie denn? Sicherlich haben Sie den Anspruch, aber der ist doch ein stumpfes Schwert. Er wird den Antragsgegner nicht davon abhalten, weiterzumachen“, sagte einmal eine Richterin zu Pechstaedts Mandantin – in Anwesenheit des Täters.

Die Schaffung eines eigenen Straftatbestands würde es den Opfern ermöglichen, den Umweg über das Zivilgericht auszulassen. In einigen Ländern Europas und in den USA gibt es bereits eine solche Norm. Der deutsche Gesetzgeber zögert noch. Denn allein in der Wiederholung der Behelligungen liebeswütiger Verfolger liegt das Verwerfliche. Und das macht es so schwierig, eine Grenze zu ziehen, die es unter rechtsstaatlichen Belangen ermöglicht, sozialadäquates Buhlen um die verlorene Geliebte von Stalking abzugrenzen.

Ein verlassener Ehemann, der seiner Exfrau nachstellt, um sie zurückzuerobern oder um sich an ihr zu rächen, hätte sich vor einigen Jahrzehnten vielleicht noch im Rahmen gesellschaftlich tolerierten Verhaltens bewegt. Das lässt vermuten, dass Stalking auch durch ein verändertes Bewusstsein der Öffentlichkeit und eine zunehmende Gleichberechtigung der Geschlechter entstanden ist. „Hinzu kommt, dass es den Tätern mittels neuer Medien, wie dem Internet, möglich ist, anonym zu bleiben“, erwidert Pechstaedt. Dadurch sinke die Hemmschwelle zu derartigen Taten. So sucht sich der Liebeswahn perfide Wege. Der Gesetzgeber hat durch die Einführung des Gewaltschutzgesetzes angefangen, auf das Phänomen Stalking zu reagieren. Trotzdem ist der bestehende Rechtsschutz für viele noch ungenügend. „Ich möchte den Opfern etwas an die Hand geben, deshalb setze ich mich für einen Straftatbestand Stalking ein. Und den wird es auch bald geben“, dessen ist sich der Rechtsanwalt sicher.

Infos: „Stalking – Möglichkeiten und Grenzen der Intervention“, Julia Bettermann, Moetje Feenders (Hrsg.), Verlag für Polizeiwissenschaften, Frankfurt / Main, 24,90 Euro. Beratungsstelle Telefon: 0177-7 03 77 03.

Katrin Wilke

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