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Wirtschaft: Personal-Wirbel im VW-Werk wie bei El Niño

BRAUNSCHWEIG .Gelbweißes Neonlicht durchflutet die Halle 5 im Werk Braunschweig.

BRAUNSCHWEIG .Gelbweißes Neonlicht durchflutet die Halle 5 im Werk Braunschweig.Hin und wieder rattert ein Gabelstabler durch die Gänge der Montagehalle für Vorder- und Hinterachsen.Georg Schuller sitzt konzentriert an der Werkbank und setzt Anschläge für Fußhebel zusammen.Ihm ist nicht anzusehen, daß er blind ist.Jeder Handgriff sitzt.Für den 41jährigen Rumänen wurde im Mai 1998 ein Arbeitsplatz eingerichtet.Nach acht Jahren Arbeitslosigkeit konnte er sein Glück kaum fassen.Fünf Jahre nach der großen Krise steht VW inzwischen an der Spitze der Job-Beschaffer: Seit 1997 wurden über 7000 Beschäftigte befristet eingestellt.

Bereits am 2.Mai 1996 fingen die ersten 50 Arbeitslosen in der Montage und als Maschinenbediener in Braunschweig an.Auf Drängen des Betriebsrates sind bis Dezember vorigen Jahres 884 befristete Neueinstellungen erfolgt.Betriebsrat Horst Neumann: "Die größte Freude war für uns, daß unter den Neueinstellungen auch Behinderte, Langzeitarbeitslose und einige Kolleginnen und Kollegen über 50 Jahre waren." Inzwischen sind sogar 188 Leute in der Fertigung fest übernommen worden.Jadwiga Arndt gehört zu den 696 Befristeten in Braunschweig.Die gelernte Kellnerin arbeitet nach langjähriger Arbeitslosigkeit nun in einer Gruppe im Werk für Kunststoffteile und montiert Blenden für Amaturenbretter und Handschuhfächer.Die ungewohnte Tätigkeit und die Akkordvorgaben machen ihr keine Schwierigkeiten: "Die Arbeit macht mir Spaß.Ich hoffe sehr, daß ich bei VW bleiben kann." Wie alle neuen Beschäftigten wurde sie erst einmal für acht Monate eingestellt.In einem zweiten Schritt kann der Vertrag um weitere zehn Monate verlängert werden.

Gemeinsam mit der IG Metall setzten die Betriebsräte Neueinstellungen durch.Der aus 1993 stammende Vertrag sieht als Basis der Beschäftigungssicherung bei VW die Verkürzung der Regelarbeitszeit von 36 auf 28,8 Stunden pro Woche vor.Sobald jedoch die Arbeitszeit in einem Werk 35 Stunden pro Woche überschreitet, muß VW überprüfen, ob Einstellungen erfolgen können."Der Tarifvertrag ist gewissermaßen eine Verhandlungsverpflichtung", sagt Tarifsekretärin Helga Schwitzer von der Bezirksleitung der IG Metall in Hannover.Durch die verschiedenen Bedürfnisse in den Abteilungen, Fertigungslinien und Gruppen gab es zwischenzeitlich rund 150 Arbeitszeitmodelle.Durch die Zersplitterung der Flexi-Arbeitszeit entstanden soziale und familiäre Probleme.Der öffentliche Nahverkehr konnte sich nicht auf die unterschiedlichen Schichtwechsel einstellen.Die Koordination in vielen Familien klappte nicht mehr.Wenn der Partner auch noch bei VW arbeitete, wurden teilweise nur noch Zettel auf dem Küchentisch ausgetauscht.

Auch die Planung im Werk war nicht einfach.Andreas Fendt arbeitet seit Juli 1997 in der Braunschweiger VW-Fabrik.Seine feste Übernahme soll jetzt erfolgen.Der Anlagen- und Maschinenführer weiß von Kollegen, die "Schwierigkeiten hatten, durch die Vielzahl der Schichtmodelle durchzusteigen".Ein riesiger Besprechungsaufwand war die Folge.Betriebsrat Bernd Osterloh, Mitglied der Arbeitszeitkommission: "Wir hatten Personalwirbelungen in der Fabrik wie bei El Niño." Nun ist seit dem 8.Februar Schluß.Personalleitung und Betriebsrat haben sich in Wolfsburg wieder auf das klassische Dreischicht-system geeinigt.Betriebsrat Osterloh: "Außerdem haben wir durchgesetzt, daß es in jeder Schicht dreimal eine bezahlte 20-Minuten-Pause gibt." Die Vier-Tage-Woche bleibt erhalten.Aber bis Ende 1999 wird wegen der guten Auftragslage 36 Stunden produziert.Die anfallende Mehrarbeit kann über Freizeit, Geld oder Gutschriften für das Lebensarbeitszeitkonto ausgeglichen werden.Die Mitarbeiter arbeiten neun Wochen jeweils 40 Stunden und haben im Anschluß eine Woche frei, so daß sie im Durchschnitt auf 36 Stunden kommen.In den anderen VW-Werken gibt es zwar auch parallel Zwei- und Dreischichtmodelle sowie die Vier- und Sechs-Tage-Woche, aber die werden je nach Auftragslage variiert.

Insgesamt wurden zuletzt in Stöcken 954, in Emden 1960, in Kassel 386 und in Salzgitter 87 Mitarbeiter in der Fertigung eingestellt.Gerlinde Bakenhus hat im Braunschweiger Werk Arbeit gefunden.Die Soziologin ist befristet in der Schwenklager-Montage für den Passat beschäftigt."Ich habe keine Probleme mit dem Schichtwechsel.Aber die vielen Überstunden belasten." Das ist ein Grund für Betriebsrat und Geschäftsleitung über weitere Übernahmen von befristet Eingestellten zu verhandeln.Wieviele jedoch bei VW bleiben können, hängt von der Konjunktur ab.Personalvorstand Peter Hartz: "Mit der Vier-Tage-Woche haben wir ein enormes Reaktionspotential und können die Produktion schnell anpassen, wenn die Konjunktur schlechter werden sollte." Für die mehr als 103 000 VW-Beschäftigten in Deutschland sind die Voraussetzungen nicht schlecht: Flexible Arbeitszeiten, eine intelligente Modellpolitik und Investitionen von 20 Mrd.DM in den sechs Werken könnten VW gut über die nächsten Jahre bringen.

ANNETTE A.VOGELSANG

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