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Wirtschaft: Peter Dienel

(Geb. 1923)||Du bist wer, du kannst was, also tu es!

Du bist wer, du kannst was, also tu es! Zum Beispiel Hundedreck. Jeder in der Stadt ärgert sich darüber. Selbst passionierte Gassigänger fluchen, wenn sie in den akkurat gehsteigmittig platzierten Haufen des Hundes eines anderen treten. Zum Disput kommt es dennoch nicht. Hundebesitzer sind solidarisch, und in der Mehrzahl gegenüber den Argumenten der Tierlosen uneinsichtig. Die Politik ist machtlos, die Ordnungshüter ohnehin, die schweigende Mehrheit grollt still vor sich hin.

In den Worten Peter Dienels: „Das Steuerungssystem unserer Gesellschaft ist in einem desolaten Zustand. Die ‚Verfahren zur Produktion kollektiv bindender Entscheide’ – Luhmann! – in Ehren. Aber sie sind von gestern. Heute ist ,die Politik’, ihrer Funktion nach, ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Die Richtungen formieren sich vorab zum Beispiel in den Zentralen der Konzerne oder der Medien. Die ,Entscheider’ sind lediglich notariell tätig – mitunter werden sie der betreffenden Sache gar nicht gerecht. Die Demokratie klappt nicht. Da hilft keine ,politische Bildung’ .“

Was hilft, ist: die Planungszelle. 20 bis 25 zufällig, aber anders als im Bundestag demographisch repräsentativ ausgewählte Bürger, beraten in wechselnden Gruppen gegen Entgelt in drei bis vier Tagen ein Problem. Das Ergebnis wird in einem Gutachten festgehalten.

Im Fall „Hundehinterlassenschaften“ würde dieses Bürgergutachten vermutlich lauten: Die Solidargemeinschaft der Hundebesitzer mal richtig in die Pflicht nehmen und eine reinigungskostendeckende Anhebung der Hundesteuer durchsetzen.

„Demokratie ist machbar, Herr Nachbar!“ – das war die felsenfeste Überzeugung von Peter Dienel. Dafür hat er lebenslang gekämpft:

Anfang der siebziger Jahre, als die Planungseuphorie noch anhielt, aber die Tristesse der Ergebnisse vor allem im Städtebau bereits absehbar war, entwickelte er die Idee der Planungszelle. Politiker denken in Wahlperioden, Betroffene an ihre Betroffenheit, Lobbyisten ans Geld. Im Gesamtinteresse handelt keiner, es sei denn, man ermutigt ihn dazu. Diesen Rahmen schafft die Planungszelle. Du bist wer, du kannst was, also tu es: der Dreisatz der Zivilcourage, den Peter Dienel unermüdlich seiner Umgebung einbläute. Bürger entscheiden über ihre eigenen Belange am besten selbst. Das ist direkte Demokratie. Dafür galt es, Mitstreiter zu finden.

Peter Dienel war immer im Dialog, meist suchte er sich den Scheuesten in einer Runde, verwickelte ihn in ein Gespräch – „Erzähl doch mal was du machst“ – und gab ihm, nachdem er ihm in Grundzügen die „PZ“ erklärt hatte, eine Aufgabe mit, durch die sie sich weiter popularisieren ließe.

Seit seinen Tagen als Studentenpfarrer führte er Notiz über jede Begegnung, das wuchs sich über die Jahre, insbesondere in der Zeit seiner Professur, zu einer riesigen Karteikartensammlung aus, in der Prominente wie Nichtprominente „PZ-Netzwerker“ versammelt waren.

360 Mal, klagte Johannes Rau mal, hätten sie sich gesehen, nicht einmal hätte der Freund es unterlassen, die Vorzüge der Planungszelle zu erläutern. Beharrlichkeit wirkt manchmal Wunder: Eine Woche vor seinem Tod initiierte er noch eine Reihe von EU-Planungszellen: die Brüsseler Bürokratie hat begriffen, dass Europa ohne seine Bürger nicht funktioniert.

In Urlaub ging Peter Dienel ungern, er hatte ja immer was zu tun. Seine Familie verzieh ihm das. Und er dankte es mit einer staunenswerten Unermüdlichkeit. „Wozu das alles“, frage ihn ein Freund einmal. – „Es ist dem Menschen nicht gegeben, hinter sich selbst zu schauen“, wich er aus.

Peter Dienel war Baptist, vielleicht rührte daher sein missionarischer Wille. Ein Prediger aus Vernunft, der sich zum Glauben entschlossen hatte, weil er ohne die Idee eines gerechten Gottes nicht leben konnte. Was nicht hieß, dass er an seine persönliche Unsterblichkeit glaubte. Als sein Vater im Sterben lag, tröstete ihn ein frommer Verwandter: „Ist es nicht schön, bald beim Herrn zu sein.“ Der alte Herr retournierte trocken: „Wie soll ich das wissen? Es ist noch keiner zurückgekommen.“

Ähnlich nüchtern dachte auch der Sohn: Sicher, es gibt einen Gott. Als sozial regulative Idee. Aber hier auf Erden sollte man sich nicht allzu sehr auf seine Ratschlüsse verlassen, da ist der Mensch schon selbst gefragt. Zumal, es gibt ja die Planungszelle.

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