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Wirtschaft: Peter Klaus Steinmann

Geb. 1935

Eine ernste Sache, die Puppenspielerei. Nur die Hand muss locker sein. Den Kasper konnte er nicht leiden. Diesen Tritratrallala- Typ mit roter Mütze und Grinsemund, ohne Biografie, kein bisschen individuell. Seid ihr alle da, ja, Quatsch war das, nichts für Selbstdenker, nur was für Hinterherläufer, und wozu das führt, haben wir ja gesehen. Man könnte doch zum Beispiel ein Hirschgiraffenpferdchen sein und die Kinder fragen, wer sie sind. Man könnte fantasievoll sein.

Peter Klaus Steinmann war Puppenspieler. Er war lustvoll, leidenschaftlich, extrem. Das Faszinierende am Puppentheater waren für ihn die Verwandlungen. Nicht eine andere Figur wurde man – wie die echten Schauspieler –, nein zwei, drei Figuren konnte man gleichzeitig sein.

Angefangen hat er, da war er 15 und Mauerlehrling. Es war ein seltsames Hobby für einen Teenager, auch damals. Es war eins, das ihm vom Vater geblieben war. Der hatte früher ein Tuch im Türrahmen aufgehängt und für den Sohn die Puppen tanzen lassen. Aus dem Krieg war er dann nicht zurückgekommen, in Frankreich war er geblieben, er hatte sich in eine andere Frau verliebt.

Steinmann hat die Puppenspielerei ernst genommen, und er hat schnell gemerkt, dass man hier etwas Neues machen kann. Puppenspiel war Kinderkram, bis Steinmann kam. Er hat es akademisiert. Acht Bücher und dutzende Aufsätze hat er geschrieben, heute Basisliteratur für Puppenspieler. 75 Aufführungen hat er inszeniert, kreuz und quer durchs Land ist er gefahren, um zu gucken, was die anderen machen und um zu zeigen, was er kann mit seiner Bühne, die er Literarisches Figurentheater Steinmann nannte. Er spielte Leonce und Lena mit Puppen oder den Faust. Steinmann hat immer wieder Puppen erfunden, gebaut oder bauen lassen, er ist auch selbst auf die Bretter gestiegen. Aber keiner hat auf den 1,96-Meter-Mann geguckt. Das Licht war bei den Puppen wie auch Steinmanns ganze Konzentration.

„Du willst Puppen spielen? Dann komm her“ – und schon hatte man eine Puppe auf der Hand. Wenn man die Hand dehnt, atmet die Puppe, wenn man das Handgelenk dreht, geht sie. Das Handgelenk ist die Hüfte der Puppe, das muss locker sein, man kann das üben. Den Steinmannschen Swing haben sie das genannt. Der Riese hatte zarte Hände.

Steinmann konnte sehr geduldig sein. Nur bei Widerstand wurde er wild. Auch die Tränen der anderen haben ihn dann nicht gestoppt. Er hat die Regeln gemacht. Am Ende haben die jungen Kollegen ihn überholt, sie haben ihre Puppentheater an ihm vorbei weiterentwickelt.

Jede Figur bekam bei Steinmann eine Geschichte. „Eine Kellnerin“ wäre nie irgendeine Kellnerin, sie wäre die eine Kellnerin. Hat sie Geschwister? Nette Eltern? Studiert sie und jobbt hier nur, oder hat sie in der Gastronomie gelernt? Das wollte er alles wissen.

Für seine Puppen galt: Sie müssen von der Seite ganz anders aussehen als von vorn, damit auch die Zuschauer auf den hinteren Bänken deutlich die Bewegungen sehen. So hatten sie meist lange Nasen, abstehende Ohren, ein sehr eckiges oder sehr spitzes Kinn.Wenn Steinmann seine Puppen selbst gemacht hat – sage nur niemand basteln! – blieben sie roh und kantig, das stundenlange Schleifen, war ihm langweilig. Aber bei seinen Anweisungen an die Puppenbauer, da war er sehr genau. Er konnte sich seine Figuren machen lassen, was für eine herrliche Freiheit! Wie anders ergeht es Regisseuren, die mit Menschen arbeiten müssen.

Steinmann sah im Puppentheater das reifste Instrument der Darstellung. „Nichts ist wirklich, alles ist Rolle, greifbar gewordener Gedanke“, schrieb er. 1959 stellte er mal Quadrate und Staubsauger auf die Bühne. Aber das war dem Publikum damals zu abstrakt.

Zum Schluss war Steinmann sehr krank, er hatte Diabetes, offene Beine, konnte nicht mehr aus dem Haus. „Oben gut, unten schlecht“, hat er gesagt und gelacht, wenn man nach seinem Befinden fragte. Er hat viel gelacht, laut, mit offenem Mund und zitterndem Doppelkinn. Er hat nicht geklagt über sein Siechtum. Gesoffen, gefressen, geliebt hatte er, wie’s nur ging. Nun die Quittung, bitte sehr, geht in Ordnung.

Schlimm war es, als Benita starb, 1996, seine Frau. Von dem Schlag erholt der sich nicht, dachten da viele. Benita und Peter Klaus Steinmann waren seit 34 Jahren verheiratet, sie haben zusammen Puppentheater gemacht. Sie sei Puppenspielerin durch Heirat geworden, so hat sie es formuliert. Sie wurde anonym bestattet. Steinmann wollte es genauso. Zurück in die Ursuppe, hat er gesagt.

So, wie er zu Lebzeiten allgegenwärtig war, ist er im Tod völlig unerreichbar geworden. Keiner seiner Freunde weiß, wo er begraben wurde. Sie werden ihre Fantasie bemühen müssen.

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