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Pflege: Gemeinsam altern

Pflege-WGs, also Wohngemeinschaften älterer Menschen, die sich gemeinsam einen ambulanten Pflegedienst leisten, etablieren sich immer stärker als Alternative zu klassischen Altenheimen. In Schöneberg funktioniert das ganz gut.

Berlin - Herr Rennhack bittet seine Pflegerin oft darum, mit ihm in den Keller zu gehen. Da sei seine Werkstatt. Jadwiga Schwamberger nimmt ihn dann an die Hand und zeigt ihm, dass im Keller gar keine Werkstatt ist. Auf der Treppe hat der 81-Jährige meist schon vergessen, warum er eigentlich in den Keller wollte. Er leidet unter Demenz, so wie alle Bewohner in dieser Schöneberger Pflege-WG.

Allein in Berlin gibt es mittlerweile weit mehr als 200 solcher WGs. Grund dafür ist vor allem ein Mentalitätwandel bei den Senioren: „Ältere Menschen haben heute ganz andere Ansprüche. Sie wollen individueller, flexibler und wohnortnah leben“, sagt Lisa Hollenbach, Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums.

Wie viele Pflege-WGs derzeit in Deutschland existieren, weiß niemand so genau. Denn oft werden sie von privaten ambulanten Pflegediensten gegründet oder sie entstehen aus der Privatinitiative von Menschen, die für ihre Angehörigen einen Pflegeplatz suchen – jenseits des Heims. Künftig soll es aber einen besseren Überblick über die Angebote geben. Das „Forum für gemeinschaftliches Wohnen im Alter“ mit Sitz in Hannover will ein bundesweites Koordinierungssystem aufbauen, das alle Pflege-WGs auflistet. „Wir wollen ein fundiertes Datensystem einrichten“, kündigt Geschäftsführerin Ingeborg Dahlmann an. Im nächsten Jahr, spätestens 2009 soll es stehen.

In der Schöneberger WG leben drei Frauen und drei Männer. Alle haben einen Pflegevertrag mit dem ambulanten Pflegedienst „Nachbarschaftsheim Schöneberg“ abgeschlossen. Tagsüber sind zwei bis drei Pfleger in der WG, nachts kommt eine Hilfskraft. „Wir helfen nur da, wo die Bewohner alleine überfordert sind. Sie sollen so selbstständig wie möglich sein“, sagt Pflegerin Schwamberg. Sie kommt seit sieben Jahren täglich in die WG. Die Wohnung ist geräumig und hat zwei große Badezimmer. An jeder Zimmertür klebt mit bunten Buchstaben Name und Foto des Bewohner. Damit sich niemand verirrt. Jeder bringt seine eigenen Möbel, Bilder und Andenken mit. „Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt Frau Baumhauer.

So vorbildlich wie hier sieht es jedoch nicht überall aus, wo Senioren in WGs zusammenleben. „Weil die Nachfrage stark ansteigt, gibt es überall neue Pflegedienste. Darunter sind viele schwarze Schafe“, sagt Annette Schwarzenau vom „Verein für selbstbestimmtes Wohnen im Alter“, einer Verbraucherschutzorganisation für demenziell erkrankte Menschen. Sie berichtet von WGs, in denen nachts keine Betreuer anwesend sind und sich tagsüber zu wenige Pfleger um die Bewohner kümmern. Da Pflege-WGs meist privat organisiert sind, gibt es keine verpflichtenden Kontrollen. Der Verein hat Qualitätskriterien entwickelt, nach denen sich Pflegedienste freiwillig richten können. „Das reicht aber lange nicht aus. Wir planen deshalb ein Modellprojekt, bei dem ehrenamtliche Kontrolleure die WGs begutachten“, sagt Schwarzenau.

Auch die Pflegekassen fordern mehr Kontrollen. „Wir halten es für sinnvoll, dass es eine einheitliche Aufsicht gibt“, sagt Gabriele Rähse, Sprecherin der Berliner AOK. Wie eine solche Aufsicht aussehen könnte, ist unklar. Sicher ist nur, dass etwas getan werden muss.

In der Schöneberger Pflege-WG wird mittlerweile das Mittagessen gekocht: Kartoffeln und Senfeier. Frau Baumhauer hilft beim Schälen, die anderen sitzen um den Wohnzimmertisch. An den Wänden hängen Fotos, auf denen die Bewohner mit bunten Hüten Rosenmontag feiern und lachen. Heute wird kaum geredet. Bei Demenzkranken nimmt die Kommunikation immer mehr ab. Auch Frau Trikowski spricht kaum noch. Sie lebt seit vielen Jahren in der WG. Sie sitzt gebückt und verkrampft im Rollstuhl. Plötzlich beginnt sie zu weinen. Eine Pflegerin beugt sich zu ihr. Dann ist es wieder gut. „Demenzkranke fallen in ihrer Biografie zurück“, erklärt Jadwiga Schwamberger. Sie wollen dann zum Beispiel ihre Eltern sehen. „Da muss man sehr einfühlend sein und sie fragen, was sie mit ihren Eltern erlebt haben. Einfach zu sagen, dass diese schon lange tot sind, würde alles nur verschlimmern.“

Die Politik hat erkannt, dass ältere Menschen selbstbestimmter und mit mehr Eigeninitiative zusammen eben wollen. Die geplante Pflegereform des Gesundheitsministeriums soll Pflegebedürftigen künftig mehr Handlungsspielraum geben. „Demnächst sollen sich ältere Menschen zusammentun und gemeinsam Leistungen beantragen können. Bisher musste jeder einzeln Anträge stellen“, sagt Sprecherin Hollenbach. So soll nicht nur Bürokratie abgebaut, es sollen auch Wohnmodelle wie die Pflege-WGs gestärkt werden. Einen ähnlichen Effekt hat die einheitliche Tagespauschale von 94 Euro, die jedem Demenzkranken in Berlin seit 2005 zusteht. Die klassischen Altenheime würden unter dieser Entwicklung leiden und in Zukunft an Bedeutung verlieren, sagt Hollenbach.

Herr Rennhack fragt in letzter Zeit nicht mehr so oft nach der Kellerwerkstatt. Eine Pflegerin hat ihm einen Werkzeugkasten mitgebracht. Wenn es in der WG kleinere Reparaturen zu erledigen gibt, greift Herr Rennhack zum Hammer. „Dann ist er glücklich“, sagt Pflegerin Schwamberger.Johannes Pennekamp

Johannes Pennekamp

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