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Pharma-Manager Braun: "Ohne Biotech-Start-ups geht nichts mehr"

Beim französischen Pharmakonzern Sanofi sitzt Matthias Braun in der Geschäftsführung. Mit dem Tagesspiegel spricht der neue Chef des Biotechnologie-Verbandes DIB über Investoren und Gentechnik.

Herr Braun, die Biotech-Branche ist extrem abhängig von Risikokapital. Leiden die Firmen unter der Zurückhaltung der Investoren in der Euro-Krise?

Im vergangenen Jahr ist es nicht gut gelaufen: Wir konnten für die Branche nur 72 Millionen Euro an Risikokapital generieren. Das ist ein deutlicher Abfall zu 2010, als noch 321 Millionen zusammenkamen. Der Kapitalbedarf ist aber unverändert hoch, 2011 lagen die Forschungsaufwendungen der Firmen der Branche bei etwa einer Milliarde Euro. Gerade die kleineren Start-ups haben Probleme, sich zu finanzieren. Zumindest die staatliche Förderung ist aber mit 45 Millionen Euro auf Vorjahresniveau geblieben.

Tut die Politik genug für junge Firmen?

Es gibt gute Ansätze, gerade auch auf Länderebene, aber die Politik müsste noch viel mehr tun, um den Start-ups unter die Arme zu greifen – zum Beispiel, indem sie die Projektförderung vereinfacht und darüber hinaus steuerliche Anreize für Forschung setzt. Erfolgreiche Gründer sind ein Fundament der Wirtschaft.

Woher kommt das Risikokapital?

Es gibt einige verlässliche Investoren wie SAP-Gründer Dietmar Hopp und die Hexal-Gründer Thomas und Andreas Strüngmann, die schon seit Jahren in Biotechnologiefirmen investieren und für die Branche werben. Doch wir müssten auch stärker ausländisches Kapital generieren. Auch hier kann die Politik helfen: Die Bundesregierung kooperiert zum Beispiel mit China im Bereich Gesundheit. Deutsche Firmen bauen dort nun Krankenhäuser, die Charité ist beteiligt, aber auch Medizintechnik- und Biotechfirmen.

Derzeit nehmen die Insolvenzen wieder zu. Wie stark trifft das die Biotech-Branche?

Die Anzahl der Biotech-Unternehmen nimmt sogar deutlich zu, das war während der gesamten Finanzkrise so. Denn die Entwicklungszyklen von Medikamenten sind unabhängig von der Konjunktur. 2011 wuchs die Zahl der reinen Biotech-Firmen bei wenigen Insolvenzen um 14 auf insgesamt 552. Biotech-Firmen kommen immer dann in Bedrängnis, wenn etwa eine klinische Studie nicht erfolgreich ist, also die Erprobung des Mittels am Menschen. Denn viele der Unternehmen konzentrieren sich nur auf ein Produkt. Doch auch das bedeutet nicht automatisch die Pleite und das Ende. Viele Firmen schaffen die Restrukturierung, etwa indem sie Kooperationen mit großen Pharmaunternehmen eingehen.

Doch die Branche ist zersplittert, es gibt kaum große Erfolgsgeschichten wie etwa die der Biotech-Firma Amgen in den USA.

Häufig werden Produkte erfolgreicher Biotech-Firmen von großen Pharmakonzernen gekauft oder die Unternehmen gleich übernommen. In beiden Fällen verschwindet der Name der Firma von der Bildfläche. Die Biotechnologiefirma Jerini etwa hatte ein Peptid entwickelt, und als es zugelassen war, hat der Konzern Shire Jerini gekauft. Zudem sind die meisten Biotech-Firmen klein, und viele wollen das auch gern bleiben.

Warum?

Viele Biotechnologiegründer sehen sich als Forscher, wollen innovativ, flexibel und unabhängig bleiben. Zudem scheuen sie das Risiko, hunderte Millionen Euro in Produktionsanlagen zu investieren. Morphosys, eines der größten deutschen Biotech-Unternehmen, ist hier ein gutes Beispiel. Es hat keine eigene Produktion und geht stattdessen strategische Partnerschaften mit großen Pharmakonzernen ein.

Morphosys-Chef Simon Moroney sagt, es gebe genug Risikokapital, aber zu wenige spannende Projekte in Deutschland.

Tatsächlich beobachten wir, dass die großen Pharmakonzerne in einem regelrechten Bieterwettstreit um interessante Projekte sind. Die Kooperationen mit der Charité etwa sind in der Industrie sehr begehrt. Das liegt aber nicht an den Biotechnologiefirmen, sondern daran, dass die Pharmakonzerne gerade ihre Strategie ändern. Während man früher versucht hat, möglichst viel Forschung im eigenen Konzern zu betreiben, setzt man heute stärker auf Kooperationen. Da gibt es ganze Abteilungen, die nur dafür da sind, die Gründerszene nach interessanten Projekten zu durchleuchten. Ohne Biotech-Start-ups geht nichts mehr in der Pharmabranche.

Warum die Franzosen mit Neid auf Deutschland schauen und was sich die Branche von der Politik erhofft

Sie kommen von einem französischen Pharmakonzern. Entwickelt sich die Branche in Frankreich besser als in Deutschland?

Die Franzosen nehmen sich Deutschland als Vorbild! Bei der Zahl der Firmen liegt das Land deutlich hinter uns, auch der Mittelstand in der Branche ist nicht so stark wie hierzulande. Ein Vorteil ist allerdings, dass man in Frankreich Public Private Partnerships offener gegenüber steht, also etwa der Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft.

Die BASF hat ihre grüne Biotechnologie aus Deutschland abgezogen. Wie sehr leidet das Image des Biotech-Standorts?

Das Unternehmen hat jahrelang mit der Regierung gekämpft, und nun hat es die Konsequenzen gezogen. Die BASF forscht weiter in diesem Bereich, aber eben nicht hierzulande. Dieser Schritt war ein notwendiges Ausrufezeichen, dass Ankündigungen auch umgesetzt werden, wenn die Politik Steine in den Weg legt.

Was erwarten Sie von der Politik im Bereich der Gentechnik?

Deutschland darf keinen Sonderweg gehen, sondern muss europäische Gesetzgebung konsequent umsetzen. Sie erlaubt den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. Derzeit aber halten die europäischen Behörden Fristen nicht ein, wenden Einzelausnahmen an, sorgen für Unsicherheit, so dass die Firmen nicht langfristig planen können. Besonders schwierig ist das für Mittelständler, die ihre Forschung nicht wie große Firmen einfach verlagern können. Wenn das so bleibt, wird auch die Forschung zur grünen Biotechnologie an den deutschen Universitäten veröden oder abwandern.

Sind die USA der bessere Forschungsstandort?

Viel interessanter sind derzeit die Schwellenländer, dort verlassen Massen von gut ausgebildeten jungen Forschern die Universitäten. Allerdings ist Deutschlands Forschungsinfrastruktur, etwa mit den Helmholtz-, Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten einzigartig in der Welt. In Europa sind Regionen wie etwa Berlin oder München besonders attraktive Forschungsstandorte, weil die Dichte an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen extrem hoch ist. Dieses Potenzial dürfen wir nicht verspielen, sonst findet Gestaltung bald woanders statt.

Was erwarten Sie vom Regierenden Bürgermeister Wowereit?

Die Politik muss dafür sorgen, dass die Debatten um Chancen und Risiken der Biotechnologie mit Argumenten geführt werden, und nicht dogmatisch und emotional. Da hat die Regierung den Industrieunternehmen gegenüber eine Verantwortung. Klaus Wowereit hat aber längst erkannt, wie wichtig die Industrie für eine strukturschwache Stadt wie Berlin ist.

Wünschen Sie sich in Deutschland eine laxere Gesetzgebung wie in den USA, was Stammzellen und Gentechnik angeht?

Nein, wir wollen nur klare Entscheidungen. Wenn Deutschland die Pflanzenbiotechnologie nicht will, dann muss das auch so kommuniziert werden. Stattdessen hält sich die Politik bedeckt, erschwert die Zulassungsverfahren, so lange, bis Unternehmen wie die BASF aufgeben. In Deutschland wird zudem alles viel emotionaler diskutiert als im Rest der EU, der naturwissenschaftlicher orientiert ist. Allerdings hoffen wir auch, dass man in Deutschland künftig zumindest an adulten Stammzellen forschen kann.

Wo liegt das größte Konfliktpotenzial mit den Bürgern?

Bei der grünen Biotechnologie. Hier ist die Debatte ideologisiert und extrem emotional. Wir wurden kürzlich zu einem genfreien Buffet eingeladen! Wie absurd – jede Zelle, die wir essen, enthält Gene! Die deutsche Bevölkerung hat zudem eine romantisierte Vorstellung von der Natur. Dabei wird Gentechnik schon seit Jahrhunderten praktiziert, und selbst die Bio-Tomate ist Ergebnis von Züchtung und Kreuzung von Genen. Die Verweigerung Deutschlands bei der Gentechnik betrifft indirekt auch die anderen Länder der Welt. Wir müssen bis zum Jahr 2050 die Ernährung von 9,7 Milliarden Menschen sicherstellen, und dafür müssen wir alle Möglichkeiten nutzen können. In Indien zum Beispiel gehen 30 Prozent der Ernte verloren durch Schädlinge und Pilze; Gentechnologie kann mithelfen, das zu verhindern.

Kritiker sagen, wer Probleme mit Gentechnik beseitigt, schafft neue an anderer Stelle. Resistenzen werden beschleunigt.

Da steht der Nachweis noch aus. Resistenzen entstehen immer, aber besonders dann, wenn Bauern nachlässig arbeiten. Die meisten Landwirte, auch in Schwellenländern, machen aber einen guten Job. Fakt ist: Mit konventionellem Landbau können wir die Menschen künftig nicht allein ernähren. Und auch die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen stößt an ihre Grenzen. Gentechnik muss Teil der Lösung sein.

Das Gespräch führte Jahel Mielke.

DER MANAGER

Seit Mai ist Matthias Braun (49) Vorsitzender der Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB). Der promovierte Chemiker ging nach seinem Studium in Mainz zunächst zur Hoechst AG. Seit 2005 ist Braun, der mit Frau und Tochter in Berlin lebt, Mitglied der Geschäftsführung der Deutschland-Tochter des französischen Pharmakonzerns Sanofi.

DER VERBAND

Der DIB gehört zum Verband der Chemischen Industrie (VCI). Unter den 50 Mitgliedsfirmen sind Konzerne wie BASF und Fresenius, aber auch kleinere Biotech-Firmen aus Berlin wie Organobalance und Noxxon. Darüber hinaus sind zehn Verbände Mitglied. Die Branche stellt Produkte wie Kunststoffe, Chemikalien, Pharmazeutika, Körperpflege- und Waschmittel sowie nachwachsende Rohstoffe her. jmi

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