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Wirtschaft: Pharmaindustrie: Der Fall Bayer ist erst der Anfang

Für Bayer war es eine Woche des Schreckens. Und für Pharma-Anleger ein Vorgeschmack auf die rauen Zeiten, die der gesamten Branche bevorstehen.

Für Bayer war es eine Woche des Schreckens. Und für Pharma-Anleger ein Vorgeschmack auf die rauen Zeiten, die der gesamten Branche bevorstehen. Denn über dem vermeintlich sicheren Hafen Pharma ziehen schwere Unwetter auf. Bayer ist erst der Anfang.

Der Leverkusener Konzern hat in dieser Woche eines seiner wichtigsten Medikamente zurückziehen müssen, das cholesterinsenkende Medikament Lipobay, das mit zahlreichen Todesfällen in Verbindung gebracht wird. Die Börse reagierte wie gewohnt unerbittlich: Dem weltweiten Vermarktungsstopp folgte ein dramatischer Kurssturz, an den sich Bayer-Aktionäre noch lange erinnern werden. An einem einzigen Tag verlor die Aktie fast 17 Prozent an Wert und Bayer-Aktionäre auf lange Zeit den Glauben an das gesamte Unternehmen.

Die Anleger täten gut daran, das Bayer-Debakel als Warnung für die gesamte Branche zu verstehen. Die schwere Krise wirft ein Licht auf die große Abhängigkeit der Pharmakonzerne von wenigen umsatzstarken Produkten. Und sie ruft in Erinnerung, dass hochwirksame Medikamente selten so harmlos sind wie eine Vitamin-Tablette. Es gibt Schätzungen, wonach allein in Deutschland in jedem Jahr 16 000 Menschen an den Nebenwirkungen von Medikamenten sterben. Dabei geben die Pharmakonzerne schon jetzt irrsinnig viel Geld aus, um Nebenwirkungen aufzuspüren: Wirkstoffkandidaten werden über Jahre an Tausenden von Patienten getestet, die Durchfallquote ist hoch - nur einer von 5000 Kandidaten kommt in die Apotheke. Trotzdem mussten Pharmakonzerne immer wieder Medikamente zurückziehen, weil schwerwiegende Nebenwirkungen auftraten. So verlor der US-Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb im vergangenen Jahr mehr als 20 Prozent seines Börsenwertes, als er ein wichtiges Medikament wegen Sicherheitsbedenken zurückziehen musste. Auch Schering-Plough verlor an der Börse mehr als ein Drittel seines Wertes, nachdem die US-Gesundheitsbehörde FDA die Herstellung eines Hoffnungsträgers nach Qualitätsproblemen stoppte.

Durch die mit Spannung erwartete neuen Generation von biotechnologisch hergestellten Medikamenten dürfte dieses Risiko kaum geringer werden. Die Erwartungen an die Pharmaindustrie sind nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ins Unermessliche gestiegen. Der Druck, innerhalb kurzer Zeit eine völlig neue Klasse von Medikamenten zu produzieren, um bislang unheilbare Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer zu bekämpfen, ist enorm. Das macht die Wahrscheinlichkeit unerwarteter Nebenwirkungen nicht eben geringer.

Eine Gefahr droht der Pharmabranche nicht nur durch unerwartet auftretende Nebenwirkungen, sondern auch durch vorhersehbare Patentabläufe. Nach Schätzungen der Investmentbank Morgan Stanley werden bis 2005 Medikamente mit mehr als 50 Milliarden Dollar Jahresumsatz ihren Patentschutz verlieren. 70 bis 90 Prozent des Produkt-Umsatzes gehen in der Regel innerhalb eines Jahres nach Auslaufen eines Patents verloren. Auslaufende Patente erhöhen noch einmal den Druck, die Forschungs- und Entwicklungspipeline zu stärken und so schnell wie möglich neue Produkte auf den Markt zu werfen. Die bislang regelmäßig mit zweistelligen Gewinnsteigerungen auftrumpfenden Pharmakonzerne verlieren an Dynamik.

Aus eigener Kraft werden die Unternehmen die Herausforderung kaum bewältigen können. Sie werden gezwungen sein, in Zukunft noch aggressiver neue Produkte in Lizenz zu produzieren und Kooperationen mit kleinen Biotech-Firmen einzugehen. Um ihre bisherige vom Kapitalmarkt geforderte Ertragsdynamik aufrechtzuerhalten, haben viele Konzerne schon jetzt Tausende von Jobs abgebaut und Produktionsstandorte geschlossen. Aber das wird auf Dauer nicht ausreichen, um das Wachstum in Schwung zu halten. Auf die Branche kommen stürmische Zeiten zu. Wie schnell sich sicher geglaubte Gewinne - auch an der Börse - durch den Ausfall eines einzigen Medikaments in Luft auflösen können, hat das Beispiel Bayer deutlich gezeigt. Anleger sollten es im Hinterkopf behalten, wenn sie das nächste Mal in Pharma investieren.

Maren Peters

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