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Wirtschaft: Philip Morris findet Regulierung gut

Marlboro-Hersteller erhofft sich von schärferer Aufsicht mehr Sicherheit – und weniger Konkurrenz

Von Vanessa O’Connell,

Washington

John Scruggs, Lobbyist für den amerikanischen Tabakkonzerns Philip Morris, fuhr im März 2002 zu Tabakpflanzern nach Kentucky. Sein Ziel: die Unterstützung der Farmer zu gewinnen. Sein Arbeitgeber wollte erreichen, dass die US-Lebens- und Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration, FDA) das Zigarettengeschäft reguliert. Scruggs wusste, dass es schwer sein würde, die Farmer zu überzeugen. Zum Treffen erschienen mehrere Männer mit Baseballkappen, auf denen stand: „Haltet die FDA von den Farmen fern“. Die Mützen hatte Philip Morris ihnen vor einigen Jahren geschenkt. Das erinnerte Scruggs daran, dass er und sein Arbeitgeber eine eigenartige politische Odyssee hinter sich hatten. Jahrelang hatte Philip Morris Tabakpflanzer, Politiker und andere Freunde der Industrie gedrängt, sich gegen eine Regulierung der Zigarettenindustrie zu stemmen. Doch dann wechselte der Tabakkonzern die Seite.

Jetzt, 18 Monate nach Scruggs Kentucky-Reise, könnte sich Philip Morris Werben um die Unterstützung der Tabakfarmer auszahlen. In Herbst wird in den Senat wahrscheinlich eine Gesetzesvorlage für das Zigarettengeschäft eingebracht. Danach soll die Tabakindustrie unter die Aufsicht der FDA gestellt werden. Das würde für die Zigarettenhersteller neue Marketing- und Produktionsrichtlinien bedeuten, etwa die genauere Angabe schädlicher Inhaltsstoffe oder deutlichere Hinweise auf die gesundheitsschädlichen Folgen von Rauchen in der Werbung und auf Zigarettenpackungen. Die FDA könnte auch verlangen, dass der Nikotingehalt reduziert wird – oder Zigaretten sogar ganz nikotinfrei sind.

Eine bunt gewürfelte Interessengruppe kämpfte viele Jahre um den Gesetzentwurf. Tabakindustrie und organisierte Nichtraucher, Abgeordnete aus dem Nordosten der USA und Politiker aus südlichen Tabak-Bundesstaaten sowie Tabakpflanzer und städtische Liberale fanden sich zu einer sehr ungewöhnlichen Allianz zusammen. Wenn dieses Bündnis während der kommenden Wochen hält, dürfte es den heftigen Widerstand gegen den Gesetzentwurf überwinden.

Die Konkurrenten von Philip Morris sträuben sich bisher erbittert gegen das Gesetzesvorhaben. Der Entwurf sei nur ein zynischer Trick des Marktführers, damit er seine marktbeherrschende Stellung zementieren kann. Auch aus anderen Lagern gibt es skeptische Stimmen: „Für uns ist das der klassische Fall eines einflussreichen Konzerns, der sich durch eine staatliche Regulierung Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschaffen will“, sagt Peter Flaherty, Präsident des National Legal und Policy Center, eines Instituts aus Washington, das dem Staat auf die Finger schaut.

Vom FDA-Gesetzentwurf hängt paradoxerweise das Überleben von Philip Morris ab. Dass der Tabakkonzern für eine Regulierung des Zigarettengeschäfts eintritt, zeigt, unter welch starkem Druck die ganze Branche steht – sei es durch prozessierende Verbraucher oder Rauchverbote in Restaurants und Büros. Philip Morris wünscht sich daher sehnlichst klare Regeln für die Produktion und Vermarktung seiner Produkte. Hinter dem Vorgehen des Tabakkonzerns steckt aber auch mehr: Es ist das bisher extremste Beispiel dafür, wie Philip Morris versucht, aus der politisch erwünschten Einschränkung des Tabakkonsums noch Nutzen zu ziehen. Dafür wechselt der Konzern auch mal die Seite. So ging Philip Morris früher gegen die vorgeschriebenen Warnhinweise auf die gesundheitsschädigenden Folgen vom Rauchen an. Vor Gericht allerdings nutzte Philip Morris diese als Beweismittel, dass Raucher von der Gesundheitsgefahr wissen. Der Konzern schritt auch gegen Vorschriften für Zigarettenwerbung zu Felde.

Heute verschaffen diese Auflagen Philip Morris und seiner Marke Marlboro einen gewaltigen Vorteil gegenüber anderen Tabakherstellern. Was sagt Philip Morris selbst? Die FDA-Regulierung sei eine gute Sache, weil damit einheitliche Standards für die Produktion und das Marketing der Tabakbranche entstünden, heißt es bei Philip Morris.

Die Kehrtwendung in Sachen staatliche Regulierung zeichnete sich Ende der 90er Jahre ab und kam ab dem Jahr 2000 zu tragen. Zu diesem Zeitpunkt forderte das US-Obergericht den Kongress auf, darüber zu entscheiden, ob Zigaretten als Suchtmittel einzustufen und damit der FDA zu unterstellen sind. Die Tabak-Industrie hatte seit jeher dagegen angekämpft. Doch einige Manager von Philip Morris hielten das schlechte Image von Zigaretten zunehmend für ein Problem. Sie fragten sich, ob eine staatliche Regulierung nicht drakonischere Maßnahmen verhindern und die Dominanz der Marlboro-Zigarettenhersteller gegenüber seinen Konkurrenten stärken könnte.

Die Philip-Morris-Manager machten sich vor allem Sorgen um das Vordringen von Discount-Zigaretten. Würde das Zigarettengeschäft der FDA unterstellt, hieße das für die Discount-Tabakunternehmen eine Beschränkung ihres Werbe- und Marketingspielraums. Und Philip Morris könnte leichter weniger gesundheitsgefährdende Zigaretten auf den Markt bringen. Der Tabakkonzern hat bereits solch ein Produkt in der Hinterhand. Philip Morris würde die neuen Zigaretten aber lieber unter der Aufsicht der FDA einführen. Vor allem aber geht es Philip Morris um Vorhersehbarkeit: Der Aktienkurs reagiert nicht gerade gut auf die Unsicherheiten des Marktes.

Vanessa O’Connell[Washington]

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