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Die Welt von "Mr. Siemens". Nachdenklich absolvierte er einen seiner letzten größeren Auftritte, die Hauptversammlung der Deutschen Bank 2008 – er saß damals dort noch im Aufsichtsrat.

© dpa

Pierers Autobiografie: Siemens hat nichts zu befürchten

Das Buch von Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer dürfte für Wirbel sorgen – dabei wird gar nichts enthüllt.

Freiwillig ging er nicht. Schließlich war er „Mr. Siemens“, 38 Jahre im Unternehmen, gut zwölf Jahre Vorstandschef, zuletzt Aufsichtsratsvorsitzender. Ein Patriarch, das Gesicht der Deutschland AG, Vertrauter der wichtigsten Politiker und zeitweise sogar als möglicher Bundespräsident im Gespräch. So einer geht nicht freiwillig. Aber die Korruptionsaffäre, die Siemens inzwischen Milliarden gekostet hat, spülte ihn weg. Fahnenflucht komme nicht infrage, er trete nicht zurück, sagte er lange – und musste es im April 2007 doch tun: Sein Beweggrund sei allein „das Interesse von Siemens“, sagte er und wies alle Schuld von sich. Er ging auch nicht im Frieden. Jahrelang stritt er mit den neuen Bossen in der rosa getünchten Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München, fünf Millionen Euro zahlte er am Ende, natürlich ohne Schuldeingeständnis.

Trotzdem konnte er sich auf seine früheren Untergebenen verlassen, als er sich an seine Autobiografie machte. Wenn ihm ein Datum nicht einfiel oder ein Detail entfallen war, reichte ein Anruf. Die Rede bei den Vereinten Nationen war ihm zum Beispiel nicht mehr ganz so präsent. Über den Wiederaufbau des Irak sprach er im April 2004 vor dem Sicherheitsrat, und die Erinnerung daran musste er etwas auffrischen lassen. Es war ja auch immer so viel los – kein Problem, auch dieses Ereignis wird in dem 352-seitigen Buch „Gipfel-Stürme“, das kommende Woche erscheint, nun gebührend gewürdigt.

Sein ehemaliger Arbeitgeber hat nichts zu befürchten, Enthüllungen sind nicht absehbar. Zwar wirbt der Econ-Verlag damit, dass Pierer „sich auch zur Korruptionsaffäre äußert, die den Weltkonzern erschütterte“. Aber der Autor wiegelt ab. „Ich will keine Abrechnung“, sagt er, als ihn die Tagesspiegel-Reporterin telefonisch in Südafrika erreicht. „Ich hatte 38 tolle Jahre bei Siemens. Eine Abrechnung, das wäre unter meinem Niveau.“ Er blicke auch nicht mit Bitterkeit auf die Siemens-Zeit zurück. „Ich hoffe, dass das in dem Buch auch nicht so rüberkommt.“ Ein Vertrauter bestätigt, dass Pierer sich zurückgehalten habe. „Es ist alles sehr höflich. Er rührt nicht in der Scheiße.“

Nun ist Siemens für Pierer bald vier Jahre nach dem unfreiwilligen Abschied auch längst nicht mehr so wichtig. Ein ruhiges Rentnerdasein führt er nämlich nicht. Er sitzt in drei Aufsichtsräten: beim Baukonzern Hochtief, bei der Georgsmarienhütte und beim türkischen Mischkonzern Koç. Daneben betreibt er in seiner Heimatstadt Erlangen eine Consultingfirma. „Ich habe Spaß an Energiefragen und denke, ich kann in einigen Bereichen meine Kunden ganz vernünftig beraten.“ Asien und die arabische Welt finde er spannend, ihn reizten kleine innovative Unternehmen, aber am liebsten von all den Posten und Jobs sei ihm der Sitz im Verwaltungsbeirat des FC Bayern München. „Meine Frau findet, ich mache immer noch viel zu viel.“

Bis heute scheiden sich im Siemens-Imperium an ihm die Geister. Die offizielle Haltung ist kühl, klar und hart. So kam es, dass der promovierte Jurist Pierer sich nicht auf einen Schadenersatzprozess einließ und fünf Millionen Euro zahlte. Insbesondere der für Rechtsfragen zuständige Vorstand Peter Solmssen, den die neue Siemens-Führung aus den USA holte, lässt wenig Sympathie für die alte Garde erkennen. Aber bis heute gibt es einige, die in dem Weltkonzern an zentralen Stellen sitzen und ihm viel verdanken. „Das Verhältnis ist nicht mehr so, wie es mal war“, sagt ein Manager. „Aber wir reden freundschaftlich miteinander.“

Treu ist bis heute auch Gerd von Brandenstein, zuletzt Statthalter von Siemens in Berlin, inzwischen im Ruhestand. Der 68-Jährige hat wie Pierer mehr als die Hälfte seines Lebens für Siemens gearbeitet. Brandenstein ist ein wichtiger Mann für Siemens geblieben, weil er für die Familie im Aufsichtsrat sitzt. Sein Ururgroßvater Carl war der jüngere Bruder von Werner, der die Firma vor gut 160 Jahren in Berlin gründete. Die Familie, mit rund sechs Prozent Großaktionär, kommt jeweils kurz vor der Hauptversammlung zusammen, diesmal am 24. Januar in München. Am 25. folgt die Hauptversammlung – und am 26. Pierers 70. Geburtstag.

Brandenstein lässt nichts auf Pierer kommen. „Ich habe ein sehr positives Bild von ihm. Er war auch in der Belegschaft immer ein sehr anerkannter Mann“, sagt der schlaksige Senior, der bis heute am Berliner Unternehmenssitz in Siemensstadt ein Büro unterhält. „Er hat richtungsweisend gearbeitet. Das Gute überwiegt ganz klar, das sieht das Unternehmen auch so.“ Am Geschäftlichen gebe es nichts auszusetzen: „Das Unternehmen steht heute fabelhaft da, wir können wirklich mehr als zufrieden sein. Wichtig ist die Nachhaltigkeit des Erfolgs, und sicher hat auch Heinrich von Pierer dafür ein Fundament gelegt.“

Auch der gestürzte „Mr. Siemens“ findet den Aktienkurs „ganz erfolgreich“. Mag sein, dass ihn der Skandal einholt, wenn das Justizministerium und die Börsenaufsicht in den USA ihre Ermittlungen abschließen. Aber in Deutschland ist er juristisch aus dem Schneider. 250 000 Euro Bußgeld habe er zahlen müssen, bestätigt er – damit seien die Ermittlungen gegen ihn abgeschlossen, heißt es bei der Münchner Staatsanwaltschaft.

Kurz nach der Buchvorstellung am kommenden Montag, aber noch vor der Hauptversammlung wird trotzdem ein neues Kapitel der Aufarbeitung aufgeschlagen. Ab Donnerstag nächster Woche muss sich Thomas Ganswindt vor dem Münchner Landgericht verantworten. Er ist der Erste aus dem alten Zentralvorstand, dem der Prozess gemacht wird. Ein langjähriger Pierer-Vertrauter, der von Zahlungen in Nigeria und Russland gewusst haben soll. Auch die ehemaligen Zentralvorstände Uriel Sharef und Heinz-Joachim Neubürger müssen mit Anklagen rechnen. Doch da sie alle ausführlichst vernommen wurden und keiner von ihnen Pierer so sehr belastete, dass es für eine Anklage auch gegen ihn gereicht hätte, sind wohl bei diesen Verfahren keine Enthüllungen zu erwarten.

So freut er sich auf seine Buchvorstellung am Montag in der Bundespressekonferenz in Sichtweite des Kanzleramts. „Das wird sicher ganz munter werden“, sagt er. Einen Bestseller-Erfolg hat er nicht nötig, er ist ein wohlhabender Mann geblieben. Wie sagte er einst vor dem Sicherheitsrat über den Irak? Die Bevölkerung dürfe nicht das Gefühl haben, vom wachsenden Wohlstand ausgeschlossen zu werden. „Solche Angst und Verzweiflung führt zur Desolation und Anarchie.“ Davon ist bei ihm nicht das Geringste zu spüren. Pierer ist wieder da.

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