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Wirtschaft: Pleiten-Hauptstadt Berlin

Zahl der Privatinsolvenzen steigt im ersten Halbjahr um 47,5 Prozent – Arbeitslosigkeit, Krankheit und Scheidung als Hauptursachen

Berlin - In Berlin mussten 3540 private Verbraucher in den ersten sechs Monaten dieses Jahres Insolvenz anmelden – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 47,5 Prozent. Das geht aus Daten der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen. Insgesamt liegt der Anteil der Verbraucherinsolvenzen in Berlin deutlich über dem Bundesdurchschnitt. „Berlin ist die Stadt mit den zahlungsunwilligsten Bürgern“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter von Creditreform, Gerhard Wolfram. Deutlich besser sieht die Lage hingegen bei den Unternehmensinsolvenzen aus: Deren Zahl sank gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 28,6 Prozent auf 650.

Seit 1999 haben nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbraucher die Möglichkeit, Insolvenz anzumelden. Nach einer Wohlverhaltensphase von sechs Jahren werden ihnen sämtliche Schulden erlassen – vorausgesetzt, die Mehrheit der Gläubiger stimmt zu. Allerdings müssen die Betroffenen in dieser Zeit alle verfügbaren Mittel zur Tilgung ihrer Schulden verwenden, außerdem dürfen sie keine weiteren Kredite aufnehmen.

Arbeitslosigkeit, Krankheit und Scheidung sind die Hauptursachen für eine Überschuldung, sagt Ernst Ungerer von der Verbraucherzentrale Berlin. „Daneben spielt aber auch unwirtschaftliches Verhalten eine Rolle.“ Hinzu komme, dass Banken oft aggressiv für Billigkredite werben. „Kaufen Sie heute – zahlen Sie später: Auf solche Sprüche fallen leider viele herein“, sagt Ungerer.

Ähnlich sieht das Creditreform-Gesellschafter Wolfram: „Die Schuld liegt auf beiden Seiten“, sagt er. „Oft wird man regelrecht verführt, Schulden zu machen.“ Als Beispiele nennt er den Versandhandel und das Einkaufen im Internet (E-Commerce), sowie den Mobilfunk, wo ein Großteil der Kosten auf die Zukunft verlagert werde. Weitere Schuldentreiber seien Einbauküchen, Couchgarnituren oder gescheiterte Bauvorhaben. „Auch Urlaubsreisen kann man innerhalb von zwölf oder sogar 24 Monaten abstottern“, erklärt Wolfram. „Wenn da dann irgendetwas dazwischen kommt, hängt man in der Luft.“

Gemessen an der Gesamtbevölkerung gibt es in Berlin besonders viele Privatinsolvenzen: Jeder 957. Einwohner ist betroffen. Bundesweit kommt ein Fall auf 1 892 Einwohner. Auch der Anstieg im ersten Halbjahr ist in Berlin mit 47,5 Prozent stärker ausgefallen als in ganz Deutschland mit 40,9 Prozent. Creditreform erklärt das mit der hohen Arbeitslosigkeit in der Stadt und mit der „insgesamt kritischen Sozialstruktur“.

Nach Schätzungen der Senatsverwaltung für Soziales gibt es in Berlin 165 000 überschuldete Haushalte, deren laufende Einnahmen nicht für die Rückzahlung der Schulden ausreichen. „Das Potenzial für weitere Privatinsolvenzen ist also groß“, erklärt Verbraucherschützer Ungerer. Auch Creditform-Gesellschafter Wolfram rechnet mit noch mehr Verbraucherpleiten. „Ich kenne keinen Grund, warum der Anstieg in Zukunft geringer sein sollte als bisher.“ Das liege aber nicht so sehr an einer zunehmenden Verschuldung, als vielmehr daran, dass immer mehr Bürger den Gang zum Insolvenzverwalter wagten. „Diejenigen, die das Verfahren einleiten, zeigen, dass sie etwas tun wollen, um aus der Schuldenfalle herauszukommen“, sagt Wolfram.

Die Schadensumme variiert laut Creditreform stark. So gebe es Privatleute mit Schulden in sechsstelliger Höhe; für Menschen ohne eigenes Einkommen könne dagegen schon eine Schuldenlast von 5000 Euro zur Überschuldung führen. Genaue Zahlen werden für Berlin nicht erhoben.

Optimistisch stimmt dagegen der Rückgang bei den Unternehmensinsolvenzen. „Das ist auf jeden Fall ein positives Zeichen“, sagt Holger Lunau von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. „Die Lage hat sich eindeutig stabilisiert.“ Insgesamt würden in Berlin mehr neue Unternehmen gegründet, als vom Markt verschwinden. Überdurchschnittlich viele Pleiten gebe es aber nach wie vor am Bau, im Handel und bei Dienstleistungen. Im vergangenen Jahr waren in Berlin laut IHK 6 452 Arbeitsplätze von Unternehmensinsolvenzen betroffen. In Brandenburg verzeichnete Creditreform im ersten Halbjahr 2 450 private Konkurse. Das entspricht einem Anstieg von mehr als 50 Prozent in einem Jahr. Auf Unternehmensseite wurden 560 Pleiten registriert – ein Rückgang um 16,4 Prozent.

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