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© Kitty Kleist-Heinrich

Plüschtiere: Kuscheln im Osten

In der Kösener Spielzeugmanufaktur werden Plüschtiere von Hand gefertigt. Wir sind besser als Steiff, sagt der Chef selbstbewusst.

Bad Kösen - Russisch kann Erika Siebert noch aus DDR-Zeiten, Englisch hat sie mit ihrem Sohn gelernt. Japanisch hat sie sich selbst beigebracht, zumindest vier Wörter. „Kónnichi wá“ etwa, „guten Tag“, auch „danke“, „bitte“und „auf Wiedersehen“ kann sie auf Japanisch sagen. Das ist auch gut so: „Japaner gehören zu unseren besten Kunden“, sagt sie.

Jeden Tag, auch sonntags, steht sie in dem kleinen Laden, in dem die Kösener Spielzeugmanufaktur ihre Kuscheltiere verkauft. Stammkunden nehmen weite Wege auf sich, um nach Bad Kösen zu fahren. Der kleine Kurort liegt im südlichsten Zipfel von Sachsen-Anhalt, wenige Bahnminuten von Naumburg entfernt. Seitdem Horst Seehofer in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister dem Kurwesen den Garaus gemacht hatte, sind die Kurgäste selten. Die Menschen, die heute an die Saale kommen, wollen entweder die historischen Burgen besichtigen, den hiesigen Wein verkosten oder Kösen-Tiere kaufen.

Letztere brauchen ein dickes Portemonnaie. Denn die Luchse, Katzen oder Bären haben ihren Preis. Rund 90 Euro muss man für den Otter (siehe Bild) ausgeben, wer die große Füchsin kaufen möchte, ist mit über 170 Euro dabei, nur den Marienkäfer gibt es schon für 7,80 Euro.

Viele Kunden schrecken vor den hohen Preisen zurück. Teure Kuscheltiere verbinden sie eher mit dem großen Konkurrenten Steiff. Für die Kösener ist das bitter: „Viele Händler können sich nur einen hochpreisigen Anbieter leisten“, sagt Helmut Schache, Marketingchef und Firmensprecher. „Dann nehmen sie Steiff, weil die Marke bekannter ist.“ Bekannter, aber nicht besser, betont er. Im Gegenteil: „Das Gesicht unseres großen Luchses besteht aus 28 Teilen“, sagt Schache stolz, „bei Steiff hat das ganze Tier 28 Teile.“

Liebhaber schätzen an den Kösen-Tieren ihr natürliches Aussehen. Dahinter steckt viel Arbeit. Das Unternehmen beschäftigt zwei Designer. Bevor diese ein neues Tier kreieren, gehen sie in den Tierpark. Dort fotografieren sie und zeichnen, anschließend wird ein Tonmodell angefertigt, erst danach entstehen die Schnittmuster für das Plüschtier.

35 Mitarbeiter hat Schache, 20 davon arbeiten in der Produktion. Vom Zuschnitt bis zum letzten Arbeitsgang, bei dem das Fell individuell gefärbt und das Gesicht aufgestickt wird, ist alles Hand- und Präzisionsarbeit. Ein falscher Stich, und Feldhase „Mümmel“ schmunzelt nicht mehr, sondern grimassiert. Bis zu 100 Teile müssen die Spielzeugmacherinnen für einen großen Braunbären zusammennähen. Ein Steiff-Tier wird – je nach Modell – aus bis zu 40 Teilen zusammengenäht, ein Teddy besteht aus 19 Teilen.

Für ihre Präzisionsarbeit werden die Frauen eher schlecht bezahlt. 5,50 bis 7,50 Euro verdienen sie in der Stunde, „mehr können wir derzeit nicht zahlen“, sagt Schache. Sonst würden die Tiere zu teuer. Denn allein die Stoffe kosten viel Geld. Einige kommen aus Deutschland, andere aus Belgien oder Frankreich. Vor wenigen Jahren ging der Hauptlieferant pleite, ein schwerer Schlag.

Doch Schache wäre nicht Schache, wenn er nicht auch dieses Problem lösen würde. Herausforderungen scheut der Unternehmer nicht. Von 1990 bis 1994 war er Bürgermeister in Bad Kösen – ein Mann des „Neuen Forums“. 1992 übernahm er die Kuscheltierfirma, weil sonst niemand wollte. Die Treuhand hätte das Unternehmen sonst liquidiert, erinnert sich Schache, „eine Viertelstunde vor Fristablauf habe ich unterschrieben“. Er wollte nicht zulassen, dass eine Firma stirbt, die wie kaum eine andere deutsche Spielzeuggeschichte widerspiegelt.

Gründungsmutter war Käthe Kruse, die 1912 in Bad Kösen ihre allererste Puppenwerkstatt aufmachte. Nach dem Krieg stellte der Betrieb als VEB Puppenwerkstätten weiter Puppen im Käthe-Kruse-Stil her. 1959 präsentierte der VEB auf der Leipziger Messe sein erstes Tier, eine Gans. Schon damals legte man Wert auf Qualität und arbeitete mit der Designerschmiede der DDR zusammen, Burg Giebichenstein. In der DDR waren die Tiere Bückware, die meisten wurden in die Bruderstaaten exportiert.

Nach der Wende kam Steiff nach Bad Kösen. Zwei Jahre lang ließen die Westdeutschen ihre Tiere an der Saale nähen. Doch als es zum Schwur kam, winkte Steiff ab und ging lieber nach Tunesien. „Das war billiger“, glaubt Schache.

So sprang der Bürgermeister ein. Er hatte ein gut gehendes Bauunternehmen und genug Geld. Doch dann zahlte ein Bauträger aus dem Westen nicht, die Firma ging in die Insolvenz. Die Spielzeugproduktion wurde mitgerissen. Doch die Kuscheltierfirma überlebte – in neuem Firmenmantel, mit alten Schnittmustern.

Jetzt hat Schache Großes vor. Im nächsten Jahr will er ein großes Erlebniszentrum eröffnen. Den „Mutigen Ritter“, eine ausgediente Kurklinik, hat er bereits gekauft, dort sollen eine gläserne Manufaktur entstehen, eine Bastelwerkstatt für Eltern und Kinder und ein Museum. Auch der Werksverkauf soll in das burgähnliche Gebäude umziehen. Das soll die Marke bekannter machen. Rund 1,7 Millionen Euro Umsatz erwartet Schache für dieses Jahr, das reicht, um schwarze Zahlen zu schreiben. Davon kommt allerdings ein großer Teil aus Indonesien, wo Kösener in Lizenzfertigung Stofffiguren wie Bernd das Brot und Käpt’n Blaubär nähen lässt. Kösen-Tiere gibt es bei Manufaktum, in Berlin auch im KaDeWe. Dort ist man zufrieden mit den Geschäftspartnern. „Kösen liefert schnell und zuverlässig“, heißt es. Tatsächlich arbeiten die Frauen bis kurz vor Weihnachten auf Hochtouren. Innerhalb von zwei Tagen stellen sie auf Bestellung jedes Tier her. Der Chef freut sich: „Wir sind flexibel und nicht steif“, sagt er.

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