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Wirtschaft: Policen auf den letzten Drücker

Sinkende Garantiezinsen und das drohende Ende des Steuerprivilegs dienen Lebensversicherern als Verkaufshilfe – Verbraucherschützer warnen

Von Heike Jahberg

und Nora Luttmer

Die Kunden sind treu. Obwohl mit der Mannheimer Leben jetzt erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein Lebensversicherungsunternehmen in die Knie gegangen ist, schließen die Deutschen weiterhin fleißig Lebensversicherungen ab. Börsenkrise, Abschreibungen in Milliardenhöhe, sinkende Gewinnbeteiligungen – all das scheint den Verbrauchern nichts auszumachen. Und selbst der sinkende Garantiezins kurbelt das Geschäft erst einmal weiter an: Weil die Mindestverzinsung für Neuverträge im kommenden Jahr von 3,25 Prozent auf 2,75 Prozent schrumpfen wird, raten Versicherungsvertreter den Kunden, jetzt noch schnell eine Police abzuschließen.

Auch die drohende Abschaffung des Steuerprivilegs taugt als Verkaufsargument und soll zögerlichen Versicherungsnehmern Beine machen. Die Rürup-Kommission hatte Anfang des Jahres vorgeschlagen, die Steuerfreiheit der Erträge aus Lebensversicherungen für neu abgeschlossene Verträge zu streichen. Noch arbeitet das Finanzministerium hinter verschlossenen Türen an einem Konzept, wie man die Rürup-Ideen umsetzen will. Aber eines ist klar: „Sollte das Steuerprivileg fallen, wäre das der Tod für Neuabschlüsse“, sagt Wolfgang Scholl, Versicherungsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Mitleid mit der Branche hat der Verbraucherschützer nicht: „Fehlsteuerungen gehören abgeschafft, wir hoffen auf eine weit reichende Lösung“.

Dagegen möchte Gerhard Rupprecht, dass alles beim Alten bleibt. Die Kapitallebensversicherung sei mit mehr als 50 Millionen Policen bundesweit „die Stütze der ergänzenden Vorsorge“, sagt der Chef von Deutschlands größter Lebensversicherung, der Allianz Leben. Im November, so vermutet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), wird das Finanzministerium einen ersten Entwurf vorlegen – wie dieser aussehen werde, sei noch völlig offen.

Sinkende Zinsen, steigende Steuern – viele Kunden schließen jetzt noch auf den vermeintlich letzten Drücker Lebensversicherungspolicen ab. Um 36 Prozent stiegen die Neubeiträge bei der Allianz in den ersten drei Monaten dieses Jahres. Das Neugeschäft liegt damit deutlich über dem Wachstum, das die Branche im vergangenen Jahr verzeichnen konnte. Um gerade einmal sieben Prozent waren die Beiträge aus neu abgeschlossenen Verträgen branchenweit gestiegen – und das, obwohl im vergangenen Jahr die Wolken über den Lebensversicherern noch lange nicht so düster waren wie heute.

Inzwischen sind sie tiefschwarz. Analysten prophezeien, dass die Mannheimer nicht die letzte Versicherung sein wird, deren Versicherungsnehmer von der Auffanggesellschaft Protektor gerettet werden müssen. Schon wird öffentlich darüber spekuliert, wie viele Fälle Protektor noch verkraften kann, bis dem Retter selbst die Puste ausgeht. Die Lage ist ernst: Die Branche schiebt nach Angaben des GDV noch nicht abgeschriebene Börsenverluste von 20 Milliarden Euro vor sich her. Viele Unternehmen haben den Stresstest der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nicht bestanden, in dem die BaFin weitere Kursverluste fingiert hat und von den Firmen wissen wollte, wie weit ihre Reserven noch reichen. Hinzu kommen die sinkenden Zinsen am Rentenmarkt, die es vielen Unternehmen schwer machen, überhaupt die Garantieverzinsung zu schaffen. Die Kunden lesen von den Problemen und reagieren.

„Die Verbraucher fragen verstärkt große bekannte Versicherer nach“, sagt Stefan Suska, Sprecher des Finanzdienstleisters AWD. „Die Kunden suchen Unternehmen mit Finanzstärke.“ Der Trend zu den Großen könnte die kleineren Anbieter zusätzlich unter Druck setzen. So räumt die Berliner Feuersozietät ein, dass derzeit eine Nachfragedelle zu spüren sei. Die Öffentliche Versicherungen Sachsen-Anhalt (Ösa) setzen auf die Qualität ihrer Vertreter: „Die Leute kaufen weiterhin lieber bei denen, die sie gut kennen“, sagt Ösa-Sprecher Wolfgang Kirkamm.

„Der Weg zum Großen bringt nicht mehr Sicherheit“, warnt Manfred Poweleit, Herausgeber des Branchendienstes Map-Report. Die Unternehmenspolitik der großen Gesellschaften sei zu kurzfristig orientiert und richte sich viel zu sehr nach der Entwicklung des eigenen Aktienkurses. „Wer in Quartalen denkt, dem fehlt das Gefühl für die langen Zeitspannen, die bei der Lebensversicherung wichtig sind.“ So hätten Versicherer wie die Mannheimer lange vergessen, dass Marktanteile nur bei den Kunden zu holen sind, nicht bei Aktionären. Trotz der Krisen schätzt Poweleit den Markt weiter gut ein: „Lebensversicherungen werden weiter ein interessantes Produkt bleiben, allerdings nur, weil alles andere schlimmer ist.“

Verbraucherschützer Scholl sieht das anders. „Wir raten nicht zu Lebensversicherungen“, sagt der Experte. Die Finanzkrise der Branche zeige, dass die Anlage bei einer Versicherung die Kapitalmarkt-Risiken nicht auffange. Daher sollten die Kunden das Kapitalmarkt-Risiko besser selbst tragen, meint Scholl – über fondsgebundene Lebens- oder Rentenversicherungen oder über die komplette Trennung von Geldanlage und Versicherung. Der Vorteil: „Dann ist sichergestellt, dass die Versicherten auch von einem Kursanstieg unmittelbar profitieren.“

Dass die Bundesbürger die Risiken der Lebensversicherung durchaus erkannt haben, zeigen Umfragen. Die Mehrheit der Deutschen hat kein Vertrauen mehr in die Sicherheit der Policen als Altersvorsorge. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Infratest dimap“ im Auftrag von „Welt am Sonntag“. Auf die Frage „Haben Sie, nachdem einige Lebensversicherungsgesellschaften in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, noch Vertrauen in die Sicherheit von Lebensversicherungen als Altersvorsorge?“ antworteten 52 Prozent der Befragten mit „Nein“, 41 Prozent mit „Ja“.

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