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Spargelzeit. 80 Prozent der Saisonkräfte, die bei der Ente helfen, kommen aus Polen. Nicht nur in der Landwirtschaft üben sie Jobs aus, die anstrengend sind.

© Silas Stein/dpa

Polnische Arbeitskräfte: Wenig Geld für harte Arbeit

Polen sind die zweitgrößte Migrantengruppe in Deutschland. Ohne sie stünde manche Branche im Land vor dem Aus – weil viele für wenig Geld arbeiten.

Was ihr versprochen wurde, waren neun Euro und 20 Cent. Für diesen Stundenlohn wollte Danuta, 48 Jahre alt, Breslau verlassen und in einer Fleischfabrik bei Berlin arbeiten. So viel Geld, dachte sie.

Kurz vor Ostern fing Danuta, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, an. Arbeitete zwei Tage. Dass sie keinen Vertrag unterzeichnete, wunderte sie nicht. Sie war ja in Deutschland, wo Regeln herrschen. Am dritten Tag sagte ihr Chef, sie würde sich nicht eignen, solle wieder gehen. Ohne einen Cent. Ihre Unterbringung wurde nicht wie versprochen bezahlt. Eine weitere Lüge, wie zuvor schon der Satz, sie werde jeden Tag abgeholt und zur Arbeit gebracht. „Vier Kilometer ging ich zu Fuß“, erzählt die Polin. Morgens hin, abends zurück. Das Einzige, das sie von der Leiharbeitsfirma bekommen hat, ist eine Mahnung: Sie habe das Hostel nicht bezahlt.

Die Mitarbeiter der Berliner Beratungsstelle „Faire Mobilität“ kennen viele solcher Geschichten. Seit 2011 gibt es das Projekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes, mittlerweile in sieben Städten. Die Teams setzen sich allein für Menschen aus Mittel- und Osteuropa ein. Sollen die Mitarbeiter die Missstände benennen, die Polen in Deutschland noch immer erleben, sprechen sie von schlechter Bezahlung, unwürdiger Behandlung, Ausbeuterei und Betrug. Deswegen beraten Projektleiter Dominique John und seine Kollegen die Arbeiter aus dem Nachbarland und klären sie über ihre Rechte auf. „Besser geworden ist es seit unserem Start aber nicht“, sagt John. „Die Probleme haben sich eher ausgeweitet.“

Unternehmen nutzen Ahnungslosigkeit aus

Einen Grund dafür sieht John in der Verantwortungslosigkeit deutscher Unternehmen. Nach wie vor würden sie es zu ihrem Vorteil nutzen, dass Arbeiter mit ausländischer Herkunft nicht immer wüssten, was ihnen in Deutschland zusteht und dass sie nicht alles verstünden, was man ihnen sagt oder zum Unterschreiben vorlegt. Wenn man ihnen überhaupt etwas vorlegt. Außerdem sind in den vergangenen Jahren immer mehr Polen nach Deutschland gekommen, weil es für sie einfacher geworden ist, hier zu arbeiten.

Zwar trat das Nachbarland schon 2004 der Europäischen Union bei, doch aus Angst, die Polen könnten den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, fanden sie zunächst nur unter schweren Bedingungen einen Job. Bis 2011. Seitdem gilt für sie die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Zur Zeit leben rund 750 000 Polen in Deutschland. Sie sind die zweitgrößte Migrantengruppe nach den Türken. Aber „im Schatten der Asylzuwanderung sind die in den letzten Jahren starken Wanderungsbewegungen aus Polen und Rumänien zunehmend aus dem Blick geraten“, heißt es beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Primär kämen die Polen hierher, um zu arbeiten – nicht weil sie arm seien und von Sozialleistungen leben wollten. Selbst wenn sie hierzulande nicht anständig entlohnt werden, verdienen sie immerhin mehr als zu Hause, wo der Mindestlohn bei 2,65 Euro liegt. „Mit den hier geltenden Mieten und Lebensmittelpreisen löst sich dieser Vorteil aber schnell auf“, sagt John.

Weniger Geld bei gleicher Qualifikation

Aus der Datenbasis des Bamf und der Bundesagentur für Arbeit ergibt sich für die Polen in Deutschland folgendes Profil: Fast neun von zehn haben einen Job, während die Arbeitslosenquote aller Ausländer in Deutschland zusammen bei 16 Prozent liegt. Von den gut 426 000 Erwerbstätigen haben mehr als 360 000 eine sozialversicherungspflichtige Stelle – fast 40 000 mehr als im Vorjahresmonat. Zwei von dreien sind in der Dienstleistungsbranche tätig, etwa in der Pflege oder im Reinigungswesen. Gefolgt von der Arbeit in Fabriken und auf dem Bau.

Mehr als jeder zehnte Pole jobbt als Leiharbeiter – so wie Danuta in der Fleischfabrik bei Berlin. Von den rund 64 000 geringfügig Beschäftigten ist jeder vierte als Aushilfe in der Landwirtschaft tätig. Gebückt stehen sie auf den Feldern, pflücken Erdbeeren, stechen Spargel. So wie jetzt, zum Beginn der Saison.

Dass polnische Arbeitnehmer anstrengende und oft schlecht bezahlte Jobs haben, liegt aber nicht an ihrer Qualifikation: Fast die Hälfte der Menschen aus Polen hat eine hohe Schulbildung. Die Mehrheit hat eine Ausbildung gemacht, jeder Vierte hat studiert. Trotzdem üben die meisten Polen nur eine Helfertätigkeit aus. Ein gutes Viertel arbeitet als Fachkraft, kaum jemand als Spezialist.

„Und selbst bei gleichem Anforderungsniveau“, sagt Carola Burkert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), „verdienen sie weniger als Deutsche“. Eingewanderte Frauen, die meist putzten oder Ältere versorgten, seien besonders stark von zu niedrigen Löhnen betroffen. Das kann daran liegen, dass ihre in der Heimat erworbene Qualifikationen hierzulande nicht anerkannt werden oder ihre Deutschkenntnisse nicht gut genug sind.

Polinnen füllen immense Versorgungslücke

Dabei sind polnische Arbeitskräfte für Deutschland enorm wichtig. Vor allem im Bereich der Pflege. Rund 2,9 Millionen Deutsche sind auf die Hilfe anderer angewiesen – und weil die Gesellschaft altert, wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Zukunft weiter zunehmen. Allerdings machen Schwestern und Pfleger schon seit Jahren durch Proteste auf ihre schlechte Bezahlung und das miese Image ihres Berufes aufmerksam. Laut der Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit bleibt eine Stelle in der Altenpflege mit durchschnittlich 162 Tagen schon jetzt am längsten unbesetzt.

Zu dem Fachkräftemangel kommen die Kosten hinzu: Eine offizielle 24-Stunden-Betreuung kann sich die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht leisten – selbst wenn sie es wollte. Private Pflegekräfte aus Polen füllen somit eine immense Versorgungslücke aus. Das Problem ist allerdings, dass viele von ihnen schwarzarbeiten, nicht abgesichert sind und weniger verdienen als erlaubt ist. Weil das Geschäft mit Helferinnen aus Polen boomt, sind – zum Teil dubiose – Vermittlungsagenturen entstanden. Wobei nicht nur sie vom Pflegenotstand in Deutschland profitieren, sondern auch die 12 300 ambulanten Pflegedienste.

Anna, 36, nennt ihre Arbeit "Sklaverei"

Bei einem Berliner Anbieter ist die Polin Anna, 36 Jahre alt, angestellt. Auch sie möchte ihren Nachnamen nicht nennen. Sie muss nicht bei einem Pflegebedürftigen zu Hause wohnen, auch nicht rund um die Uhr für ihn verfügbar sein, aber „Sklaverei“ nennt sie ihre Arbeit trotzdem. Laut ihrem Arbeitsvertrag soll sie 173 Stunden im Monat arbeiten, aber tatsächlich sind es sehr viel mehr. Auf der Lohnabrechnung aufgeführt und abgerechnet werden 133 Stunden.

Ihr Bruttostundenlohn, sagt Anna, beträgt 17 Euro, aber weil ihr Gehalt oft nicht pünktlich überwiesen wurde, fragte sie einmal nach. Daraufhin wurde ihr gesagt, sie sei „dumm“ und würde „nix verstehen“. Gemeinsam mit anderen Pflegerinnen aus Osteuropa hat sie ihr Arbeitgeber in einer WG untergebracht. Dort schlafen sie in Zwei- und Dreibettzimmern. Kein Platz für Privatsphäre. „Nicht selten brach schon einer in unserer WG zusammen“, erzählte sie. „Und wir mussten den Notarzt rufen.“

Dies ist ein Extremfall. Doch er zeigt, wie falsch die Vorstellung von der Arbeit in Deutschland sein kann.

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