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Wirtschaft: Präsident Tony Blair

EDITORIALSTony Blair schafft es, weniger auf dem Sessel der EU-Ratspräsidentschaft zu sitzen, als vielmehr auf ihm zu stehen.In den kommenden sechs Monaten wird er den Sessel als Kanzel für die Verkündung seiner Botschaft nutzen.

EDITORIALS

Tony Blair schafft es, weniger auf dem Sessel der EU-Ratspräsidentschaft zu sitzen, als vielmehr auf ihm zu stehen.In den kommenden sechs Monaten wird er den Sessel als Kanzel für die Verkündung seiner Botschaft nutzen.Einerseits will er die Briten überzeugen, die Europäische Union nicht mehr so ablehnend zu beurteilen.Deshalb verspricht er unter Beifall, ein "Europa der Völker" zu schaffen, wie es Prinzessin Diana formulierte: mit weniger Drogen, weniger Gewalt, besseren öffentlichen Verkehrmitteln, einer saubereren Umwelt.Und andererseits will er die Europäer dazu bewegen, die britische Sichtweise nicht so herablassend zu betrachten.Daher will er Kooperationsbereitschaft demonstrieren: Er läßt sich auf die Sozialcharta ein und unterstützt im Grundsatz die Währungsunion. Die Vollendung des gemeinsamen Marktes ist ein zweifellos würdiges Ziel für die Präsidentschaft.Um diesem Ziel jedoch näherzukommen, muß Tony Blair sich mit seinen Gesprächspartnern in der Europäischen Union auseinandersetzen: zum Beispiel über verkappten Protektionismus nationaler Regierungen, einen Wust von Regulierungen, die den Wettbewerb behindern, Steuererhöhungen unter dem Vorwand einer "Harmonisierung", eine Agrarpolitik, die den Wettbewerb vollkommen verzerrt, und das Hinnehmen solcher Rettungsaktionen wie die 20 Mrd.-Dollar schwere Hilfe der französischen Regierung für den Crédit Lyonnais von Seiten der Europäischen Kommission.Auch sollte Blair vor den ausufernden Kosten der sozialen Sicherheit warnen, die zu einer Gefahr für die Europäische Währungsunion werden könnten. Solche Predigten werden nicht überall in Europa gern gehört.Dennoch tritt Blair seine Präsidentschaft mit einigen klaren Vorteilen an.Er ist eindeutig Europas populärster Politiker und steht an der Spitze eines Landes, das im europäischen Wettbewerb am stärksten dasteht.Sein Ansehen kann sich als hilfreich erweisen bei der Lösung kniffliger politischer Probleme wie die Beziehungen der EU zur Türkei.Wenn er über die Reduzierung der Arbeitslosigkeit durch eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes spricht, kann Blair seine Forderung mit Zahlen untermauern, um die alle anderen großen Staaten der EU die Briten beneiden: Die Arbeitslosigkeit beträgt nach Regierungsangaben 5,1 Prozent, nach Berechnung der OECD 6,5 Prozent.Blair weiß eine solide parlamentarische Mehrheit hinter sich und hat in einigen wichtigen Fragen auch die Unterstützung einiger politischer Schwergewichte unter den Konservativen. Der Spielraum für EU-Präsident Tony Blair bleibt dabei begrenzt.In Deutschland stehen die Bundestagswahlen an; tiefgreifende Reformen wird es dort nicht geben.Und während es Blair möglicherweise gelingen könnte, dem Wort "Europa" den für die britischen Wähler unangenehmen Klang zu nehmen, dürfte es unendlich viel schwerer sein, die europäischen Partner zu bewegen, auf seinen Rat zu hören.Das zeigte sich in aller Deutlichkeit, als Blair versuchte, für Großbritannien einen Platz am Tisch des Euro-X-Rates zu sichern, an dem die Mitglieder der Währungsunion ihre Wirtschaftspolitik außerhalb der üblichen Runde der Wirtschafts- und Finanzminister koordinieren.Er wurde mit vagen Versicherungen nach Hause geschickt, Großbritannien würde informiert, wenn "gemeinsame Interessen" berührt würden.Es wird sich wohl erweisen, daß Blair mit seiner Auffassung Recht behält, daß es sich am Ende als die bessere Politik erweisen wird, daß volles Engagement für die Europäische Union dem nationalen Interesse mehr dient als Blockadepolitik.In seiner Verantwortung liegt es, in den Institutionen, mit denen Großbritannien eng verzahnt ist, die Neigung zu bürokratischem Zentralismus zu dämpfen.

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