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Wirtschaft: Prestige über alles

Kein Konzern leidet so sehr unter dem Einfluss der Politik wie EADS. Das Proporzdenken der Europäer erschwert die Sanierung

Paris/Berlin - Es sei schwierig, klagte Gerhard Puttfarcken. Händeringend suche man 600 Ingenieure für die hiesigen Airbus-Fabriken, berichtete der Deutschland-Chef des Flugzeugherstellers. Doch trotz hoher Arbeitslosigkeit finde sich hier auf die Schnelle niemand, deshalb müsse man sich wohl im Ausland nach Personal umsehen.

Das war im Juni. Von Arbeitskräftemangel redet bei Airbus heute niemand mehr. Die 20 000 Beschäftigten zwischen Nordsee und Schwäbischer Alb zittern um ihre Jobs. Auch die restlichen 35 000 Arbeiter der drei übrigen Airbus-Länder – Frankreich, Spanien, Großbritannien – sind aufgeschreckt. Die Entwicklungsprobleme beim Großflugzeug A380 haben Airbus und den Mutterkonzern EADS in eine ernste Krise gebracht. Mit fünf Milliarden Euro wird die verspätete Auslieferung des Jets die EADS-Kasse bis 2010 belasten. Doch bei der Frage, wie das Unternehmen diese Last schultern soll, stehen ihm seine Struktur und seine Geschichte (siehe Kasten) im Weg.

Seit der Gründung 1970 ist Airbus ein Spielball der Politik. Vor allem für Frankreich ging es bei dem Projekt immer um nationales Prestige. In der Hochtechnologie Flugzeugbau von Amerika unabhängig zu sein, war erklärtes Ziel in Paris. Über Staatsunternehmen wie Aérospatiale trieb der Elysée-Palast die Entwicklung voran - und leitet daraus unverhohlen einen Führungsanspruch ab, auch nach der Fusion der europäischen Luftfahrtfirmen im Jahr 2000 zum Kunstgebilde EADS.

Selbst hochrangigen Gästen aus Bonn und Berlin bedeuten die Franzosen stets selbstbewusst, dass das Wachstum von Airbus gefälligst in Toulouse stattzufinden habe. „Die führen einen dann in die oberste Etage mit der besten Aussicht und erklären, wie viel Platz die Ländereien für eine Expansion noch bieten“, berichtet ein Insider. Niemand an der Seine versteht es daher jetzt als Versprecher, wenn Finanzminister Thierry Breton erklärt, Frankreich stehe voll hinter der „französischen“ Luftfahrtindustrie.

Doch auch für die Deutschen waren Airbus und EADS nie normale Industriefirmen. Das liegt nicht nur an der Produktpalette: Flugzeuge, Satelliten, Weltraumraketen, Lenkwaffen, Hubschrauber, Kampfjets. Es geht um Stellen und um Steuereinnahmen aus einer der letzten Wachstumsbranchen des Kontinents. Zudem steckt eine Menge Geld in dem Projekt. Allein von den zwölf Milliarden Dollar, die die Entwicklung des A380 gekostet hat, haben Europas Politiker ein Drittel über Kredite und Bürgschaften zugeschossen. In Hamburg stellten sie obendrein für den Bau neuer Fabrikhallen mehr als 700 Millionen Euro bereit – und schütteten das größte Süßwasserwatt Europas zu.

Das Vorhaben Daimler-Chryslers, seinen EADS-Anteil von einst 30 Prozent bald auf die Hälfte zu reduzieren, sorgt daher für Alarmstimmung in der deutschen Politik. Erhöhen die Russen ihren Anteil bis hin zu einer Sperrminorität, gewinnt ein Land von außerhalb der Nato maßgeblichen Einfluss auf den Rüstungslieferanten. Kaufen die Franzosen zu, gerät das mühsam austarierte deutsch-französische Gleichgewicht in Gefahr. Auch die Spanier wollen ihren Anteil von 5,4 auf zehn Prozent erhöhen. In allen Fällen könnte Airbus auf Kosten deutscher Werke saniert werden.

Da wird Berlin lieber selbst aktiv und prüft einen Einstieg der KfW-Bankengruppe bei EADS. Auch die Länder-Ministerpräsidenten und sonst liberale Wirtschaftslobbyisten wie Nordmetall-Chef Thomas Klischan fordern einen Einstieg zur, wie er sagt, „Sicherung eminent wichtiger deutscher Interessen“. Andere widersprechen. Für die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) wäre der Schritt „eine ordnungspolitische Katastrophe“. „Das eigentliche Ziel der Regierung müsste es sein, den Einfluss Frankreichs zurückzudrängen“, sagte SdK-Sprecher Michael Kunert dieser Zeitung. Es sollten „betriebswirtschaftliche und keine politischen Entscheidungen getroffen werden“. Der Einfluss der Politiker habe die Produktionskosten erst in die Höhe getrieben. „Es ist nicht einzusehen, warum die Aktionäre jetzt die Zeche zahlen sollen.“

Für Private sei die Firma nicht ohne Reiz, findet Marc Förstemann, Branchenexperte bei der Unternehmensberatung AT Kearney. „Für Pensionsfonds wäre EADS als sicherer und wertstabiler Konzern eine interessante Sache“ – nach Bereinigung der A380-Krise. Ebenso könnten Partner aus der Industrie Interesse finden. Auch Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) gehört, anders als Edmund Stoiber und Angela Merkel, zu den Skeptikern. „Eine Beteiligung der KfW würde die Sanierung erschweren“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Die Restrukturierung müsse unter industrieller Führerschaft erfolgen.

Kommt es dazu nicht, sehen Fachleute schwarz. „Wenn die Politik noch mehr Macht bekommt, ändert sich nichts an der unwirtschaftlichen Airbus-Struktur. Das wäre fatal“, sagt Berater und Luftfahrtexperte Heinz Grossbongardt. Die hohe Zahl der Standorte und die Doppelstrukturen blieben bestehen. „Airbus muss vor allem die Fertigungstiefe reduzieren und schlanker werden.“ Derzeit produziere man noch Bauteile selbst, „die an jeder Ecke zu kaufen sind“. Hier sei Boeing das weltweite Vorbild. „Die kaufen Komponenten rund um den Erdball ein.“ Um dahin zu kommen, „müssen sich die Politiker endlich zurückziehen“. Bis Airbus ähnlich effizient aufgestellt sei wie die US-Konkurrenz, vergehen „mindestens acht bis zehn Jahre“.

H.-H. Bremer[C. Brönstrup], C. Visser

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