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Wirtschaft: Proben für die große Koalition der Reformer

Was CDU und SPD von morgen an in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik gemeinsam machen könnten – und wer sie bremst

Von Cordula Eubel,

Antje Sirleschtov

und Ursula Weidenfeld

Bundeskanzler Gerhard Schröder machte am vergangenen Freitag in Hannover nur einen halben Rückzieher: Reformen, so rief der Kanzler den Genossen bei der Abschlusskundgebung zum niedersächsischen Wahlkampf zu, Reformen müssten sein, damit der deutsche Sozialstaat zukunftssicher werde. Aber die Rechte der Arbeitnehmer, die dürften nicht geopfert werden, so wie das „die Anderen“ forderten.

Klar ist: „Die anderen“ werden von diesem Sonntagabend an viel mehr mitbestimmen, als das den Sozialdemokraten, den Grünen und vor allem den Gewerkschaften lieb sein kann. Um 18 Uhr 01 werden aus alten Feinden Co-Manager, aus Feindbildern diskussionswürdige Politikkonzepte. Die Verbündeten dürften dagegen an den Rand rücken, wenn Union und Sozialdemokraten gemeinsam Reformpolitik machen müssen.

Den ersten Praxistest für die Reformfähigkeit der faktischen großen Koalition wird es schon im Februar und März geben. Dann müssen Bundestag und Bundesrat über das Steuerpaket von Finanzminister Hans Eichel (SPD) abstimmen. 3,6 Milliarden Euro Mehreinnahmen für die Haushalte von Bund und Ländern soll das Steuervergünstigungsabbaugesetz bringen, von dem Unions-Finanzexperte Friedrich Merz sagt, es sei „eine Ansammlung von 48 Steuererhöhungen“, die die Union in der Länderkammer „selbstverständlich ablehnen“ werde.

Doch wie sollen die dann entstehenden Haushaltslöcher beim Bund und den Ländern geschlossen werden? Allein die Einführung einer Mindestbesteuerung für Kapitalgesellschaften – mit einem mittelstandsorientierten Vorzeichen – will die Union aus Eichels Paket genehmigen. Viel zu wenig, um die Differenz von Einnahmen und Ausgaben zu decken. Die Mehrwertsteuer erhöhen? Gerade haben sich alle Parteien im Bundestag dagegen ausgesprochen. Und doch: Es wäre zwar ein unpopulärer Schachzug. Aber er passt ins politische Konzept von SPD, Grünen und Union. Und: Man könnte ihn mit der Senkung der Lohnnebenkosten begründen – ein Ziel, das alle verfolgen. Doch wer soll diesen Weg zuerst beschreiten?

„Wir reden im Bundesrat über alles oder nichts“, sagte Merz vergangene Woche. Mit Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) ist sich Merz weitgehend einig. Nur, dass beide eine Lösung finden müssen, wie sie die Gegner im eigenen Lager zur Ruhe bringen: Kündigungsschutz, Mitbestimmung, Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Das sind Tabuthemen für gewerkschaftsnahe Sozialdemokraten und die Unions-Sozialisten. Auch Gesundheit und Rente werden völlig neu angeguckt werden. Und da wird es richtig kompliziert: Auf der Regierungsseite gibt es nicht nur Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die am Donnerstag ihre Strukturreform präsentieren will. Es gibt auch noch die Sozialpolitiker im Kanzleramt – und es gibt die Rürup-Kommission, die im Auftrag des Bundeskanzlers Reformideen entwickeln soll.

„Effilierscheren heben“, lautet Schmidts Credo. Wie allerdings die Einnahmen langfristig stabilisiert werden können, sieht Schmidt nicht als ihre dringendste Aufgabe. Klar ist: Schmidt will auf keinen Fall die solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer antasten. Genau diese Gedanken aber sind in der Rürup-Kommission populär. Schon jetzt fallen viele Stichworte, an denen die Gesundheitsministerin zu knabbern hat: Kopfabschlagen statt des lohnabhängigen Krankenkassenbeitrags, den Arbeitgeberbeitrag einfrieren, die beitragsfreie Familienmitversicherung prüfen. Ob die Kommissionäre das Schmidt–Konzept für tragfähig halten, wird die Ministerin am Donnerstag schnell wissen. Bevor sie es der Öffentlichkeit präsentiert, muss sie es der Kommission vorstellen. Geht ihr Konzept nicht weit genug, wird „die Sache aus dem Kanzleramt gesteuert“, war in der vergangenen Woche eben dort zu hören.

Mit wem müssen all die sozialdemokratischen Sozialpolitiker verhandeln? Auf der Unions-Seite hält sich der CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer mit Festlegungen noch zurück. Klar aber ist, dass er jedenfalls bis zum kommenden Herbst und den bayerischen Landtagswahlen die Gesundheitspolitik der Union bestimmen wird. Seehofer lässt sich nur so viel entlocken: Die Union wolle über ein Gesamtkonzept debattieren - und nicht Strukturen (Schmidt) und Finanzen (Rürup) als getrennte Gesetzespakete im Bundestag behandeln. Außerdem müsse die Eigenvorsorge der Patienten gestärkt werden, formuliert Seehofer bewusst nebulös. Und das heißt: Die Union will erst die verschiedenen Lager in der Regierung zu einem gemeinsamen Konzept zwingen, bevor sie selbst aus der Reserve kommt.

Widerständler an den Rand drängen

Einig sind sich die neuen Freunde allerdings darin, dass sie Störungen des Reformwerks nicht dulden wollen. Vor allem die Sozialdemokraten werden dazu einen schmerzhaften Ablösungsprozess von den Gewerkschaften versuchen müssen. Noch sind vor allem die Arbeitnehmervertreter von der IG Metall und Verdi zuversichtlich, dass sie die SPD zurück auf den traditionellen Kurs zwingen können. Doch das Zutrauen schwindet: Selbst im allgemeinen eher reformerische Gewerkschaftschefs schicken nun eine Warnung nach der anderen nach Berlin. Die Botschaft: Eine Wiederauflage der außerparlamentarischen Opposition.

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