zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Profitable Partnerschaft

Viel Markt oder viel Staat: Die Kandidaten streiten – doch eines ist sicher: Polen und Deutschland bleiben wichtige Handelspartner

BETEILIGT SICH AN UNTERNEHMEN: BMP

Die Berliner Beteiligungsgesellschaft BMP ist seit 1998 in Polen tätig. Bei ihrer hundertprozentigen Warschauer Tochter arbeiten zwei Mitarbeiter – unterstützt von einem Geschäftsführer, der zwischen Polen und Deutschland hin und her pendelt. „Polen ist ein interessanter Markt für uns, da es dort viele junge Unternehmen gibt, an denen wir uns beteiligen können“, sagt Sprecherin Corinna Riewe. Auch der Kapitalmarkt sei sehr attraktiv. Ein weiterer Grund für das Engagement sei der hohe Verflechtungsgrad zwischen den beiden Ländern. Acht Projekte hat BMP im Nachbarland bereits finanziert. Momentan gibt es Beteiligungen an drei Unternehmen – unter anderem an K2, einer der erfolgreichsten polnischen Online-Agenturen und an dem landesweit führenden Finanzportal Bankier. BMP ist in beiden Ländern börsennotiert. jul

POLNISCHE FIRMA RETTET

DEUTSCHEN BADEWANNENHERSTELLER

Der ungewöhnliche Firmenkauf sorgte im Sommer für grenzüberschreitende Schlagzeilen. „Polen kaufen deutsche Fabrik und retten Arbeitsplätze!“ vermeldete Polens Wochenmagazin „Przeglad“ die Übernahme des Kreuznacher Badewannenherstellers Hoesch durch die polnische Sanplast. Tatsächlich hatte der traditionsreiche Hersteller von Luxus-Wannen bereits im April trotz solider Auftragslage wegen zunehmender Finanzprobleme Insolvenz anmelden müssen . Nur dank des im Juli besiegelten Einstiegs der Polen blieben alle 358 Arbeitsplätze erhalten . Mit einem Jahresumsatz von rund 60 Millionen Euro ist Sanplast heute in Osteuropa Marktführer für Duschkabinen und Badewannen der mittleren und unteren Preisklasse. Die Übernahme der Hoesch Gmbh ist eine ideale Ergänzung . Hoesch sei der „Bentley der Sanitär-Industrie“ freut sich Sanplast-Chef Wieslaw Podraza über den Einstieg im Nachbarland.tro

Wenn an diesem Sonntag in Warschau ein neuer Präsident gewählt wird, dann wird auch die Wirtschaftspolitik einen neuen Kurs einschlagen. Denn die Ökonomie bestimmte nicht nur den Stimmenstreit beim Parlamentswahlkampf im September, sondern auch das jetzige Rennen um den Präsidentschaftssessel.

Mit Lech Kaczynski und Donald Tusk treten die Chefs der beiden Parteien gegeneinander an, die die Parlamentswahl Ende September haushoch gegen die Linken gewonnen haben. Tusks Bürgerplattform (PO) und Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sind seit langem miteinander verbündet und wollen gemeinsam die nächste Regierung bilden. Die Partei, die die Präsidentschaftswahlen gewinnt, wird auch den wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung maßgeblich beeinflussen. Einig sind sich die konservativen Partner in wirtschaftlichen Fragen keineswegs. Während die rechtsliberale PO auf das freie Spiel der Kräfte setzt, plädiert die nationalkonservative PiS für einen starken Staat. Er sei gegen ein Polen, wo „die Reichen reicher und die Armen ärmer“ werden, zog Kaczynski im Wahlkampf gegen die „liberalen Experimente“ seines Konkurrenten zu Felde. Das beste Rezept gegen die Arbeitslosigkeit von 18 Prozent sei die Verbesserung des Investitionsklimas, stritt umgekehrt Tusk für eine Senkung der Steuerlast. Die von der PO geforderte Einführung einer „Flat tax“ mit einem Einheitssteuersatz von 15 Prozent lehnt die PiS jedoch ab. Stattdessen macht sich Kaczynski für staatliche Programme zur Senkung der Arbeitslosigkeit stark. Der Wahlkampf habe verdeutlicht, dass die Gräben innerhalb des bürgerlichen Lagers „noch größer“ als die Unterschiede zur abgewählten Linken seien, klagt Waldemar Kuczynski, einst Wirtschaftsberater des konservativen Ex-Premiers Jerzy Buzek.

Bis Ende des Monats will der designierte Premier Kazimierz Marcinkiewicz (PiS) seine Kabinettsmannschaft vorstellen. Die PO hegt die Hoffnung, dass die PiS ihre ordnungspolitischen Vorstellungen vor allem im Justiz- und Innenressort zu realisieren versucht – und dem fast gleich starken Partner dafür das Feld der Wirtschaftspolitik überlässt.

Während deutsche Unternehmer dennoch ein schlechteres Klima für deutsche Firmen in Polen bei einem Wahlsieg der PiS fürchten (siehe Interview), versichern die PiS-Politiker selbst unisono, das antideutsche Wahlkampf-Getöse von Kaczynski werde für die Wirtschaftsbeziehungen zum Nachbarland keine Rolle spielen. „Schließlich ist Deutschland unser wichtigster Handelspartner“, sagt der Abgeordnete Antoni Mezydlo.

Tatsächlich ist der Handelsfluss zwischen beiden Staaten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen: Ein Drittel der polnischen Exporte geht nach Deutschland, ein Viertel der Importe beziehen die Polen von den Deutschen. Auch die Auslandsinvestionen zwischen Oder und Bug sind im letzten Jahr um fast ein Viertel angezogen: Auf der Rangliste ausländischer Direktinvestoren in Polen belegt Deutschland hinter Frankreich, den Niederlanden und den USA den vierten Rang.

Während seit dem EU-Beitritt kleinere Unternehmen aus dem Westen nach Osten drängen, verlagern die Großkonzerne verstärkt ihre Dienstleistungszentren nach Polen. Vorbei sind die Zeiten, als ausschließlich die überlastete Hauptstadt Warschau als Verwaltungs-Mekka galt. Die neuen Buchhaltungszentren internationaler Multis in Lodz, Krakau oder Breslau künden von einer zunehmenden Regionalisierung der Investitionen.

Der Zutritt zum gemeinsamen Markt hat nicht nur Polens Lebensmittelindustrie, sondern auch exportorientierten Betrieben und Logistikunternehmen satte Zuwachsraten beschert. Mit 5,3 Prozent wies Polen 2004 neben den baltischen Staaten die höchste Wachstumsrate der EU auf. Höhere Absatzpreise durch die größere Auslandsnachfrage, Modernisierungszuschüsse und Direktbeihilfen aus Brüssel haben Polens starkem Bauernstand zu einem Modernisierungsschub verholfen. Selbst die Lage der Montan-Industrie hat sich dank des chinesischen Nachfrage-Booms merklich entspannt.

Doch das durch den EU-Beitritt steigende Preisniveau macht Polens einkommensschwächeren Schichten zu schaffen. Zudem haben selbst die anziehende Konjunktur und die vollständige Öffnung der Arbeitsmärkte in Großbritannien, Schweden und Irland dem Land noch keine merkliche Senkung der hohen Arbeitslosigkeit beschert. Zum einen drängen weiter die geburtenstarken 80er-Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt. Zum anderen bemühen sich die Firmen um zusätzliche Kostensenkungen und bauen Personal weiter ab.

Der im Westen befürchtete Massen-Exodus polnischer Arbeitsloser ist nach dem EU-Beitritt allerdings ausgeblieben. Es sind oft Ingenieure, Ärzte und Handwerker, die die Aussicht auf ein deutlich verbessertes Gehalt vor allem nach England lockt. Heimische Unternehmer klagen bereits über einen Mangel an geeigneten Facharbeitern. Nicht nur Ingenieure, sondern auch Maurer und Fliesenleger seien immer schwerer zu finden, berichtet Arkadiusz Litwinski, Vize-Chef des Stettiner Baukonzerns Calbud.

PIONIER ALBA

1995 konnte man auf dem polnischen Markt noch Pionier spielen. Als sich das Berliner Entsorgungsunternehmen Alba dorthin wagte, war der EU-Beitritt des Landes noch Jahre entfernt. Heute ist die mittelständische Firma an 22 Standorten mit Gesellschaften oder Niederlassungen vertreten und beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter. Alba sammelt in Polen insgesamt 230000 Tonnen Wertstoffe pro Jahr und bereitet diese auf. Damit gehört Alba zu den führenden privaten Entsorgungs- und Recyclingunternehmen im Land. Der Jahresumsatz in Polen von derzeit 57 Millionen Euro soll sich bis 2009 auf rund 100 Millionen Euro steigern. Im Mai dieses Jahres kündigte die Gruppe an, ihr Engagement auf dem polnischen Entsorgungs- und Recyclingmarkt noch verstärken zu wollen. jul

LEBENSMITTELTESTS AUS BERLIN

Noch müssen die polnischen Kunden ihre Lebensmittelproben nach Berlin schicken, um sie auf Verunreinigungen, Allergene oder Salmonellen untersuchen zu lassen. Doch das soll sich bald ändern. Matthias Kuhn, Chef der Biotechnologieunternehmens Congen aus Berlin-Buch, ist auf der Suche nach polnischen Partnerlaboren . Die kleine, zwölf Mitarbeiter starke Firma hat einen molekularbiologischen Test für Lebensmittel und Agrarrohstoffe entwickelt. Der Bedarf jenseits der Grenze ist groß: Polen ist ein großer Lebensmittelproduzent, hat aber oft noch Schwierigkeiten, die Qualitätsstandards der EU zu erreichen. Die strenge Einhaltung dieser Standards ist aber Voraussetzung, um Wurst und Käse aus Polen in der EU verkaufen zu können. Kuhn erwartet daher starkes Wachstum im Nachbarland. pet

BUSSE FÜR DIE BVG

Vom kleinen Familienbetrieb hat sich Polens Bus-Hersteller Solaris Bus & Coach SA längst zu einem der erfolgreichsten Exporteure des Landes gemausert. Seine Jahresproduktion will das im Juli in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Unternehmen 2005 von 480 auf 720 Niedrigflurbusse erhöhen. 80 Prozent der Produktion des polnischen Marktführers gehen in den Export , vor allem nach Deutschland und Frankreich. Die Niedrigflur-Busse rollen bereits in über 30 deutschen Städten über die Straßen: Allein Berlin hat 250 der im westpolnischen Bolechowo produzierten Busse geordert. 1994 hatte Firmenvater Krzystof Olszewski ein selbstständiges Vertriebsbüro für die zu MAN gehörenden Neoplan-Busse in Polen gegründet. 1996 entstand die eigene Produktionsstätte in Bolechowo. 2001 übernahm Olszewski 2001 die restlichen Anteile von Neoplan und benannte die Firma in Solaris Bus um. tro

SPRIT FÜR BERLINER AUTOFAHRER

Der größte polnische Ölkonzern PKN Orlen ist seit 2003 auch in Deutschland aktiv. Die erste Tankstelle wurde in Berlin eröffnet. Insgesamt fast 500 Stationen – unter den Marken Orlen und Star – betreibt das Unternehmen und hat hier zu Lande etwa 2600 Mitarbeiter . Der bundesweite Marktanteil liegt bei knapp drei Prozent. In Polen ist der Konzern mit 2000 Tankstellen und 6500 Mitarbeitern Marktführer. Orlen hatte nach der Jahrtausendwende die Gelegenheit für den Einstieg in Deutschland genutzt, die sich durch zwei große Fusionen bot. Die Tankstellenbetreiber BP und Aral sowie Shell und Dea hatten sich jeweils zusammengetan. Das Kartellamt machte aber für eine Genehmigung den Verkauf von Tankstellen zur Bedingung, um ein zu großes Gewicht der Konzerne auf dem deutschen Markt zu verhindern. Orlen erwarb ein Paket aus vornehmlich nord- und ostdeutschen Stationen. Seitdem versucht der Konzern, weitere Tankstellen zu übernehmen, denn im Vergleich zum hiesigen Marktführer Aral mit rund 2600 Tankstellen ist Orlen in Deutschland noch klein. hop

Thomas Roser[Warschau]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false