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Wirtschaft: Prozyklisches Anlageverhalten: Schwankende Kurse sind kein Zufall

Analysten und Fondsmanager, das haben der rasante Kursaufschwung von November 1999 bis März 2000 und der folgende Absturz in diesem Jahr gezeigt, handeln oft prozyklisch. Sie verstärken mit ihren Empfehlungen beziehungsweise ihrem Anlageverhalten die Trends noch und sind damit wesentliche Verursacher der Übertreibungen.

Analysten und Fondsmanager, das haben der rasante Kursaufschwung von November 1999 bis März 2000 und der folgende Absturz in diesem Jahr gezeigt, handeln oft prozyklisch. Sie verstärken mit ihren Empfehlungen beziehungsweise ihrem Anlageverhalten die Trends noch und sind damit wesentliche Verursacher der Übertreibungen. Etliche Experten sagen, die Privatanleger sollten nur sehr gute Aktien kaufen von Unternehmen, deren Geschäftsmodell und Marktaussichten sie verstehen. Dabei müssen sich manche der Experten an die eigene Nase fassen angesichts der vielen Fehleinschätzungen. Denn die Analysten haben offenbar oft zu sehr den Unternehmensprognosen vertraut, nur die positiven Aspekte gesehen und die Risiken völlig unbeachtet gelassen.

Bei den Ursachen der Kursübertreibungen spielen zwei Punkte eine wichtige Rolle, die Privatanleger und Experten einmal kritischer hinterfragen sollten: das Benchmarking und die Charttechnik. Besonders Fondsmanager stehen unter dem Druck des Benchmarking. Sie messen sich an den für ihre Fondsstruktur maßgeblichen Börsen- oder Branchenindizes (Benchmarks) und natürlich mit den konkurrierenden Fonds. Da will offenbar keiner versäumen, an einem Kursaufschwung wie bei der Deutschen Telekom auf 104 Euro oder bei Intershop auf 135 Euro nicht bis zuletzt mitverdient zu haben - um je einen Dax- und einen Neuer-Markt-Wert als Beispiele herauszugreifen. Man will sich von den Anlegern offenbar nicht vorhalten lassen, eine Chance verpasst zu haben. Schließlich bieten viele Anlegermagazine und Tageszeitungen so genannte Fonds-Rankings, und wer da in der Rendite-Tabelle weiter unten steht, verliert den Kampf um die Anlegergelder und steht unter Rechfertigungszwang. Es lässt sich hinterher offenbar einfacher rechtfertigen, wenn man beim Kursgipfel dabei war und der Kurs dann umso stärker abstürzt: Schließlich haben es die anderen Fondsmanager auch nicht besser gewusst.

So wollen auch viele Analysten bei gut laufenden Aktien nicht mit eigenen Kaufempfehlungen hinten anstehen und springen auf den fahrenden Zug auf. Auch wenn dieser eine wahnwitzige Geschwindigkeit aufnimmt - sprich: die Aktie eine Kursexplosion erlebt und das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf schwindelnde Höhen steigt - wird weiter zum Kauf empfohlen.

Tatsache ist, dass Analysten und Fondsmanager - auch durch Gespräche mit Unternehmensvorständen - viel besser über die Unternehmen, deren Geschäftskonzept und Managementqualität sowie die Marktaussichten informiert sind als "Otto Normalanleger". Tatsache ist aber offenbar auch, dass sie entweder mögliche Risiken nicht antizipieren oder dies zumindest viel zu wenig nach außen kommunizieren oder - aus oben genannten Gründen - einfach beiseite wischen.

Eine weitere Achillesferse der Börsen ist die wachsende Bedeutung der Charttechnik. Was passiert am Markt, wenn sich sehr viele - vor allem große - Investoren nach der Chartanalyse richten und auf Kauf- und Verkaufssignale mit den entsprechenden Orders reagieren? Je mehr Investoren dies tun, umso stärker werden die bereits vorhandenen Trends noch verstärkt. Da die Chartanalyse im Wesentlichen keine weit differierenden Interpretationen zulässt, also relativ klaren Regeln folgt, tun alle das Gleiche - an einem bestimmten Kursmarken kaufen oder verkaufen.

Der Herdentrieb der Anleger muss auch bei einer anderen weit verbreiteten Empfehlung kritisch unter die Lupe genommen werden: dem Rat der Experten, Stop-Loss-Marken zu setzen. Das heißt, man hat eine Aktie beispielsweise zum Kurs von 100 gekauft, gibt aber gleichzeitig der Bank die Order, die Aktie sofort zu verkaufen, sobald der Kurs eine bestimmte Marke unterschreitet - zum Beispiel bei 85 oder bei 80 Euro. Dahinter steckt die Idee, Verluste zu begrenzen und nicht zu lange an Fehlinvestitionen festzuhalten. Aber wenn sehr viele Anleger nach dieser Strategie vorgehen, kann sich eine Kursschwäche, die sonst vielleicht vorübergehend wäre, automatisch weiter verstärken - auch wenn dies fundamental nicht gerechtfertigt ist. Die von verschiedenen Investoren je nach Einstiegskurs an unterschiedlichen Marken gesetzten Stop-Loss-Orders drücken den Kurs immer weiter nach unten. Gibt das nicht eine Abwärtsspirale, auch wenn sich an der positiven Einschätzung des Unternehmens nichts geändert hat? Durch den Kursverfall werden teilweise auch die Anleger verunsichert, die aus fundamentalen Gründen an der Aktie eigentlich festhalten wollen.

Die Abwärtsspirale des Kurses bestätigt zwar vordergründig diejenigen, die sagen, mit Stop-Loss könne man die Verluste minimieren beziehungsweise in Grenzen halten. Aber würden ohne die Stop-Loss-Automatik (und andere Chartsignale) solch massive Kursverluste überhaupt auftreten? Hinter alldem steckt letztlich die Annahme, dass die Märkte rational sind, also die Mehrheit der Anleger (in erster Linie die großen Institutionellen wegen ihres größeren Ordervolumens) richtig liegt und im Kurs alle relevanten Informationen bereits enthalten sind. Für kurze Zeiträume darf man dies aber durchaus bezweifeln - manchmal sorgt eben eine gehörige Portion Irrationalität für Kurskapriolen. Je verbreiteter bestimmte Anlagestrategien sind, umso gleichgerichteter handeln viele Anleger und umso stärker werden die Kursübertreibungen nach oben wie nach unten.

Bernd Frank

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