zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Purzelpreise können der Wirtschaft schaden Der Handel will mit dem Winterschlussverkauf die Konsumlaune heben – Experten haben Zweifel

Berlin. Ab heute locken Kaufhäuser wieder mit „Spar-Spaß wie nie“ und versprechen für Mützen, Handschuhe und Daunenjacken Nachlässe von bis zu 70 Prozent.

Berlin. Ab heute locken Kaufhäuser wieder mit „Spar-Spaß wie nie“ und versprechen für Mützen, Handschuhe und Daunenjacken Nachlässe von bis zu 70 Prozent. Doch ob es der Einzelhandel schafft, mit dem Winterschlussverkauf die miese Konsumlaune zu beleben, ist fraglich. Fachleute befürchten, dass der in der Geschichte einmalige Rabattwettlauf die Menschen eher vom Shoppen abhält. Und dass der Kaufstreik die Wirtschaftsschwäche in Deutschland verlängert und schlimmstenfalls sogar zu einer gefährlichen Deflation führt.

„Die Rabattflut verunsichert die Bürger“, sagt Wolfgang Twardawa, Marketing-Experte bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg. „Ihnen geht das Gefühl für den echten, fairen Preis eines Produktes verloren – und sie wundern sich, warum sie in der Vergangenheit deutlich mehr für den gleichen Artikel bezahlen mussten.“ Ohnehin hätten sich die Deutschen mehr als ein Jahr nach der Euro-Umstellung noch nicht an die Schwellenpreise des neuen Geldes gewöhnt. „Die Leute schieben größere Anschaffungen deshalb auf die lange Bank.“

Mit der Angebotsschlacht schade sich der Einzelhandel selbst, glaubt auch der Konsumpsychologe Dirk Ziems vom Marktforschungsinstitut IfM Wirkungen und Strategien in Köln. „Die Branche züchtet sich eine negative Stimmung heran“, sagt er. „Geiz ist ungeil. Rabatte haben den Ruch von Ramsch und Wirtschaftskrise. Die Geschäfte sollten lieber darauf setzen, das Einkaufen zu einem Erlebnis zu machen – das würde auch die Wertigkeit der Produkte erhöhen und mehr Umsatz bringen“, sagt Ziems.

Der Handel lässt stattdessen lieber die Preise purzeln – das könnte aber bald nicht nur die Geschäfte, sondern auch die gesamte Volkswirtschaft in die Tiefe ziehen und eine Deflation auslösen. „Die Gefahr ist akut“, warnt Gustav Horn, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Dann bekommen wir womöglich japanische Verhältnisse.“ In dem fernöstlichen Land fallen seit drei Jahren die Preise, die Wirtschaft liegt am Boden.

Eine Deflation ist eines der schlimmsten Szenarien, das sich Wirtschaftsforscher vorstellen können. Sinken nur einzelne Preise, ist das normal in einer Marktwirtschaft. Bröckelt aber das Preisniveau auf breiter Front, kann das über lange Zeit die Wirtschaftsleistung empfindlich schmälern. Denn das bedeutet, dass nahezu alle Unternehmen, kleine wie große, auf ihren Waren und Dienstleistungen sitzen bleiben. Zusätzlich drückt die Schuldenlast stärker, denn bei einer Inflation von zum Beispiel drei Prozent lassen sich Kredite leichter bedienen als bei sinkenden Preisen. Deshalb muss die Wirtschaft sparen, kürzt Gehälter, entlässt Personal. Folge: Die Arbeitslosigkeit steigt – und die Nachfrage nimmt immer weiter ab. Die Zahl der Firmenpleiten steigt. Das wiederum bringt die Banken in die Bredouille. Sie bekommen das Geld, das sie verloren haben, nicht zurück und werden deshalb bei der Kreditvergabe immer zögerlicher.

Ein solcher Cocktail würde dafür sorgen, dass sich die deutsche Wachstumsschwäche verfestigt. Ein echter Aufschwung, der alle Deflationssorgen vertreiben könnte, ist nicht in Sicht – selbst Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) erwartet 2003 nur ein um ein Prozent stärkeres Bruttoinlandsprodukt. Zwar schöpften Optimisten vergangene Woche Hoffnung, als das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einer Umfrage überraschende Zuversicht unter Analysten ausmachte. Aber: „Es ist zu früh, deshalb schon den Aufschwung auszurufen“, sagt Ulrich Beckmann, Ökonom bei der Deutschen Bank. Auch neue Zahlen über wieder steigende Preise beruhigen ihn nicht. „Für die Inflationsrate von 1,1 Prozent gegenüber Januar 2002 haben vor allem die höheren Energiepreise und die gestiegenen Steuern gesorgt. Rechnet man beides heraus und kalkuliert man den statistischen Messfehler von mehr als einem halben Prozent ein, stecken wir schon jetzt in einer Deflation.“ Zudem drückt der starke Euro die Importpreise, das teure Öl entzieht Kaufkraft, die Angst vor einem Irak-Krieg verdirbt die Stimmung.

Experten empfehlen deshalb mutiges Gegensteuern, bevor es zu spät ist. „Die Europäische Zentralbank muss die Zinsen rasch um einen halben Prozentpunkt senken“, rät DIW-Experte Horn. Zudem solle die Bundesregierung weniger strikt sparen, um das geringe Wachstum nicht abzuwürgen. Auch der Ökonom Beckmann rät zu einem Politikmix wie in den USA, wo der Staat mit milliardenschweren Paketen versucht, die Wirtschaft zu beleben. Stecke das Land erst einmal in der Deflation, sei es schwer, wieder herauszukommen. „Ein wirksames Gegenmittel kennen wir nicht – eine solche Krise gab es bislang nicht.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false