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Wirtschaft: "Qualifizierung stößt oft an Grenzen"

IW-Konjunkturexperte: Mit der Förderung von Niedriglohnjobs 4,7 Millionen Stellen schaffenDas Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft hat in einer neuen Studie dargelegt, wie 4,7 Millionen Jobs geschaffen werden könnten.Mit dem Geschäftsführer des IW, Franz Josef Link, sprach darüber Vanessa Liertz.

IW-Konjunkturexperte: Mit der Förderung von Niedriglohnjobs 4,7 Millionen Stellen schaffenDas Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft hat in einer neuen Studie dargelegt, wie 4,7 Millionen Jobs geschaffen werden könnten.Mit dem Geschäftsführer des IW, Franz Josef Link, sprach darüber Vanessa Liertz. TAGESSPIEGEL: Im Kern schlägt die neue Studie des IW vor, die Mindestlöhne zu senken.Daß Arbeitslosigkeit so abgebaut werden kann, haben Ökonomen schon im letzten Jahrhundert behauptet.Was also ist neu? LINK: Bisher war das ein vorwiegend theoretisches Argument.Nun können wir das empirisch belegen und damit das Mißverhältnis zwischen Reallöhnen und Produktivität in der deutschen Wirtschaft aufdecken. TAGESSPIEGEL: Damit meint das IW, daß besonders die unqualifizierten Arbeitskräfte überbezahlt sind, nicht wahr? LINK: In der Tat.Bei gering qualifizierten Jobs ist die Lücke zwischen Lohn und Leistung besonders groß. TAGESSPIEGEL: Andererseits verdienen diese Menschen schon heute nicht viel.Wie will man etwa den Durchschnittslohn eines Verkäufers von 3000 DM noch weiter senken? LINK: Rein wirtschaftlich gesehen ist diese Frage irrelevant.Denn ein Arbeitsplatz entsteht nur, wenn er sich für einen Unternehmer rechnet.Natürlich kann der Sozialstaat Flankenschutz bieten. TAGESSPIEGEL: Wie? LINK: Es gibt verschiedene Möglichkeiten.Wenn der Lohn nicht sinken soll, kann ich den Betrieb entlasten, indem ich den Kündigungsschutz lockere oder die Arbeitszeit verlängere.Oder der Staat könnte den Sozialversicherungsbeitrag des Arbeitgebers übernehmen. TAGESSPIEGEL: In Ihrer Studie beziehen Sie sich besonders auf die USA: Dort beträgt der Mindestlohn 39 Prozent des Durchschnitteinkommens, in Deutschland hingegen 55 Prozent.Allerdings müssen sich immer mehr Amerikaner mit zwei oder drei Jobs durchschlagen.Ist das volkswirtschaftlich erstrebenswert? LINK: Nicht als Selbstzweck.Bleibt da aber tatsächlich wenig zum Leben, kann der Staat in die Bresche springen.So könnten Sozialhilfeempfänger deutlich mehr Sozialhilfe behalten als bisher.Wesentlich ist, daß die Lücke zwischen Arbeitsproduktivität und Lohn geschlossen wird. TAGESSPIEGEL: Nach Ansicht der Hans Böckler Stiftung gibt es keine Lücke: Die Tarifabschlüsse in den letzten fünf Jahren sind im Schnitt zugunsten der Arbeitgeber ausgefallen.Während Inflation und Arbeitsproduktivität zusammen um 20 Prozent zunahmen, stiegen die Löhne nur um 10 Prozent. LINK: Das ist so nicht richtig.Die These stimmt nur für die Jahre 1996, 1997 und 1998, weil die Gewerkschaften in diesen Jahren endlich auf die Massenarbeitslosigkeit reagiert haben.Entscheidend ist aber, daß die Mindestlöhne langfristig viel stärker gestiegen sind als die Durchschnittslöhne.Dadurch wurden die gering Qualifizierten ins Abseits manövriert. TAGESSPIEGEL: Die Bundesrepublik ist nach wie vor eines der großen Exportländer der Welt - das haben wir den hochwertigen Produkten zu verdanken, die im wesentlichen hochqualifizierte Arbeitskräfte entwickelt und hergestellt haben.Macht es Sinn, die Niedriglohnarbeitsplätze wieder zu fördern? LINK: Langfristig müssen wir natürlich unsere hochqualifizierten Arbeitsplätze ausbauen.Kurzfristig müssen wir aber den geringqualifizierten Arbeitslosen eine Perspektive bieten.Denn die meisten wollen ja arbeiten und nicht Däumchen drehen. TAGESSPIEGEL: Aber wäre es nicht besser, sie weiterzubilden, statt ihnen Arbeitsplätze als - sagen wir Kistenpacker oder Dienstmädchen - zu beschaffen? LINK: Ich bin für Qualifizierung, aber diese stößt oft an Grenzen.Überdies ist der Eindruck, es gäbe werte und unwerte Arbeit, falsch.Dienstleistungen, das bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes Dienste zu leisten.Das ist etwas anderes als unter Tage oder in der Fabrik zu malochen.Erst wenn wir Deutschen das eine so gut können wie das andere, sind wir am Arbeitsmarkt aus dem Gröbsten heraus.

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