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Vergeblicher Protest. Vor einem Jahr demonstrierten die Versandhaus-Mitarbeiter noch für ihren Arbeitsplatz. Foto: dpa

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Quelle: "Wir waren blauäugig"

Vor einem Jahr meldete Quelle Insolvenz an. Die Krise am Arbeitsmarkt ist ausgeblieben. Ein Besuch bei ehemaligen Mitarbeitern.

Nürnberg - „Arbeitslos - Zeitarbeit – arbeitslos“, sagt Werner Pinterits und zeigt auf die Namensschilder an den Türen. Der ehemalige Quelle-Mitarbeiter geht durch seine alte Abteilung. Die meisten Räume sind leer. Kein Computer, kein Ordner, nicht ein Stift. Nur vertrocknetes Laub liegt auf dem Boden – vermutlich schon seit 19. Oktober vergangenen Jahres, als Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg für Quelle keine Rettung mehr sah. Oder seit dem 15. November, als der Versandhandel für seine Beschäftigten für immer seine Tore schloss: Quelle war Pleite und 4300 Menschen arbeitslos.

20 Jahre war Pinterits beim Fürther Versandhandel angestellt. Er hat sich von einer einfachen Aushilfskraft zum Leiter der Immobilienabteilung hochgearbeitet. Zwölf Vorstände hat er kommen und gehen sehen. Bis zuletzt habe er auf einen Rettungsanker gehofft. Für ihn ging es dennoch weiter: Heute verwaltet er als Selbständiger das leere Versandgebäude.

Ein Leben außerhalb von Quelle? „Für viele war das nicht denkbar“, sagt Pinterits. „Wir waren blauäugig“, sagt Katja Kramer. Sie hat als Auszubildende bei Quelle angefangen und verließ das Unternehmen als Produktmanagerin. In dieser Funktion musste sie vorher noch die Mitarbeiter ihrer Abteilung entlassen. „Mein Chef gab mir eine Liste. Von zwanzig Leuten waren wir am Ende nur noch acht“, sagt sie. Nach dem Aus war Kramer erleichtert: „Der Druck und die Ungewissheit waren endlich weg.“ Und doch sei sie in ein Loch gefallen. „Mich bewerben und auf der Visitenkarte den Firmennamen austauschen? Das konnte ich nicht.“ Kramer meldete sich arbeitssuchend.

Die Arbeitsagentur Nürnberg hatte eine Woche lang eine Miniagentur im Versandhaus eingerichtet. Mehr als zweitausend Mitarbeiter kamen, erzählt Matthias Klar, Sprecher der Arbeitsagentur. 150 Arbeitsvermittler aus ganz Bayern waren damals im Einsatz, einer davon war Peter Pflug vom Arbeitsamt Nürnberg. Die Beratung sei nicht immer leicht gewesen, sagt er. „Man hat Mitgefühl für die Mitarbeiter, will helfen, muss aber Distanz wahren“, erklärt er. Dabei sei es auch zu Reibereien gekommen. „Die Menschen haben zum Teil 20 bis 30 Jahre bei Quelle gearbeitet und wussten wenig über den aktuellen Arbeitsmarkt“, sagt der Vermittler. Viele seien den Luxus von Quelle gewohnt. Pflug riet den Mitarbeitern flexibel zu sein, heißt: sich auf längere Pendelzeiten und niedrigere Löhne einzustellen. Die gute Zeit der Quelle war vorbei.

Für andere sollte sie beginnen. „Was besseres als die Insolvenz hätte mir nicht passieren können“, sagt Katja Kramer. Sie raffte sich auf und ließ sich zur Stylistin weiterbilden. Im August hat sie eine Modeboutique eröffnet. Ins Team holte sie ihre einstigen Einkaufsassistentinnen Sigrid Lutz und Dagmar Bauer. Lutz hatte nach unzähligen Bewerbungen die Hoffnung auf einen Job schon aufgegeben. Die 52-jährige Bauer glaubte, wegen ihres Alters keine Stelle zu finden.

Die befürchtete Krise am Arbeitsmarkt scheint ausgeblieben zu sein. Vor einem Jahr wurde der Region Mittelfranken eine Arbeitslosenquote von zehn Prozent vorausgesagt, heute liegt sie nur bei 5,3 Prozent. Von den ursprünglich 4300 Quelle-Beschäftigten, sind noch 781 ohne Job.

Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly freut sich über diese Zahl. „Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen“, sagt er. „Dabei wissen wir gar nicht genau, warum es vergleichsweise gut gelaufen ist.“ Maly vermutet, dass viele Mitarbeiter nach langer Betriebszugehörigkeit direkt in Rente gegangen sind und sich gar nicht arbeitslos gemeldet haben. Thomas Jung, der Oberbürgermeister von Fürth, glaubt, dass der wirtschaftliche Aufschwung den Absturz vieler in die Arbeitslosigkeit verhindert hat. Die Landesregierung hat die Region mit einem Strukturprogramm von mehr als 100 Millionen Euro unterstützt. Zudem verlagerte sie das statistische Landesamt nach Fürth. Dort seien etwa 100 Quelle-Beschäftigte eingestellt, sagt Jung.

Katja Kramers ehemalige Kollegen sind alle wieder beschäftigt. Weniger Erfolg hatte ein Großteil von Werner Pinterits 70 Mitarbeitern. Der Gang durch seine alte Abteilung macht ihn nachdenklich. „Drei Viertel haben immer noch keinen Job, der Rest schlägt sich mit Zeitarbeit durch oder hat sich selbständig gemacht“, sagt er. Seit knapp einem Jahr führt er Interessenten durch die leeren Gebäude. Einen Mieter gibt es schon. Eine Schule hat im ehemaligen Versandhaus Quartier bezogen. Das ist Pinterits’ Ziel: „Die Quelle wieder mit Leben füllen.“

Severine Weber

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