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Wirtschaft: Quereinsteigerin

Der späte Einstieg in die Wissenschaft ist nicht leicht. Doch wer sich durchbeißt, erhöht nicht nur seine berufliche Qualifikation, sondern auch die Chance auf eine führende Position

Akademiker werden und beruflich aufsteigen ohne Abitur? Das klingt zumindest ungewöhnlich. Doch Jannine Kunz ist auf dem besten Weg dorthin. Nach Haupt- und Realschule, der Ausbildung zur Erzieherin sowie mehr als sieben Jahren Berufspraxis hat die 29-Jährige gerade ihr erstes Semester an der Freien Universität (FU) Berlin hinter sich gebracht. Seit Herbst ist sie im Bachelor-Studiengang „Erziehungswissenschaften: Bildung, Erziehung, Qualitätssicherung“ eingeschrieben.

Die Erzieherin, die später in leitender Funktion arbeiten möchte, ist eine von 55 Studenten, die an der FU ohne Abitur studieren. An anderen Berliner Hochschulen sind es zwar mehr – an der Technischen Universität (TU) 95, an der Humboldt-Universität (HU) 258 und an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) rund 800. Ihr Anteil an den gesamten Studentenzahlen ist allerdings nicht besonders hoch.

Dennoch: Der Bildungszugang wir immer beliebter: Im Jahr 2009 haben sich laut Senatsverwaltung für Wissenschaft 840 Erstsemester ohne Abitur an den Berliner Hochschulen immatrikuliert. Das waren rund ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Und dieser Trend ist politisch gewollt. Denn mit dem Einstieg der Berufstätigen in die Hochschulwelt soll ihre Qualifikation erhöht – und der Fachkräftemangel abgeschwächt werden.

Das sich dieser Schritt beruflich lohnt, ist für die Hamburger Karriereexpertin Svenja Hofert keine Frage. Ein Studium sei grundsätzlich zu empfehlen, um sich beruflich weiterzuqualifizieren. „Quer durch alle Branchen ist gerade in größeren Unternehmen ein Aufstieg nur mit Hochschulabschluss möglich“, sagt sie. Bei kleineren Firmen spiele dieser dagegen eine weniger wichtige Rolle.

Möglich macht diesen Quereinstieg ohne Abitur der Paragraph elf des Berliner Hochschulgesetzes. Demnach können Nicht-Abiturienten ein Studium aufnehmen, wenn sie neben einem Realschulabschluss oder einer gleichwertigen Schulbildung eine für den Studiengang geeignete Berufsausbildung sowie mindestens vier Jahre Berufserfahrung oder einen Meister-, Techniker- oder Betriebswirtabschluss vorweisen können. Die Regel gilt für fast alle Fächern – bis auf die, in denen die Studienplätze über die Stiftung für Hochschulzulassung vergeben werden wie Pharmazie oder Medizin.

Die Hochschulen halten zwar nur eine bestimmte Anzahl von Plätzen für Studierende ohne Abitur frei, an der HU beispielsweise acht Prozent aller Studienplätze, an der praxisnäheren HTW zehn Prozent. Ausgeschöpft aber wird dieses Kontingent aber kaum. Zum einen fehlt es an Bewerbern, zum anderen sieben die Unis ihre Kandidaten penibel aus.

Wer sich etwa an der FU bewirbt, muss neben Zeugnissen und Nachweisen ein ausführliches Motivationsschreiben beifügen und ein Eignungsgespräch mit einem Professor führen. Jannine Kunz hat das Gespräch aber in angenehmer Erinnerung: „Da wird kein Wissen abgefragt, sondern man will nur wissen, ob man genügend Engagement zeigt, um das Studium zu schaffen“, sagt sie.

Zudem achten die Unis genau darauf, ob die frühere Berufstätigkeit zum Studienprofil passt. In den Naturwissenschaften, sagt Rosmarie Schwartz-Jaroß, Referatsleiterin in der HU-Studienabteilung, gelänge das weitaus seltener als in Erziehungs- und den Rehabilitationswissenschaften.

Trotz kritischer Vorauswahl müssen sich die Studenten ohne Abi erst beweisen: In den ersten beiden Semestern sind sie nur „vorläufig“ eingeschrieben. Danach entscheiden die Leistungsnachweise. Nur wer die notwendigen Scheine erbracht hat, darf weiterstudieren.

An der TU können Interessenten testen, ob ein Studium nicht doch zu anspruchsvoll ist, in dem sie im Vorhinein fachnahe Vorlesungen besuchen. An der HTW rät man, sich vor oder neben dem Studium in speziellen Kursen in Englisch, Physik oder Mathematik fit zu machen. „Realschüler hatten Differentialrechnung nicht im Unterricht, sollten diese aber beherrschen, sonst gibt das im Studium große Probleme“, erklärt Studienberater Andreas Raulfs. Allerdings gleichen viele Nicht-Abiturienten fehlendes theoretisches Wissen durch Berufserfahrung und Ehrgeiz aus. „Nicht-Abiturienten sind hoch motiviert und handeln oft nach der Devise jetzt oder nie“, so Raulfs.

Bevor man sich bewirbt, sollte man sich bei der Studienberatung informieren. Svenja Hofert rät, die Motive für das Studium und die Finanzierung zu hinterfragen und gute Argumente dafür zu finden, warum es ein Präsenzstudium – und kein Fern- oder Teilzeitstudium sein soll.

Wer sich dann doch für ein Fernstudium entscheidet, findet je nach Bundesland spezielle Voraussetzungen. So gibt es bei der Fernuniversität Hagen in Nordrhein-Westfalen keine vorläufige Immatrikulation. Zudem können sich im Unterschied zu den Berliner Hochschulen auch jene Studierende ohne Abitur einschreiben, deren Berufswahl keinen Bezug zum angestrebten Studienfach hat. Für diesen Fall ist dann aber entweder ein Probestudium oder eine Zugangsprüfung notwendig.

Für Bachelor-Studiengänge jedoch gelten an Fernhochschulen bundesweit grundsätzlich die gleichen Bedingungen, wie an regulären Hochschulen. Denn auch der Abschluss ist, gleich wo man ihn macht, erst einmal gleich viel wert.

Jannine Kunz hilft, wenn sie sich an der FU gestresst fühlt, dass sie sich keinen Druck macht. „Ich mache mich nicht verrückt, weil ich bereits eine Ausbildung habe, jederzeit in den Beruf zurückkehren kann und ich das, was ich an der Uni gelernt habe, dann gut anwenden kann.“

Mittlerweile gefällt ihr das Studium so gut, dass sie auf den Bachelor noch den Master folgen lassen möchte.

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