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Per Gesetz müssen in größeren Unternehmen mindestens fünf Prozent Behinderte beschäftigt sein.

© p-a/dpa

Quote von fünf Prozent: Viele Firmen zahlen lieber, statt Behinderte einzustellen

Teil einer neuen Firmenstrategie: Die Berliner Firma Megaphon integriert Behinderte beispielhaft. Andere Unternehmen tun sich damit noch schwer.

Von Carla Neuhaus

Marina Ims und ihr Chef, Jannis Tsialtzoudis, nehmen das Leben mit Humor. Und so können sie über folgende Anekdote auch herzhaft lachen. Kürzlich ruft ein Kunde an, Marina Ims stellt ihn zum Chef durch. Prompt fragt der Kunde Tsialtzoudis: „Was für einen Pitbull haben Sie denn da im Vorzimmer sitzen?“ Ein paar Tage später schaut der Kunde persönlich im Büro des Berliner Musikvermarkters vorbei – und steht Marina Ims gegenüber. Ims ist spastisch gelähmt und sitzt im Rollstuhl. „Das ist mein Pitbull“, stellt Tsialtzoudis dem Kunden seine Assistentin vor. „Dem ist die Kinnlade runtergeklappt“, erzählt der Chef heute und lacht. Die Begegnung und Tsialtzoudis’ lockerer Umgang damit, zeigen, wie normal es für den Berliner Unternehmer ist, Behinderte in den Firmenalltag zu integrieren. Etwas, das für andere Unternehmer noch die Ausnahme ist.

Wer nicht einstellt, muss zahlen

Von den 45 Angestellten, die bei dem Berliner Musikvermarkter Megaphon arbeiten, haben etwa zehn eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung. Ob jemand einen Hüftschaden hat, ob er im Rollstuhl sitzt, beschädigte Stimmbänder hat oder „zart zurückgeblieben“ ist – für Tsialtzoudis spielt das keine Rolle. Im Gegenteil. Seiner Erfahrung nach sind Menschen mit Behinderung häufig sogar besonders aufmerksame und loyale Mitarbeiter. „Ich brauche keine EinserKandidaten“, sagt der Firmengründer. „Ich brauche Menschen, die anpacken können und zuverlässig sind.“

Doch so aufgeschlossen gegenüber Mitarbeitern mit Behinderung sind längst nicht alle Unternehmer in Deutschland. Und das obwohl sie – sobald sie mehr als 20 Angestellte haben – gesetzlich dazu verpflichtet sind, mindestens fünf Prozent ihrer Stellen an Behinderte zu vergeben. Tun sie es nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe leisten. Und die Statistik zeigt: Die meisten Firmen kaufen sich frei. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums müssten 146 000 Unternehmen Behinderte beschäftigen – tatsächlich tun es aber nur 35 000. Die übrigen Firmen zahlen jährlich zusammen eine halbe Milliarde Euro als Ausgleich an den Staat.

Geeignete Mitarbeiter sind rar

Auch die Business Technology Consulting AG zahlt: 150 000 Euro kostet die Abgabe den mittelständischen IT-Dienstleister im Jahr. Der Anteil der Mitarbeiter mit Behinderung liegt in der Beratungsfirma bei gut einem Prozent. Das heißt, unter den 1500 Mitarbeitern sind bundesweit gerade einmal etwa 15 Behinderte. Dabei würde die Firma mit Hauptsitz in Oldenburg gerne mehr tun. „Wir würden das Geld, das wir für die Abgabe ausgeben, lieber dafür einsetzen, Menschen mit Behinderung im Unternehmen zu beschäftigen“, sagt Personaler Rüdiger Theobald. Doch geeignete Kandidaten zu finden, sei nicht so einfach.

Seit einem Jahr bemüht sich die Firma darum, mehr Menschen mit Behinderung ins Unternehmen zu holen. Das ist Teil einer neuen Firmenstrategie. 2009 hat sich die BTC der Initiative „Charta der Vielfalt“ angeschlossen und ihr „Diversity Management“ ausgebaut. Damals lag der Fokus zunächst darauf, mehr Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen, später kam die Frauenförderung dazu. Seit einem Jahr konzentriert sich die BTC darauf, zusätzlich mehr Menschen mit Behinderung einzustellen. „Wir tun das nicht aus Gutmenschentum“, sagt Theobald, „sondern weil wir als Arbeitgeber für talentierte Fachkräfte attraktiv bleiben wollen.“

Der Chef ist selber schwerbehindert

Allerdings merkt der Personaler, dass es gar nicht leicht ist, Menschen mit Behinderung fürs Unternehmen zu gewinnen. Die Firma arbeitet mit dem Integrationsdienst zusammen und sitzt in einem Arbeitskreis der Stadt Oldenburg. Dadurch hat die BTC in den vergangenen zwölf Monaten bereits mehr Bewerbungen von Menschen mit Behinderung bekommen – eingestellt hat die Firma von ihnen aber nur zwei. „Die Bewerber müssen zu uns passen – sowohl von ihrer Qualifikation her als auch von ihrer Persönlichkeit“, sagt Theobald.

Es ist ein Satz, den auch der Berliner Unternehmer Jannis Tsialtzoudis so unterschreiben würde. Nur dass er bereits etliche Schritte weiter ist. Gerade ist sein Unternehmen für sein Engagement mit der Franz-von-Mendelssohn-Medaille ausgezeichnet worden, die die Präsidenten der Berliner Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer gestiftet haben.

Dass Tsialtzoudis leichter fällt, womit sich andere Unternehmer schwertun, hat einen Grund: Der Chef ist selbst schwerbehindert. Tsialtzoudis leidet unter Diabetes Typ 1. Über einen Katheter, der mit einer Insulinpumpe in seiner Hosentasche verbunden ist, wird er regelmäßig mit Insulin versorgt. „Meine Krankheit hat mich sensibilisiert“, sagt Tsialtzoudis. Er will selbst nicht wie ein Behinderter behandelt werden – also behandelt er auch keinen seiner Mitarbeiter so.

Behindert zu sein reicht nicht

Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass Tsialtzoudis Menschen mit Behinderung wie selbstverständlich im Unternehmen integriert. Regelmäßig bekommt er Anfragen von Bewerbern, die eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung haben. Doch rein aufgrund einer Behinderung stellt auch Tsialtzoudis niemanden ein. „Bei mir bekommt keiner eine Extrawurst“, sagt der Chef.

Marina Ims ist dankbar dafür. Bei dem Musikvermarkter ist sie Empfangsdame, Assistentin und gute Seele der Firma. Über ein Headset nimmt sie Anrufe an, sie prüft Bestelllisten und hilft im Lager beim Packen der Pakete aus, wenn es dort stressig wird. Früher hat Ims in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet. Doch in der Firma gefällt es ihr besser. „Es ist persönlicher, familiärer hier“, sagt sie. In der Werkstatt war sie eine Behinderte unter vielen Behinderten. Bei Megaphon ist sie einfach eine geschätzte Mitarbeiterin.

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